der Grundlage der gotischen Baustruktur –
nachgerade erzwungen. Dass der in den
1760er-Jahren vollzogene Eingriff nicht
aus dem Rahmen fällt, ist aber auch einer
damals international gängigen Praxis der
Rückbesinnung auf die nachtridentinische
Formensprache zu verdanken. Sie ist von
den Deckengemälden und vom Hochaltar
vielleicht nicht auf den ersten Blick abzu-
lesen, am Rosenkranzaltar jedoch drängt
sich der Vergleich förmlich auf.
Das Weihnachtsbild Johann Mitterwur-
zers (um 1770) bedient sich nahezu des
gesamten Motivrepertoires der Hirtenan-
betung am linken Orgelflügel (1618),
deren bisher noch nicht identifizierter
Autor wiederum eine Vorlage gewählt hat,
die dem Umkreis der kaiserlichen Hof-
kunst in Prag, einem der führenden Zen-
tren der Gegenreformation, entstammt
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und als anerkannte Version des Themas
relativ zeitnah auch in der Provinz rezipiert
wurde. Die veränderte Choreografie und
die hauptsächlich durch das Helldunkel
bewirkte Intimität in Mitterwurzers Ge-
mälde ist aber nicht zuletzt dem italieni-
schen Maler Correggio geschuldet, der das
Geschehen erstmals um 1530 überzeugend
als „Heilige Nacht“ interpretiert hat.
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Die Krippe von St. Andrä
Die Summe der Vorgaben, denen sich
Alois Oberlechner zu stellen hatte, war
also nicht gering, und sie als Chance oder
als Hypothek zu begreifen, verlangte be-
reits eine Entscheidung. Ob die Idee, das
linke Seitenaltarblatt zum Vorbild für die
neue Krippe zu wählen, von seinem Re-
spekt vor dem Genius loci und dessen Ge-
schichte herrührt, oder in dem von Dekan
Stemberger erteilten Auftrag schon präju-
diziert war, ist nicht bekannt. In jedem Fall
aber verbietet, trotz des hohen Anteils der
Malerei eines mimetisch äußerst ge-
schickten Handwerkers, es allein die Tat-
sache, dass hier kein weiteres Gemälde
sondern ein räumliches Arrangement von
Bildgegenständen zu bewältigen war, das
Produkt als bloße Kopie zu bewerten.
Bretterkrippen
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sind so etwas wie das
weihnachtliche Pendant der Heiligen Grä-
ber, welche die neutestamentlichen Ereig-
nisse um Ostern den Gläubigen in einzel-
nen Szenen vor Augen führen und damit
den mehrfachen Auftrittswechsel auf einer
konstanten Bühne vorsehen. Mit dem 1752
von Anton Zoller gemalten Hl. Grab be-
sitzt die Pfarrkirche St. Andrä eines der be-
deutendsten Beispiele der Gattung in ganz
Tirol, welches gerade die Auferstehung
alljährlich mit triumphaler liturgischer
Geste gefeiert und so den wohl denkbar
schärfsten Gegensatz zu Egger-Lienz etli-
chen Generationen von Gläubigen ins Ge-
dächtnis geschrieben hat.
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Während hier
aber zwischen Gründonnerstag und Oster-
montag täglich zumindest ein Umbau statt-
findet, beschränkt sich die Krippe auf die
Hirtenanbetung zu Weihnachten, die erst
zu Epiphanie von der Anbetung der Heili-
gen Drei Könige abgelöst wird. Da ähnlich
wie im Theater den Zuschauern ein vom
Bühnenraum hinreichend entfernter, mehr
oder weniger fester Platz zugewiesen ist,
erzielt die Inszenierung der Bretterkrippe
oder des Heiligen Grabes einer der Auf-
stellung rundplastischer Figuren sehr nahe
kommende Wirkung, benötigt dabei je-
doch einen wesentlich geringeren Auf-
wand an Zeit und an Raum.
Diese im Hinblick auf Herstellung, Auf-
stellung und Archivierung höchst komfor-
tablen Begleiterscheinungen sind zugleich
jedoch konstitutive Merkmale einer Skulp-
tur und Architektur berührenden Form-
gelegenheit, die durch die Malerei die
Eigenschaften der anderen Disziplinen,
Ausdehnung und Plastizität, in dem Maße
nachahmt, in welchem diese aus den ge-
nannten Gründen darauf verzichten. Die
Mittel dazu sind das Bildlicht und die per-
spektivische Konstruktion, deren negatives
OSTTIROLER
NUMMER 1-2/2016
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HEIMATBLÄTTER
Weihnachtskrippe in der Lienzer Pfarrkirche St. Andrä, gemalt von Alois Oberlechner,
1930; Aufstellung 2015/16.
Foto: Rudolf Ingruber
Weihnachtskrippe St. Andrä, Anbetung der
Könige, Detail.
Foto: Rudolf Ingruber
Weihnachtskrippe St. Andrä,
Aufnahme um 1935.
Fotograf unbekannt