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OSTTIROLER

NUMMER 12/2017

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HEIMATBLÄTTER

Kappen illusionierte aufgehende Mauer-

werk ist gegliedert von einem Paar konso-

lenartiger Wandvorlagen, die eine kasset-

tierte Flachdecke tragen, die sich in variie-

renden Passformen zum darüber liegenden

Luftraum öffnet.“

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Das Problem bestand

im überzeugenden Ausgleich zwischen

scheinbar flacher Decke und tatsächlicher

Wölbung, für welchen sich der Anschluss

an den Triumphbogen und an die Stich-

kappen als besonders kritisch herausstellt.

Trogers Lösung sieht vor, dass die Konso-

len an den Enden der Decke höher greifen

als jene, die die Langseiten der Bildöff-

nung stützen, und der Niveauunterschied,

respektive die Wölbung, in der Zusam-

menschau auch gar nicht geleugnet wird.

Knoller reduziert in Anras das Troger-

sche Schema, indem er die doppelten

Wandvorlagen und auch den stucco finto

vereinfacht, vor allem aber auf die Pass-

formen, die in Györ und in Brixen wie eine

Art Kranzgesims die Rahmengrenzen

nachzeichnen, verzichtet. Stattdessen zieht

er eine den sehr seichten und illusionis-

tisch vergrößerten Stichkappen aufgesat-

telte Erhöhung von der Westwand bis zum

Triumphbogen geradlinig durch. Das hat

zur Folge, dass die Decke die Körperhaf-

tigkeit eines tektonischen Bauteiles ein-

büßt und das zentrale Gemälde nicht mehr

als Öffnung, sondern als Applikation auf

einem geglätteten Träger erscheint. Unter-

stellt man Knoller die Kenntnis des Brix-

ner Freskos, muss man auch die zu tref-

fende Entscheidung bedenken: Er konnte

das Vorbild zu ignorieren, zu imitieren

bzw. zu adaptieren oder zu überbieten be-

absichtigt haben. Wie der Traktat Andrea

Pozzos versichert, war die Projektion eines

perspektivisch korrekt gezeichneten Bildes

von einem vorher festzulegenden Augen-

punkt auf einen gekrümmten Schirm tech-

nisch kein unlösbares Problem.

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Troger,

der mit den Anleitungen bestens vertraut

war, wird diese auch seinen Schülern ver-

mittelt haben. Trotzdem ist nicht ganz aus-

zuschließen, dass einige von Knollers

„Fehlern“ bei der Übertragung seines Ent-

wurfes auf das Gewölbe und damit ohne

Absicht passiert sind. Die grundlegenden

Unterschiede zu Brixen aber sind damit

noch nicht einmal angedeutet.

Wird Trogers quadratura, indem ihre

Glieder sich nach einer Abfolge auf der

mittleren Längsachse gelegener Flucht-

punkte richten, sukzessive, gleichsam im

Abschreiten erfahrbar, bindet Knoller sei-

nen Betrachter an einen knapp vor der Em-

pore befindlichen Standort. Dort geraten

ihm aber auch die kritischen Zonen, an

denen der Augenbetrug aufgedeckt wird,

simultan in das Blickfeld und lassen ihn

Bild und architektonischen Schein als von-

einander verschiedene Qualitäten erleben.

Aus diesemAspekt ist es zweitrangig, dass

auch die „seitlichen Ausbuchtungen“ des

Rahmens, den Baumgartl von Trogers

Brixner Langhausfresko herleitet

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, die

aber „hier proportional größer sind als

dort“, den Kontakt mit der Architektur ver-

lieren und mithin die Deutung des Bildes

als „illusionistische Öffnung in den Him-

melsbereich“ untergraben. In idealer Ver-

längerung formen sie eine Ellipse, die das

Figurenensemble umfängt und das Muster

zu seiner Gruppierung vorzeichnet, wäh-

rend in Brixen die Bildränder von figür-

lichen Motiven weitgehend frei sind. Ver-

teilt auf die in den Kirchenraum sich sen-

kenden Wolken überschreitet das Personal

des untersten Registers diese imaginäre

Grenze und verringert damit seine Distanz

zum Betrachter, dessen Standort sich am

anderen Ende der geneigten Bildebene be-

findet. Dreh- und Angelpunkt ist der hl.

Stephanus in der Bildmitte, den Knoller

bedeutungsperspektivisch so nahe wie

möglich an den Betrachter heranzuziehen

bestrebt ist. Leitmotiv der Trogerschen

Komposition ist hingegen ein Wolken-

band, das die dicht gedrängte Heiligen-

schar serpentinenförmig bis an die Spitze

eines Berges heranführt, auf der das apo-

kalyptische Lamm zugleich die optische

Mitte und, räumlich gesprochen, die

höchste mit den Augen erreichbare Stelle

des Bildes einnimmt.

Diese doppeldeutige Kompositionsweise

Trogers erhellt auch aus einem Vergleich

der „Auffindung des Grabes“ des Anraser

Titelheiligen mit dem Deckenfresko im

südlichen Querhaus des Brixner Domes,

dem Knoller die Grundstruktur und we-

sentliche Motive entlehnt. In beiden Ge-

mälden war durch die Protagonisten die

Zäsur eines von Bäumen flankierten, die

Nebenfiguren an die Bildränder drängen-

den Weges zu überbrücken. Virtuos nutzt

Troger die Ambivalenz projektiver Linien

in ihrer Raum-, Richtungs- und Flächen-

bezüglichkeit, die den pyramidalen Bild-

aufbau und die Handlung auf ihren Höhe-

punkt zuspitzen: Gleichviel, ob die aus-

holende, vom Bischof Kassian initiierte

Bewegung der Knechte ihr Ziel letztend-

lich erreicht – alles drängt auf den Mo-

ment, der im Sturz des Götzenbildes auch

den Zusammenbruch der steil aufwärts ge-

richteten Bilddynamik herbeiführen muss.

Hingegen bildet den Höhepunkt in Knol-

lers Fresko über der Orgelempore genau

Paul Troger, Die Anbetung des Lammes, Langhausfresko im Dom zu Brixen, 1750

(Zustand vor der Restaurierung des Jahres 1894).

Foto: Diözesanmuseum Brixen