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zen, und es spricht für den akribischen De-

tailmaler, dass er sich hier mehr Mühe gab,

als es die Wahrnehmung vom Kirchen-

schiff aus verlangte. Bis zur Innenrestau-

rierung der Kirche im Jahr 1968 war die

Krippe nämlich am Hochaltar aufgestellt

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und sorgfältig auf ihr barockes Ambiente

berechnet: Ein steinerner Bogen begrenzte

den Stall zu Bethlehem, der im betreffen-

den Zeitraum das genau gleich dimensio-

nierte Altarbild von Anton Zoller ver-

deckte. Die tatsächliche Tiefe der Bühne

lässt sich aus den historischen Aufnahmen

nicht genau eruieren, sie dürfte allerdings

deutlich geringer gewesen sein als die

durch das Bildlicht und die Anordnung des

Personals erzeugte Raumillusion anneh-

men ließ.

Oberlechner lockert Mitterwurzers kon-

zentrierte Gruppierung und verteilt die

Motive auf einem leicht ansteigenden Ter-

rain. In vorderster Ebene öffnen das

kniende Dialogpaar am rechten und die

Flöte spielende Rückenfigur am linken

Rand einen Trichter, der durch das Ge-

OSTTIROLER

NUMMER 1-2/2016

6

HEIMATBLÄTTER

„Zenz“

und „Martl“

aus der

Krippe der

Pfarrkirche

St. Laurentius

in Tristach.

„Peter“,

Hansele“ und

„Jörgele“ aus

der Tristacher

Bretterkrippe.

Fotos: Rudolf

Ingruber

bäude, in dem die Hauptfiguren um die

hell erleuchtete Krippe versammelt sind,

hindurch sich zu einem maßstäblich stark

reduzierten rückseitigen Torbogen ver-

jüngt. Die Verbindung zwischen äußerem

und innerem Raum ist links durch die

Magd mit dem Korb hergestellt, rechts

aber durch ein Zitat, das die Spitze der

Ahnenreihe von Oberlechners Interpreta-

tion des Weihnachtsgeschehens repräsen-

tiert: Die imposante Erscheinung des Hir-

ten ist seitenverkehrt aus Correggios Hl.

Nacht übernommen. Zugleich aber nimmt

sie Bezug auf eine sehr ähnliche Figur aus

der Hirtenanbetung am Orgelprospekt, der

auch für die Anbetung der Könige einen

Anknüpfungspunkt bot: Für die Szene am

rechten Orgelflügel konnte noch kein Vor-

bild benannt werden, der prunkvoll entfal-

tete Zug aber dürfte von der veneziani-

schen Spätrenaissance angeregt worden

sein. Mit der Kopie des greisen, knienden

Königs aus Paolo Veroneses Dresdener

Epiphanie (um 1570) reiht sich Oberlech-

ner auch in diese Tradition ein.

Der Lienzer Krippenverein

Dekan Stemberger galt nicht nur als

Kunstliebhaber, er war 1923 auch Initiator

der „Ortsgruppe Lienz des Vereines der

Krippenfreunde in Tirol“

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, der die Ost-

tiroler Heimatblätter 1926 die beiden ersten

Hefte des Jahrganges widmeten. Zahlrei-

che, meist geistliche Autoren bezogen aus

unterschiedlichen Blickwinkeln Stellung

zum Thema, beschrieben erste Erfolge und

formulierten ihre Erwartungen an die Be-

wegung. In unserem Zusammenhang von

besonderem Interesse sind die kunsttheo-

retischen Überlegungen des Anraser Ko-

operators Karl Maister, nach denen

„die

Krippe (…) als volkstümliche Darstel-

lungsweise des Weihnachtsgeschehens“

nicht nach kunstkritischen Grundsätzen zu

beurteilen sei. Denn selbst

„wenn die

Freude an der Menschwerdung des Welt-

heilandes in einer Form geäußert würde,

die das normale Schönheitsgefühl ver-

letzt“

, sei zuerst der

„Herzschlag des

Künstlers“

aus seinem Werk zu erfühlen.

Bretterkrippe im Freilichtmuseum „Klösterleschmiede“ in Lienz, 1967.

Foto: Foto Anni Kunze, Lienz