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OSTTIROLER

NUMMER 12/2017

4

HEIMATBLÄTTER

genommen ein Loch, auf das sich die

horizontal angelegten Bewegungen und

Gesten und die gefährlich gebückte Hal-

tung des links Knieenden beziehen.

Die Abweichungen sind selbstverständ-

lich zur Hauptsache dem Thema geschul-

det, und man muss eine ganz ähnliche Be-

gründung auch für die Komposition der

„Glorie des hl. Stephanus“ geltend ma-

chen. Knollers Anliegen war dort, dem

Kirchenbesucher eine durch die Gruppie-

rung gelockerte Hierarchie himmlischer

Fürsprecher möglichst präsent vor Augen

zu stellen, die man einzeln und im Kol-

lektiv anrufen konnte, und die speziell in

der Gegend von Anras höchste Verehrung

genossen. Es ist daher möglich, anhand der

Patrozinien und der Zusammenstellungen

an den Altären umliegender Sakralbauten

Heilige zu identifizieren, die in der Litera-

tur zum Teil unterschiedlich gedeutet wur-

den. So lassen sich aus der Gruppe der

Bischöfe

15

in Analogie zum linken Seiten-

altar der Filial- und Wallfahrtskirche in

Asch Nikolaus, Kassian und Martin be-

nennen, zumal letzterem ganz deutlich

eine Gans über die Schulter schaut; bei der

Dreiergruppe im Register darunter dürfte

es sich nicht, wie Baumgartl meinte, um

die Ordensheiligen Franziskus, Ignatius

und Bernhard

16

, sondern, wie am rechten

Seitenaltar von Asch, um Johannes v.

Nepomuk und Franz Xaver handeln, denen

sich der in Anras fast überall verehrte hl.

Antonius v. Padua zugesellt. Wurde Tro-

gers Deckenbild auch als „Brixner Heili-

genhimmel“

17

bezeichnet, so möchte man

Knollers Version den Titel eines „Anraser

Heiligenhimmels“ verleihen.

Zur „Anbetung des Lammes“ lassen sich

auch im Detail kaum Ähnlichkeiten fest-

stellen, wohl aber zur Kuppel von Maria

Dreieichen (1752), worauf bereits Baum-

gartl aufmerksam machte: Johannes d. T.,

der Apostel Paulus, Florian, Notburga

18

und

vielleicht christus selbst variieren, teil-

weise spiegelbildlich und in verringerter

Untersicht, Motive aus Trogers letztem

erhaltenen Fresko. Die eigenartige Ver-

schmelzung eines oblongen Deckenge-

mäldes mit der Struktur einer Scheinkuppel

aber könnte auch zu der verlockenden Spe-

kulation anregen, dass das unmittelbarste

Vorbild für Anras in der Salzburger Sebas-

tianskirche zu suchen, aufgrund ihrer 1818

zerstörten Ausstattung allerdings nicht

mehr zu finden sei. Jedenfalls war Knoller

zusammen mit Paul Troger noch vor dem

Auftrag für Anras daran beteiligt.

19

Die Zurücknahme der barocken Illusion

zugunsten der Präzisierung der Einzelform

und der Eindeutigkeit in der Mitteilung

sowie das latente Bekenntnis zur Bildhaf-

tigkeit der Gesamtkonzeption kennzeich-

nen Knollers anfängliche Auseinanderset-

zung mit seinem Lehrer. Die weitere künst-

lerische Entwicklung mag hier im Keim

bereits angelegt sein, von Lösungen wie im

Langhaus der Benediktinerabtei Muri-

Gries (1771/1772), wo Knoller unter ähn-

lichen räumlichen Voraussetzungen durch

einen massiven vergoldeten Rahmen die

wesentlich klarere Unterscheidung zwi-

schen Deckenbild und Architektur gelang,

ist sie allerdings noch durch die Jahre der

römischen Schulung getrennt. Dass Knol-

ler mit seiner Auffassung ebenso den Ge-

schmack und die Frömmigkeit der Provinz

bedient hat, leuchtet auch ein, wenn man

nicht bereit ist, der Überlieferung Glauben

zu schenken, nach der die Gemeinde Anras

sein späteres Angebot einer unentgeltlichen

Neufassung ausschlug:

„Als Knoller später

nach Raphael Mengs sich besser ausgebil-

det hatte, machte er, unzufrieden mit dieser

seiner früheren Arbeit, der Gemeinde

Anras den Antrag, die Kirche ohne Entgeld

ganz neu zu malen. Das Anbot wurde aber

nicht angenommen, weil die Gemeinde

einen besondern Werth darin setzte, das

erste Fresko=Gemälde dieses vaterländi-

schen Künstlers zu besitzen.“

20

Anmerkungen:

1

Apostelgeschichte, 6, 1-15.

2

Jesaja, 66,1.

3

Apostelgeschichte, 7, 56-58.

4

Die Legenda Aurea des Jakobus von Voragine aus dem

Lateinischen übersetzt von Richard B

ENZ

, Köln 1969,

S. 63 und 532-537.

5

Österreichische Kunsttopographie Bd. LVII. Die Kunst-

denkmäler des politischen Bezirkes Lienz, Teil II, Horn

2007, S. 41f.

6

Gertrud K

RALL

, Anton und Joseph Anton Zoller. Ein

Beitrag zur Tiroler Barockmalerei (= Veröffentlichungen

der Universität Innsbruck 115. Kunstgeschichtliche Stu-

dien III), Innsbruck 1978, S. 16.

7

Ebd., S 15.

8

1686 malt Gabriel Kessler zusammen mit seinem Sohn

die Deckenbilder der neu errichteten Wallfahrtskirche

Mariä Himmelfahrt in Hollbruck. In den frühen 1690er-

Jahren folgen die Deckenmalereien der Antoniuskirche

in Panzendorf.

9

Vgl. Edgar B

AUMGARTL

, Martin Knoller 1725 – 1804.

Malerei zwischen Spätbarock und Klassizismus in

Österreich, Italien und Süddeutschland, München-Ber-

lin 2004, S. 14.

10

Edgar B

AUMGARTL

, Martin Knoller (1725 – 1804) als

Deckenmaler, Hildesheim-Zürich-New York 1986,

S. 28-47.

11

B

AUMGARTL

2004 (wie Anm. 9), S. 39.

12

Herbert K

ARNER

, Quadratura und stucco finto bei Paul

Troger, in: Barockberichte. Informationsblätter des Salz-

burger Barockmuseums zur bildenden Kunst des 17. und

18. Jahrhunderts, Heft 38/39, 2005, S. 592.

13

Andrea P

OZZO

, Der Mahler und Baumeister Perspectiv,

Augsburg 1709, Figura 90.

14

B

AUMGARTL

1986 (wie Anm. 10), S. 33.

15

Von Baumgartl als Kirchenväter gedeutet: B

AUMGARTL

1986 (wie Anm. 10), S. 34.

16

Ebd. S. 35.

17

Zur Ikonologie der „Anbetung des Lammes“ s. Leo A

N

-

DERGASSEN

, Der Dom zu Brixen, Bozen 2009, S. 78-83;

Johann K

RONBIcHLER

, Paul Troger, Berlin-München

2012, S. 83f.

18

B

AUMGARTL

1986 (wie Anm. 10), S. 43. Die hl. Marga-

rethe in Maria Dreieichen diente als Vorbild für Knollers

hl. Notburga.

19

B

AUMGARTL

2004 (wie Anm. 9), S. 17f.

20

Vgl. Johann Jakob S

TAFFLER

, Tirol und Vorarlberg, sta-

tistisch und topographisch, mit geschichtlichen Bemer-

kungen in zwei Theilen. II. Theil. II. Band. 1. Heft, Inns-

bruck 1844, S. 454.

Paul

Troger,

Der hl.

Kassian

stürzt das

Standbild

des Pluto

auf Säben,

Fresko im

südlichen

Querhaus-

arm des

Brixner

Domes,

1749.

Foto:

Diözesan-

museum

Brixen

IMPRESSUM DER OHBL.:

Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.

Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren

verantwortlich.

Anschrift des Autors dieser Nummer:

Mag. Rudolf Ingruber, A-9900 Lienz, Ruefen-

feldweg 2 b.

Manuskripte für die „Osttiroler Heimat-

blätter“ sind einzusenden an die Redaktion

des „Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad

Pizzinini, A-6176 Völs, Albertistraße 2 a;

E-Mail:

meinrad.pizzinini@chello.at

Anras, Blick in den Innenraum der Pfarr-

kirche St. Stephan.

Foto: Peter Leiter