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ZEITZEUGE

PUSTERTALER VOLLTREFFER

NOVEMBER/DEZEMBER 2016

20

Es war eine deutsche militä-

rische Formation, der „Deut-

sche Volkssturm“, aufgestellt in

der Endphase des Zweiten

Weltkrieges – nach einemAuf-

ruf der NSDAP an alle „waf-

fenfähigen Männer im Alter

von 16 bis 60 Jahren“. Ziel war

es, die Truppen der Wehrmacht

zu verstärken. So mussten auch

etliche Osttiroler, die erst 16

Jahre waren, im Herbst 1944

daran glauben. Darunter auch

Jos Pirkner. „Wir waren in die-

sem Alter wirklich noch Kin-

der, so richtige ‚Hascherln‘,

und noch lange nicht so reif wie

16-Jährige von heute. Dass

man nun mit Kindern Krieg

führt, verstand keiner daheim.

Es war ein Wahnsinn“, betont

er. Die Musterung erfolgte

beim damaligen Bürgermeister

der Stadt Lienz, Emil Winkler.

Nach Jugoslawien

Der Abschied von seiner Fa-

milie fiel schwer. Er wurde mit

den anderen Jungen nach Lai-

bach (damaliges Jugoslawien)

transportiert, wo sie ein Muni-

tionslager überwachen muss-

ten. Die Uniform war ihm viel

zu groß. „Als der Hauptmann

schrie: ‚Die Augen links!‘,

schaute mein Helm geradeaus.

Wir waren ein lächerlicher

Trupp. Mit solch einem hätte

man einen Krieg gewinnen

sollen? So ein Schwachsinn!“

Als ein junger Bub desertierte,

erhielten Jos und die anderen

den Befehl ihn zu erschießen,

sofern man ihn erwische. „Das

hat mich extrem geschockt.

Hätte ich ihn gesehen, hätte ich

natürlich nie geschossen.“ Die

Burschen befanden sich in

ständiger Anspannung. „Wir

zitterten und weinten. Und so-

bald man die Tiefflieger dröh-

nen hörte, wurde es ganz

schlimm. Wir sprangen immer

zu zweit in selbst ausgehobene

Löcher, um nicht alleine ster-

ben zu müssen.“ Die Burschen

mussten bei Angriffen schie-

ßen, was das Zeug hielt. „Wir

zielten aber auf nichts. Es war

nur Lärm. Damals wussten

schon alle, dass nichts mehr zu

retten ist“, so Pirkner.

Flucht

Als ihm dann zu Ohren kam,

dass die Engländer bereits in

Osttirol sind, flüchtete er nachts

aus dem Lager – eine lebensge-

fährliche Sache. „Auch wegen

der Partisanen.“ Er suchte Zu-

flucht auf einem nahen Bauern-

hof. Man wunderte sich über

den jungen Buben. „Ich sah ja

viel jünger als 16 aus, und

machte ihnen verständlich, dass

ich einfach nur heim will.“ Er

erhielt von den Bauersleuten

ein anderes Gewand. So ver-

mutete niemand mehr, dass er

ein Soldat sein könnte, der ge-

flüchtet war. Per Anhalter

schaffte er es nach ca. einem

Monat nach Österreich. Das

Essen hatte er sich all die Zeit

erbettelt. In Oberdrauburg

wurde er dann von Engländern

gefangen und gefragt wo er hin

wolle.

Nach Lienz

Auf einem übervollen Last-

auto wurde der junge Mann

dann nach Lienz gebracht. „Ich

stand ganz hinten auf dem

Fahrzeug. Wir fuhren bereits

die Kärntnerstraße (frühere

Durchzugsstraße von Lienz)

entlang, als ich die Gelegenheit

wahrnahm und bei der Fisch-

wirtsbrücke ungesehen ab-

springen konnte. Ich versteckte

mich bei einem dortigen Haus.

Eine Weile später wagte er sich

zur elterlichen Wohnung, die

sich oberhalb des damaligen

Lebensmittelgeschäftes Geiger

(rechts neben Hotel Traube) auf

dem damaligen Adolf-Hitler-

Platz (heute Hauptplatz) be-

fand. „Als ich dann sah, dass

das Haus ausgebombt war, bin

ich furchtbar erschrocken.“

Neben ihm hörte er plötzlich

die Stimme von Hans Plattner,

dem einstigen Gefängniswärter

von Lienz. Er sagte: „Du, Pepi

(so wurde er früher gerufen), es

ist alles in Ordnung. Aus dem

Traubekeller konnte man alle

bergen, die dort Schutz gesucht

hatten.“ Seine Mutter Philo-

mena war mit Jos jüngeren Ge-

schwistern Hermann und Laura

nach Kartitsch zu den Groß-

eltern geflohen. Er machte sich

sofort auf den Weg dorthin.

„Die Wiedersehensfreude war

groß. Gleichsam erfuhr ich

von der Kosakentragödie an der

Drau, die mich sehr schockte.“

„Vater wehrte sich“

Sehnsüchtig wartete man

dann auf Bruder Gidi, der sich

noch in amerikanischer Gefan-

genschaft befand, und auf Vater

Ägidius, den die Gestapo be-

reits zu Kriegsbeginn inhaftiert

hatte. „Er war einst der Polizei-

inspektor von Lienz und wehrte

sich gegen das Hakenkreuz. Vor

dem Krieg hatte er bereits alle

Hakenkreuz-Maler eingesperrt.

Bildhauer Prof. Jos

Pirkner, ein gebürtiger

Sillianer, musste als

16-Jähriger im Zuge

des „Deutschen Volks-

sturms“ noch gegen

Ende des Zweiten

Weltkrieges einrücken.

So wie andere Osttiro-

ler Buben vergoss er

viele Tränen vor lauter

Heimweh und Angst.

Bildhauer Prof. Jos Pirkner musste mit 16 Jahren in den Kriegsdienst.

Foto: Martina Holzer

Der junge Jos mit 18 Jahren.

„Wir waren einfach nur