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Seite 20

02/2016

„Es gibt eine Kraft aus der

Ewigkeit, und diese ist grün.“

(Hildegard von Bingen, 1098 – 1179)

Im zwölften Jahrhundert schrieb

die Benediktinerin und Gelehrte

Hildegard von Bingen ihre

Erkenntnisse über die Heilwir-

kungen der Wildpflanzen nieder.

Noch 900 Jahre später ist ihr

Name für viele Menschen eng

mit der Kräuterheilkunde verwo-

ben. Die Kraft, die in den Pflan-

zen und in allen anderen Lebewesen wirkt, nannte sie

„Grünkraft“. Hildegard von Bingen wusste ebenso wie die

Bauern des Mittelalters, von denen sie einen großen Teil ihres

Wissens vermittelt bekam, vom heilenden Band zwischen

Mensch und Natur.

Heute entdeckt die Wissenschaft atemberaubende Details und

Tatsachen, die sich Hildegard damals selbst in ihren kühnsten

Nächten vermutlich nicht erträumt hätte. Die Pflanzen, die es

ihr so sehr angetan hatten, wirken nicht nur über ihre Inhalts-

stoffe auf uns ein. Was Hildegard von Bingen vermutlich

schon ahnte, wird heute durch die moderne Forschung durch-

leuchtet und aus dem Reich des Mysteriösen auf eine solide

wissenschaftliche Basis gestellt.

„Pflanzen kommunizieren direkt mit unserem Immunsystem

und unserem Unbewussten, ohne dass wir sie auch nur berüh-

ren müssten, geschweige denn schlucken. Diese faszinierende

Interaktion zwischen Mensch und Pflanze, welche die Wissen-

schaft erst allmählich zu verstehen beginnt, ist von großer

Bedeutung für Medizin und Psychotherapie. Sie hält uns kör-

perlich sowie psychisch gesund und beugt Krankheiten vor. In

Zukunft muss die Begegnung mit Pflanzen eine wichtige Rolle

bei der Behandlung von körperlichen Erkrankungen und psy-

chischen Störungen spielen. Es darf keine Klinik, kein Alters-

heim ohne Garten oder Zugang zu Wiesen oder Wäldern mehr

geben, keine Siedlung ohne Naturflächen und keine Stadt ohne

Wildnis.“

Pflanzen heilen uns, ohne dass wir sie zu Tees, Salben, Essen-

zen, Extrakten, Ölen, Düften oder auch zu Tropfen und Tablet-

ten verarbeiten müssen.

Sie heilen uns durch biologische Kommunikation, die unser

Immunsystem und unser Unbewusstes verstehen. Diese Vor-

stellung wäre der guten Hildegard vermutlich zu weit gegan-

gen. Aber Hildegard hatte uns gegenüber einen

entscheidenden Nachteil: Sie lebte noch nicht im Zeitalter der

Neurowissenschaften, der Molekularbiologie und der Immu-

nologie.

Kommunikation wird definiert als Informationsübertragung

zwischen einem Sender und einem Empfänger. Der eine sen-

det Information und der andere empfängt und entschlüsselt sie.

Und das beherrschen Pflanzen sogar ausgesprochen gut.

Damit Kommunikation funktioniert, muss die Information in

irgendeiner Form kodiert werden. Wir Menschen tun das zum

Beispiel durch Sprache. Bestimmte Wörter tragen bestimmte

Bedeutungen und über diese Bedeutungen sind wir uns zumin-

dest so weit einig, dass sprachliche Kommunikation im Alltag

funktioniert. Information kann aber auch ganz anders kodiert

werden. Von Computer zu Computer wird beispielsweise mit

endlosen Reihen von Nullen und Einsen kommuniziert.

Pflanzen kommunizieren, so wie Insekten, über chemische

Substanzen miteinander. Sie senden Moleküle aus, das sind

winzige chemische Einheiten, die aus Atomen bestehen. Diese

Moleküle können durchaus mit der menschlichen Sprache ver-

glichen werden, denn genauso wie unsere Wörter, tragen sie in

der Welt der Pflanzen bestimmte Bedeutungen und somit

Information. Es sind „Pflanzenvokabeln“. Diese Vokabeln

entwischen den Pflanzen keinesfalls nur beiläufig. Pflanzen

geben ihre Kommunikations-Moleküle zweckgerichtet ab und

nicht unkontrolliert.

Ein klassisches Beispiel, Erkenntnisse aus neuester For-

schung: Wenn sie von Schädlingen angegriffen werden, geben

viele Pflanzen Substanzen ab, die andere Pflanzen in der

Nachbarschaft alarmieren. Diese Substanzen tragen die Infor-

mation „Achtung Fressfeinde“ sowie genauere Angaben über

diese Feinde. Ohne selbst schon in Kontakt mit diesen Schäd-

lingen gekommen zu sein, bilden dann die alarmierten Pflan-

zen aus der Nachbarschaft, welche die Botschaft empfangen

haben, vorsorglich Abwehrstoffe gegen die jeweiligen Schäd-

linge. Ihr Immunsystem reagiert also auf die Botschaft und

wird aktiviert. Doch damit nicht genug. Dieselben Kommuni-

kations-Moleküle alarmieren nicht nur andere Pflanzen, son-

dern locken auch natürliche Feinde der Schädlinge an. Diese

Nützlinge rücken dann zum großen Schädlings-Schmaus her-

an. Auf diese Weise kommunizieren Pflanzen also nicht nur

untereinander, sondern auch mit Tieren. Mehr noch: Ihre che-

mischen Botschaften enthalten Informationen über die Art der

Angreifer und das Ausmaß des Befalls.

Inzwischen haben Biologen herausgefunden, dass Pflanzen

auch über „Knackgeräusche“ miteinander kommunizieren, die

sie mit ihren Wurzeln erzeugen. Diese sogenannten bio-akusti-

schen Signale versucht man derzeit zu entschlüsseln.

Pflanzen können also kommunizieren, das steht jetzt fest!

Neu und faszinierend ist, dass wir Menschen diese Sprache,

wohl aufgrund unserer gemeinsamen Jahrmillionen langen

Evolutionsgeschichte, auch verstehen können. Das Sinnesor-

gan dafür scheint unser Immunsystem zu sein. Wissenschaftler

finden eine bahnbrechende Neuigkeit nach der anderen über

unser Immunsystem heraus. Nach und nach wird klar, wie sehr

der Mensch mit seiner Umwelt verbunden und vernetzt ist.

Das Immunsystem ist der Schlüssel zur Gesundheit.

„Wir sind mit der überraschenden Tatsache konfrontiert,

dass es sich beim Immunsystem um ein Sinnessystem handelt,

das fähig ist, wahrzunehmen, zu kommunizieren und zu han-

deln.“

(J. Dimsdale, Prof. für Psychiatrie, San Diego)

Fortsetzung demnächst!

Die grüne Kraft: Heilung aus demWalde

Die Seite für die Gesundheit

mit Doktor Adelbert Bachlechner