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ZEITZEUGE

PUSTERTALER VOLLTREFFER

MAI/JUNI 2018

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derung, dass ich sie selbst noch-

mals schreiben sollte, damit es

nicht auffällt, dass er sie ge-

macht habe. Er hatte alle hand-

wenn wieder einmal ein Bonze

(hochrangiger Funktionär) im

Schulhof war, mussten wir den

Arm für 20 bis 25 Minuten

nach oben halten. Er wurde

immer schwerer, wird durften

ihn aber nicht mit dem anderen

Arm abstützen.“

Blieb bei Fliegeralarm

vorerst sitzen

Seine Familie besuchte in der

Pradler Pfarrkirche auch immer

die Sonntagsmesse. „Während

der Messe marschierte die Hit-

lerjugend um die Kirche, um

die Messe zu stören. Sie schrien

dabei laute Lieder.“ Damals

fanden zudem bereits Luft-

schutzübungen statt. „Aber

man nahm diese nicht ernst. Es

passierte ja damals noch nichts.

Als der Fliegeralarm losging,

blieben die Leute in Folge beim

Mittagessen einfach sitzen. Da-

mals begannen die Nazis auch

erst mit dem Bau der Luft-

schutzstollen.“ Man erhielt

zudemAnweisungen, was man

im eigenen Keller alles machen

musste. „Wir lebten in einem

Doppelhaus, und da war es Vor-

schrift, dass man eine Öffnung

in der Mauer zum Nachbarn

herstellte und sie lose mit Zie-

geln wieder zumachte. So

konnte der Nachbar im Notfall

in die andere Haushälfte gelan-

gen.“

neben einer gewissen Schlagfer-

tigkeit“, so Melzer. „Uns Bur-

schen impfte man ein, dass wir

Verschiedenstes ja nicht in den

Mund nehmen dürfen. Denn

unser Vater war beim geheimen

Widerstand.“

Kaffeesatz statt Mohn

„Nur mit den Familien Ru-

disch und Stepanek, die genauso

dachten wie wir, durfte man

über seine wahren Gedanken

reden, wenn man bei ihnen etwa

auf einen Nachmittags-Kaffee

eingeladen war.“ Der Kaffee

war damals allerdings eher ein

Sud. „Und in den Kuchen, der

nach Mohnkuchen aussah und

auf den man sich schon freute,

war nur Kaffeesatz statt Mohn

eingearbeitet. Da war ich frei-

lich recht enttäuscht.“ Eines

Tages erhielten der junge Ru-

dolf und seine Kameraden eine

Hausausgabe, die sie sehr er-

schütterte. „Die Aufgabe war,

mit 20 vorgegebenen Ausdrük-

ken über Juden einen Satz zu

bilden. Die Ausdrücke waren

sehr arg“, erinnert sich der 82-

Jährige. Als seine Mutter die

Aufgabe gesehen habe, hätte sie

fast zum Weinen angefangen.

„Sie gab sie dann meinem

Vater. Nach rund einer Stunde

kam der Vater mit der fertigen

Aufgabe zu mir, mit der Auffor-

festen Ausdrücke Jesu über die

Pharisäer aus dem Neuen Testa-

ment (Matthäus 23) herausge-

schrieben. Die anderen Aus-

drücke brauchte er gar nicht.

Die Aufgabe ging durch. Hätte

man sie nicht gemacht, wäre

man sofort unter Verdacht ge-

wesen, Juden zu helfen.“

Das geheime

Zeichen „05“

Gut erinnert er sich auch

noch an ein seltsames Zeichen,

das immer an einer anderen

Hauswand heimlich mit weißer

Kreide aufgemalt wurde. „Eine

Null und ein Fünfer. Die Null

stand für O, der Fünfer für den

fünften Buchstaben im Alpha-

bet. Also OE für Österreich.

Die Nazis kamen nie hinter die

Bedeutung. In dem jeweiligen

Haus mit dem Geheimzeichen

an der Wand kam die Wider-

standsbewegung heimlich zu-

sammen. Jeden Monat musste

man den Ort des Zusammen-

treffens wechseln. Ich wusste

damals nicht, was das Zeichen

bedeutete“, so Melzer, der zu

jener Zeit in die Pradler Volks-

schule ging. „Mitten im zwei-

ten Schuljahr wurde unser lie-

bevoller Lehrer Fill ausge-

tauscht. Der neue Lehrer

Wallnöfer war ein Nazi und

brutal. So schlug er uns, und

97701

Blick vom Aussichtspavillon am Bergisel auf Innsbruck, um 1942.

Fotograf: Richard Müller; Sammlung Gabriele Müller – TAP.

milie aufgewachsen