CHRONIK
PUSTERTALER VOLLTREFFER
MÄRZ/APRIL 2019
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vergangenen Tagen jedenfalls
nicht viel zu erahnen.
Wuchs in großer
Armut auf
Auch Paul Kollreider, Opa
zweier Volksschüler und Onkel
der Lehrerin, teilte mit den jun-
gen Menschen seine Erinne-
rungen. „Die Schüler waren
sichtlich betroffen und bewegt
von seinen Erzählungen“, be-
richtet Marion Gietl. Kollreider,
der 1933 in Wiesen zu Huiter
zur Welt gekommen war,
wuchs inmitten einer Großfa-
milie und in großer Armut auf.
„Bereits im Kindesalter hütete
er die Ziegen der Bauern der
Fraktion Ried (Anras). Manch-
mal musste er in aller Früh
etwa zehn Kilometer mit diesen
Tieren bis ins Celar – Peintner
Knoten (Alm) aufsteigen“, er-
zählen die Kinder. Doch noch
vor Einbruch der Dunkelheit
musste der damals kleine Bur-
sche die Tiere wieder nach
Hause bringen. „Denndie Bau-
ernfamilien brauchten am
Abend die Milch ihrer Ziegen.“
Einen „Bruck“ Brot
Pauls Mutter gab dem Buben
stets einen „Bruck“ Brot als
Jause mit. „Zum Trinken lieg-
sche unter a Gaß!“, meinte sie.
„Als Kind musste er einmal am
Josefitag bereits um 3 Uhr in
aller Dunkelheit und Kälte al-
lein mit den Ziegen ins Tal auf-
brechen. Zu Hause war kein
Futter mehr zu finden. So sollte
er ein Fleckerl nahe dem
Gruibnhüttl suchen, von dem er
wusste, dass es frei von Schnee
war.“ Voller Angst habe er sich
in den unheimlichen Wald be-
geben. „An Widersprechen war
zu diesen Zeiten nicht zu den-
ums Überleben, wohin man
blickte.
Murmelnde Hirtinnen
„In weiteren Befragungen,
erfuhren die Schüler von ande-
ren Hirten, wie unheimlich es
auf den Almen oft zuging. Sie
erzählten von Furcht erregen-
den Hirten, von murmelnden
Hirtinnen, von ‚Mannsfrauen‘
und wahrlich unappetitlichen
Zeitgenossen, von wilden Blik-
ken, tobenden Beschimpfungen
und düsteren Hütten, von Ge-
wittern und Stürmen, gespen-
stischen Begebenheiten und
grausamen Funden“, so die
Lehrerin, die dankbar für die
Offenheit aller Beteiligten ist,
damit dieser Kalender entste-
hen konnte. Etliche Exemplare
wurden Bürgern als Jubiläums-
geschenk überreicht. Wer einen
solchen Kalender noch ergat-
tern möchte, kann sich an die
Gemeinde Anras oder Lehrerin
Marion Gietl wenden.
Martina Holzer
D
ie 60 Schüler der Volks-
schulen Anras und
Mittewald sind unheimlich
stolz. Sie schufen mit Lehrerin
Marion Gietl etwas, das man
gerne daheim hängen hat, einen
Kalender, der Monat für Monat
anhand von selbstgemalten
Bildern die „Seele“ der Ge-
meinde zum Vorschein bringt
immer auf eine andere Art –
kulturell oder gesellschaftlich –
und vor allem auf Kinderart.
Auch machten sich die Anra-
ser Volksschüler daran, zu den
Monatsthemen in der „Erinne-
rungs-Schatzkiste“ ihrer älteren
Verwandten zu kramen. Etwa
zum Thema „Af da Olbe“.
Und die Kinder stellten sofort
fest: So romantisch ein Alm-
spaziergang oder ein Almsom-
mer auch für die Menschen von
heute sein mag – davon war in
ken.“ Ein anderes Mal brach
sich eine „Gaß“ ein Bein. Der
erschütterte Bub eilte den wei-
ten Weg zurück nach Hause,
um ein Wägelchen zu holen.
„Dort erwartete ihn eine Tracht
Prügel wegen seiner Unauf-
merksamkeit“, erfuhren die
Kinder.
Unheimliche Gestalten
Als Paul ein andermal diesen
Weg in aller Herrgottsfrüh samt
Vieh zurücklegen musste, er-
spähte er in der Dunkelheit
zwei unheimliche Gestalten,
die ihm aus dem Weg gingen.
„Unser Opa ahnte sofort, dass
es sich um zwei Männer aus
dem Dorf handelte, die aus
ihrem Kriegsurlaub nicht wie-
der an die Front zurückkehren
wollten“, erzählen seine Enkel.
Aus Angst vor ihnen habe er
beinahe sein restliches Leben
darüber geschwiegen. „Hätte er
irgendwann ein Wort darüber
verloren, hätte man ihn in To-
desangst zumindest verprü-
gelt.“ Die beiden Männer
waren lediglich auf der Suche
nach Lebensmitteln gewesen,
ehe sie sich wieder verstecken
mussten. Angst und Kampf
Auch Paul Kollreider wurde
von den Kindern interviewt,
und er erzählte von harten
Zeiten, die er als Kind durch-
machen musste.
Diese Kalenderbilder wurden
von den 60 Schülern der Volks-
schulen Anras und Mittewald
gestaltet.
1.250 Jahre ist die Gemeinde Anras bereits alt.
Das war Anlass für Volksschullehrerin Marion
Gietl mit Schülern einen Kalender zu gestalten
und in Erinnerungen älterer Generationen einzu-
tauchen.
Die Gegend, in welcher der kleine Paul hüten musste… „Seealbl“ oberhalb der Celar Alm.
Volksschüler fingen die
„Seele“ des Dorfes ein