REPORTAGE
PUSTERTALER VOLLTREFFER
FEBER/MÄRZ 2016
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Helene S. (22) aus dem
Pustertal gehört zu
jenen Frauen, die
aktuell im Gefängnis
„sitzen“. Ihr Lebenslauf
ist für etliche weibliche
Gefangene typisch:
kein Schulabschluss,
früh schwanger
geworden, Betrug.
Seit zwei Jahren „lebt“ He-
lene S. „im Knast“, wie sie
selbst sagt. Sie hat sich an den
Gefängnisalltag einigermaßen
gewöhnt. „Er ist sehr strikt und
voller Drill“, meint sie. Schon in
aller Früh gibt es den Weckruf.
Aufstehen, waschen, anziehen
und frühstücken. Das Früh-
stück erhält sie in ihrer kleinen
Zelle. Von den zwei Jahren, die
sie hier schon absitzt, war sie für
einige Monate in Untersu-
chungshaft. „Da darfst du nicht
arbeiten, jetzt muss ich arbeiten,
da kommst du gar nicht aus.
Übers Arbeiten bin ich aber
heilfroh, auch wenn es nicht Ar-
beiten sind, die mir unbedingt
gefallen“, erzählt sie. Aber so
kommt sie aus ihrer Zelle und
verdient etwas Geld. Ein Teil
des Verdienstes wird zurückge-
legt, „um etwas zu haben, wenn
man entlassen wird.“ Das dauert
für die Pustertalerin aber noch
eine Weile, nämlich drei Jahre.
Einfache Arbeiten
Helene verrichtet sehr einfa-
che Tätigkeiten, wie derzeit
Dinge zusammenkleben, ver-
packen oder falten – auch für
Betriebe der freien Wirtschaft,
die allerdings nicht oft Arbeiten
an Gefangene vergeben. „Das
könnte ihnen ein schlechtes
Image verpassen“, schätzt He-
lene. „Manche Gefangene ar-
beiten tagsüber allerdings als
Freigänger in einem Unterneh-
men außerhalb des Gefängnis-
ses. Anschließend kommen sie
wieder zurück.“
Helene trägt auch bei der Ar-
beit immer ein Foto ihrer zwei
Kinder bei sich. Dass sie sie
nicht sieht, schmerzt sie. „Eines
ist in einem Heim untergebracht,
das andere bei einer Pflegefami-
lie.“ In ihrer Haftanstalt gebe es
allerdings die Möglichkeit, die
Kinder „mitzunehmen“.
Kinder wissen nichts
„Es gibt sogar eine spezielle
Mutter-Kind-Abteilung, in der
Strafgefangene mit Kindern
unter drei Jahren separat unter-
gebracht werden können. Aber
das will ich meinen Kindern
nicht zumuten. Ich will nicht,
dass sie in einer Haftanstalt
Jahre ihres Lebens verbringen
sollen. Das ist furchtbar.“
Die Kinder wissen auch
nicht, dass die Mutter im Ge-
fängnis sitzt. „Sie sind noch
sehr klein und würden gar nicht
richtig verstehen, was es heißt,
in einem Gefängnis zu sein.
Derzeit sind sie in guten Hän-
den, das weiß ich.“
„Bereue sehr“
„Dass, was ich getan habe,
würde ich jedenfalls nicht mehr
tun. Die Konsequenzen sind ex-
trem hart.“ Helene kommt aus
einem recht instabilen Famili-
enverhältnis. Ihre Mutter über-
siedelte einst nach Graz, wo sie
ihren Vater kennenlernte. Sie
wurde mit Helene schwanger,
zog dann nach Osttirol zurück,
alleine. „Mein Vater verließ
meine Mutter als sie schwanger
war.“ Helene kam zur Welt.
„Ich wuchs eine Weile bei Ver-
wandten auf, dann wieder bei
meiner Mutter, die immer wie-
der herumsiedelte, nach Graz,
nach Wien, zurück ins Pustertal.
Es war ein wildes Durcheinan-
der. Letztendlich wusste ich gar
nicht, wo mein Platz ist.“
Zwei Kinder mit 19
Mit 14 Jahren lernte Helene
dann den Vater ihrer zwei Kin-
nichts in der Zeitung lesen.
Aber immerhin wird sie nicht
so geächtet, wie weibliche Ge-
fangene, die ihre Kinder töteten.
„Solche gibt es auch hier. Die
sind sogar für die Mitinsassin-
nen das Allerletzte. Auch für
jene, die ihr Kind täglich ge-
prügelt haben.“
In Helenes Haftanstalt gibt es
vorwiegend Frauen, die auch
lebenslänglich inhaftiert blei-
ben. Entstehen im Gefängnis
auch Freundschaften? „Ja, die
eine oder andere. Aber ich habe
nur sehr wenige. Viele Frauen
haben mit der Psyche ein Lei-
den oder irgendwelche Krank-
heiten entwickelt. Ich leider
auch“, so Helene, deren Haut-
krankheit nicht zu übersehen
ist. „Das ist meine Psyche“,
weiß sie. Was sie machen wird,
wenn sie aus der Haftanstalt
entlassen wird? „Ich versuche
mich als Reinigungskraft aus-
bilden zu lassen und ein einfa-
ches, aber doch lebenswertes
Leben aufzubauen.“ Und die
Kinder? „Ich werde auf jeden
Fall einen Kontakt zu meinen
Kindern aufbauen wollen.
Aber, ob das irgendwann ein-
mal möglich sein wird, ist
offen. Es wäre jedenfalls ein
riesiger Herzenswunsch.“
Martina Holzer
der kennen. „Das war in Graz,
wo zu dieser Zeit gerade wieder
einmal meine Mutter lebte. Mit
der Schule hatte ich nicht viel
am Hut. Ich bin mehr ‚herum-
gesandelt’, als dass ich etwas
aus mir machen wollte. Mein
Freund, einige Jahre älter als
ich, hatte auch nicht viel Bock
aufs Arbeiten. Er holte sich lie-
ber mit ‚krummen Dingern’, so
sagte er immer, Geld in seine
Tasche.“ Helene wurde bald
schwanger. Mit 19 Jahren stand
sie dann mit zwei Kindern,
ohne Freund und nur wenig
Geld da. „Mein damaliger
Freund, der mich nach der Ge-
burt des zweiten Kindes verließ,
sitzt auch schon länger im Ge-
fängnis. Ich konnte mir auch
keine Hilfe von meiner Mutter
erwarten. Und zu den Verwand-
ten in Osttirol hatte ich den
Bezug verloren. Dann machte
ich den größten Fehler meines
Lebens und versuchte mittels
schweren Betrugs an mehr Geld
zu kommen. Die Sache flog lei-
der recht schnell auf.“
Vorwiegend Frauen
Welches Delikt ihr zum Ver-
hängnis wurde, darüber will sie
Durch schweren Betrug imGefängnis
Nach der
Geburt des
zweiten
Kindes
wollte He-
lene durch
schweren
Betrug zu
mehr Geld
kommen.
Das
brachte
ihr fünf
Jahre Haft
ein.
Helene S. stand vor
ihrer Inhaftierung
mit ihren zwei
Kindern alleine da.