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REPORTAGE

PUSTERTALER VOLLTREFFER

JUNI/JULI 2017

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Theresa L. aus dem Ost-

tiroler Pustertal konnte

sich als Mädchen aus

den Fängen ihrer Familie

befreien, in der es oft zu

Misshandlungen und

Missbräuchen gekom-

men war. Heute lebt die

60-Jährige in Nieder-

österreich und hilft

Opfern von Gewaltver-

brechen hilft.

„Osttirol ist kein Land der

Heiligen. Das war es nie“, betont

Theresa. Es schwingt kein sar-

kastischer Unterton mit, viel-

mehr eine gewisse Abgeklärt-

heit, die davon zeugt, dass The-

resa das Menschsein in all‘

seinen Facetten als Teil des irdi-

schen Daseins kennenlernte und

mittlerweile damit umgehen

kann. Theresa wuchs als Dritt-

jüngste einer Reihe von Kindern

auf einem Bergbauernhof im

Osttiroler Pustertal auf. Die heu-

tigen Besitzer haben nichts mehr

mit Theresas Vergangenheit zu

tun. Und sie wissen wohl kaum,

was sich einst in den Gemäuern

des uralten, etwas entlegenen

Gehöfts abspielte. Der Vater

von Theresa war ein hagerer Typ

und als mürrisch bekannt. Er

Heute hilft Theresa L., einst selbst Betroffene, anderen Opfern von Gewalt und Missbrauch.

Die Flucht aus dem Elte

hatte im Ort aber so manches zu

sagen. Die Mutter entstammte

einer armen Bauernfamilie im

Iseltal. Auch Onkel lebten auf

dem Hof.

Es war eine

Selbstverständlichkeit

„Wir Kinder wurden wie

Sklaven behandelt. Schläge

standen auf der Tagesordnung.

Liebe gab es ohnehin keine“,

erzählt Theresa. Doch das

Schlimmste war der regelmä-

ßige sexuelle Missbrauch, den

Theresa und ihre Schwestern

über sich ergehen lassen muss-

ten. Nicht nur der Vater war

Täter, sondern auch die Onkel

vergriffen sich an den Mäd-

chen. „Es war eine Selbstver-

ständlichkeit auf dem Hof. Un-

sere Mutter bekam alles mit.

Was sie darüber dachte, weiß

ich bis heute nicht. Aber sie war

sehr eingeschüchtert und hatte

wohl keine Chance.“ Manch-

mal durften auch auswärtige

Männer den Mädchen näher-

kommen. „Wir wurden dazu

gezwungen.“ In der Schule be-

merkte man nichts vom Miss-

brauch der Mädchen. „Oder

man wollte auch nichts bemer-

ken.“ Theresa hat noch ein

Schulfoto von sich. Darauf

sieht sie ihre toten Augen von

damals.

Zwei Welten

„Um psychisch überleben zu

können, haben wir Mädchen in

zwei Welten gelebt. In der

einen durften wir Kind sein.

Das war in der Schule, in der

allerdings auch viel geschlagen

wurde. Dort waren Lehrer und

Pfarrer die Täter. In der anderen

waren wir hilflos den Erwach-

senen und derem Missbrauch

ausgeliefert. Sich jemandem

Ausstehenden anzuvertrauen,

war weit weg von unserer Vor-

stellungskraft. Natürlich wurde

uns auch mit dem Umbringen

gedroht, falls wir doch einmal

unsere ‚Erlebnisse‘ nach außen

tragen würden.“ Fein heraus-

geputzt mussten die Mädchen

dann regelmäßig den Gottes-

dienst besuchen, gemeinsam

mit den Eltern, Geschwistern

und Onkeln. „Alles was mir

von den Kirchgängen damals in

Erinnerung ist, sind der Ge-

stank der Menschen und deren

teils sehr hässlichen Gesichter.“

Schlüsselerlebnis

„Tief im Inneren wusste ich

immer, dass der Missbrauch an

uns Mädchen etwas sehr

Schlimmes war. Wir hatten ja

Bis zu ihrem Tod unterstützte die alte Frau Theresa vor allem mit

ihrer Wärme und ihrem Zuhören.