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OBERLIENZerlesen 23

Das Heu stellt den Raum – ehemals die Bauernstube – des Tischziachns dar, welcher ins Freie verlegt wurde.

Wie verändert sich ein Brauch im

Laufe der Zeit? Was passiert,

wenn Brauchtum, Architektur

und Gegenwart zusammentref-

fen? Diesen Fragen gingen die

gebürtige Osttirolerin Daniela

Mitterberger und der aus Rom

stammende Tiziano Derme an-

hand eines Kunstprojektes, wel-

ches am Mittwoch, den 4. April

in Oberlienz eröffnet wurde, nach.

So manch ein Spaziergänger mut-

maßte bereits Tage vorher über

die seltsam anmutenden „Heu-

würste“, welche sich unterhalb des

Oppererweges

übereinander

türmten. Was sollte das darstel-

len? Würste, Gehirnwindungen

oder gar Innereien? Den Spekula-

tionen darüber waren keine

Grenzen gesetzt. Auf die Frage,

was das wirklich darstellen soll,

antwortete die Architektin mit

einem Lächeln im Gesicht: „Das

ist ein Raum aus Heu, welcher

das Tischziachn symbolisiert. Es

zeigt einen Bruch im Ritual. Frü-

her fand das Tischziachn aus-

schließlich in Stuben und Küchen

der Bauernhäuser statt. Als diese

modernisiert wurden, wandelte

sich der Brauch – es gab quasi ei-

nen Bruch im Ritual – und man

begab sich ins Freie.“

Die Künstlerin im Gespräch:

Warum gerade in Oberlienz?

Ich finde den Brauch Krampus

einfach spannend und mir gehört

das Grundstück auf dem wir die

Ausstellung aufgebaut haben.

Woher kam das Heu?

Aus Leisach. In Oberlienz war

aufgrund der Futtermittelknapp-

heit kein Heu zu bekommen. So

wurde ich im Internet über die

Futtermittelbörse des Maschi-

nenrings in Leisach fündig.

Wie wurden diese Heuwürste

gemacht?

Mit einer simplen Christbaum-

kanone und 1.400 Laufmeter

Netz.

Wie viel Heu wurde dafür

benötigt?

Wir haben 2.800 Kilogramm

Heu „verbaut“.

Wieso gerade Heu?

Man ist überrascht, dass es nicht

aus Holz ist. Heu passt in die

Region und spricht alle Sinne an.

Man kann es anfassen, riechen

und sich einfach drauf setzen.

Warum gerade das Tischziachn?

Rituale und Bräuche rufen Emo-

tionen hervor. Mich fasziniert die

Urangst, welche der Krampus in

den Menschen weckt. Heutzutage

kommt man mit dieser nicht

mehr oft in Berührung.

Brauchtum und Gegenwart

von Markus Stotter

© Markus Stotter

Die Kunstschaffenden Daniela

Mitterberger und Tiziano Derme

vor ihrem Kunstwerk.