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Folge 17
Große Hungersnot
Wenn wir heute an den übervol-
len Regalen unserer Lebensmit-
telmärkte stehen, ist es für viele
und vor allem die jüngere Gene-
ration unvorstellbar, dass vor 100
Jahren und besonders in den letz-
ten Monaten des ersten Welt-
kriegs ungeheuer große Hungers-
not herrschte.
In der Kartitscher Pfarrchronik,
einer damals verlässlichen Infor-
mationsquelle schrieb Pfarrer Jo-
sef Koller für 1918:
„Juni, Juli,
August - große Hungerzei-
ten !!!“
Eine
vom
Staat
gelenkte
„Kriegsgetreide-Verkehrsanstalt“
versuchte bereits seit 1916 mit
Lebensmittelkarten die Versor-
gung zu regeln, doch 1918 waren
die Verkaufsläden leer, es gab
nichts. Auch die in Kartitsch seit
alters übliche Selbstversorgung
der überwiegend bäuerlichen Be-
völkerung funktionierte nicht
mehr, zudem noch im April 1918
von der Behörde die Ablieferung
von 3.000 kg Getreide und 1.500
kg Kartoffel verordnet wurden
Um eigenmächtiges Mahlen
(Schwarzmahlen) zu verhindern,
wurden im Sommer 1918 die
Wasser-und Hausmühlen der
Bauern behördlich gesperrt und
die Türschlösser versiegelt. Beim
Kornschnitt im Herbst 1918
mussten auf behördliche Anord-
nung die Getreidegarben gezählt
werden, wonach entschieden wur-
de, wer Korn abliefern musste
und wer zugeteilt bekam. Natür-
lich funktionierte das nicht, es
kam zu Streit, Missgunst und De-
nunzierung. Besonders benachtei-
ligt waren dabei wie so oft die
Kleinbauern und Kriegswitwen.
In Zeitzeugengesprächen berich-
teten einige und auch abgewan-
derte Kartitscher -innen von der
damaligen Hungersnot, die bei
uns wesentlich ausgeprägter als
beim Zweiten Weltkrieg war,
vom Kräutersammeln für Suppen,
von „habram Broat“, von Pferde-
bohnen, Früchten und ähnlichen
Zutaten als Brotersatz. In Kar-
titsch wurde gegen Herbst 1918
Almvieh, aber auch von den Fel-
dern Erdäpfel gestohlen. In man-
chen Orten „ban Lontö“ (im Pus-
tertal) wurden eigene Feldhüter
zur Bewachung der Felder und
Ernten bestellt, oft auch Militärs,
die sich mangels genügender Ver-
pflegung bei Diebstählen manch-
mal auch selber bedienten. Ihre
Verpflegsrationen wurden dau-
ernd beschnitten, seit Frühjahr
1918 bekamen sie viel zu wenig
Menage (Essen). Das Durch-
schnittsgewicht der k.u.k. Front-
soldaten betrug gegen Kriegende
nur mehr 48 Kilogramm.
In Kartitsch half eine einigerma-
ßen gute Getreideernte im Herbst
1918 über die größte Not hinweg,
in Tilliach drohte eine Hungerka-
tastrophe, die nur durch öffentli-
che Zuwendung aufgefangen wer-
den konnte.
Weltkriegsende
Auch die beiden Wassermühlen von Garber und Kanter wurden 1918 behördlich
gesperrt.