Spittal - Rollenbilder und Klischees aufbrechen


„Rollenbilder und Klischees aufbrechen“

Die Spittalerin Angelika Hinteregger arbeitet seit 13 Jahren für die Oberkärntner Mädchen- und Frauenberatung. Die Betriebswirtin ist verheiratet und hat eine Tochter und lebt in einem Mehrgenerationenhaushalt auch mit zwei Hunden und fünf Katzen, Die passionierte Wanderfreundin und engagierte Tier- und Umweltschützerin sprach mit uns anlässlich des Weltfrauentages über Chancen und Herausforderungen von Frauen und Mädchen in unserer Region und ihren engagierten Verein.

OVT: Frau Hinteregger, Wer steht hinter dem Verein „Oberkärntner Mädchen- und Frauenberatung?

Angelika Hinteregger, BAKK: Den Verein besteht seit über 20 Jahren und wurde als „Verein für Familienmediation und Frauenfragen“ gegründet. Im Mittelpunkt standen Beratung und zwei „Fluchtwohnungen“, die 2007 durch die Gründung des Oberkärntner Frauenhauses erweitert wurden. Mittlerweile sind eine Vollzeitberaterin, elf Teilzeitmitarbeiterinnen, fünf geringfügig Beschäftigte sowie eine Psychotherapeutin auf Honorarbasis für den Verein tätig. Den Vorsitz hat seit fast zehn Jahren die Spittaler Kassenpsychologin Mag. Elke Leitner inne.

Womit wenden sich Frauen vorwiegend an den Verein, womit Mädchen?

Bei den Frauen sind es vor allem Probleme mit der psychischen Gesundheit (Depressionen, Burnout, Belastungsstörungen u.ä. und Beziehungsprobleme aller Art, auch Trennung und Scheidung, aber auch Trauerbegleitung. Seit Ausbruch der Pandemie stehen vor allem auch soziale und Lebenskrisen vermehrt im Fokus der Beratung, dazu zählen Existenzängste, Armutsgefährdung und Überforderung mit Homeoffice und Homeschooling. Mädchen kommen in erster Linie wegen Problemen im Freundeskreis, Elternhaus und in der Schule.

Berufliche Mädchen- und Frauenberatung … Worum geht es hierbei?

Die Berufliche Beratung erfolgt vertraulich und kostenlos in enger Kooperation mit dem AMS Kärnten. Die Zielgruppe der Beruflichen Beratung besteht aus Mädchen und Frauen ab 15 Jahren, die Unterstützung bei der Erarbeitung eines persönlichen Lebens- und Berufsplans benötigen. Durch einen ganzheitlichen Ansatz in der Beratung sollen die Frauen in sich selbst gestärkt und ihre Handlungsfähigkeit erweitert werden, wodurch auch eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt erleichtert wird. Konkrete Themen sind beispielsweise Unterstützung bei der (Wieder-) Eingliederung in den Arbeitsmarkt nach Familienpause oder Krankheit, bei der Job- und Lehrstellensuche, Selbstwertproblemen, persönlichen Problemen oder auch bei der Suche nach Kinderbetreuungsmöglichkeiten.

Wie ist es ihrer Erfahrung nach um die Chancengleichheit am Arbeitsmarkt bestellt - besonders im Hinblick auf die Berufswahl junger Frauen in unserer Region?

In ländlichen Regionen wie unserem Bezirk ist die Chancengleichheit am Arbeitsmarkt leider noch immer nicht gegeben. Gründe dafür sind wohl auch die Weitläufigkeit des Bezirks, weniger öffentlicher Nahverkehr und somit der umständlichere Zugang zu Arbeitsplätzen. Allerdings spielen in unserer Region auch Traditionen eine Rolle, die dazu führen, dass junge Frauen eher schlecht bezahlte „typisch“ weibliche Berufe ergreifen. Nach wie vor ist es auch so, dass kaum Männer in die Väterkarenz gehen und Frauen automatisch in die so genannte „Eltern- oder Familienzeit“. Das ist auch bedingt durch kaum vorhandene ganztägige Betreuungsmöglichkeiten für Kinder am Land und auch oftmals durch Druck aus dem familiären Umfeld. Nach dem Ende der „Eltern- oder Familienzeit“ können Frauen oftmals höchstens in Teilzeit zurückkehren, was meist der Grundstein für die Altersarmut bei Frauen ist. Daher bemühen wir uns im Sinne des „Gender Mainstreaming“ vor allem in der Beruflichen Mädchenberatung, den Selbstwert der Mädchen dahingehend zu stärken, dass sie ihre zukünftige Berufstätigkeit nicht als „Zuverdienst“ im Hinblick auf eine künftige Familiengründung sehen, sondern alle Mittel zu ergreifen, um ein selbst bestimmtes, unabhängiges Leben führen zu können. Im Zuge der Beratung werden auch die Mütter bestärkt, ihre Töchter, die gerade an der Schnittstelle Schule und Beruf stehen, schon vor der eigentlichen Entscheidung auch für technische Berufsfelder zu ermutigen.

Sie schaffen mit ihrer Arbeit im Frauenhaus die „Voraussetzung für ein gewaltfreies Leben“ … klingt eigentlich selbstverständlich – ist es aber für viele dann doch nicht.

Man darf sich unter „Gewalt“ nicht ausschließlich den oder die prügelnde PartnerIn vorstellen – die Formen von Gewalt sind vielfältig. Viele Frauen nehmen lange nicht wahr, dass sie vor allem psychischer Gewalt ausgesetzt sind – dazu gehören schon beispielweise der Rechtfertigungszwang bei den Haushaltsfinanzen, oder eifersüchtiges Verhalten, Telefonkontrollen etc. Auch der Einfluss aus dem familiären bzw. gesellschaftlichen Umfeld trägt dazu bei, dass Frauen oft lange zögern, bis sie Hilfe suchen. Wir versuchen vor allem durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit zu sensibilisieren, sowohl die Frauen als auch ihr Umfeld, aber auch Lehrerinnen und Kindergärtnerinnen. Unser besonderer Dank gilt auch Medien wie dem „Volltreffer“, der diesem Thema immer wieder Raum gibt und damit einen großen Teil zur Bewusstseinsbildung beiträgt.

Wandten Sie im Corona-Jahr mehr Frauen als sonst an die Einrichtung?

Während des ersten Lock-Downs gab es entgegen vieler Pressemeldungen sehr wohl freie Kapazitäten in den Frauenhäusern und kaum Nachfrage. Selbst die Frauenhäuser in den größeren Städten waren so wenig ausgelastet wie nie zuvor. Meine Kolleginnen und ich haben viel darüber diskutiert, warum das so war – wir können nur Vermutungen anstellen, dass durch die Ausgangsbeschränkungen die Hemmschwelle, „zu gehen“ noch viel höher als sonst war, bzw. existentielle Sorgen eine große Rolle spielten. Jetzt im mittlerweile dritten Lockdown hat sich die Situation insofern geändert, dass zwischenzeitlich nicht zuletzt durch Institutionen wie Jugendamt und Familienintensivbetreuung, die am Beginn der Pandemie alle „out of order“ waren, die Nachfrage nach Frauenhausbetten stark anstieg. Im Moment gibt es in Kärnten keinen freien Platz mehr.

Welche Angebote gibt es und wie stelle ich Kontakt her?

Da das heurige Jahr wohl noch von der Pandemie geprägt sein wird, stehen die Beratungsangebote in vollem Umfang zur Verfügung. Beratungen sind auch per Telefon bzw. Online möglich. Gruppenangebote, Feste und Workshops sind vorerst keine geplant. Auch die Sprachkurse in der Migrantinnenberatung finden statt, via ZOOM. Die Kontaktaufnahme erfolgt am besten unter der Tel. 04762/61386, (Frauenhaus), diese ist rund um die Uhr besetzt.

In welchem Ausmaß nahmen Frauen und Mädchen die Hilfe, Beratung und in Anspruch?

Im Jahr 2020 nahmen 400 Frauen unsere Beratungsleistungen in Anspruch, in etwa so viele wie im Jahr zuvor. Sehr viele Beratungen fanden telefonisch statt, daher sind trotz gleichbleibender Anzahl der Kontakte die Beratungsstunden etwas zurück gegangen, weil diese meist kürzer sind als Beratungen in Präsenz. Im Frauenhaus wurden 19 Frauen und 16 Kinder betreut, der Auslastungsgrad liegt bei 90%. Etwas verlängert hat sich die Aufenthaltsdauer, weil es vor allem im ersten Lockdown schwieriger war, Wohnungen zu finden bzw. Gerichts- und Behördentermine wurden verschoben etc.

Abschließend: Unterstützung und Vernetzung machen stark! Althergebrachte, von Männern bestimmte Strukturen sind vor allem am Land verbreitet. Was bräuchte es in Oberkärnten, um hier etwas zu bewegen? Oder sind wir bereits auf einem guten Weg?

Für viele ist „Emanzipation“ ein Reizwort. Ich definiere diese für mich im Sinne der inneren Emanzipation, als Befreiung aus der eigenen Unmündigkeit und Aufbrechen von Rollenbildern und Klischees, welche die persönliche Weiterentwicklung hemmen. Das Ergebnis von „Emanzipation“ soll ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben sein. Leider sind von Männern bestimmte Strukturen gerade im ländlichen Bereich noch immer weit verbreitet. Viele Entscheidungen im beruflichen oder politischen Bereich werden nach wie vor in rein männlich besetzten Gremien getroffen. Selbstverständlich arbeiten wir in unserer Beratungseinrichtung parteiisch für die Frau. Für mich persönlich hat aber die Emanzipation dort ihre Grenzen, wo entgegen dem Gleichheitsgrundsatz die Diskriminierung von Männern beginnt. Die trifft für mich oftmals vor allem bei der Umsetzung der Frauenquote zu – wirtschaftlich und politisch. Ich jedenfalls möchte keine Quotenfrau sein!

Bitte geben Sie in das Textfeld den gewünschten Suchbegriff ein!