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CHRONIK

PUSTERTALER VOLLTREFFER

MÄRZ/APRIL 2019

26

vergangenen Tagen jedenfalls

nicht viel zu erahnen.

Wuchs in großer

Armut auf

Auch Paul Kollreider, Opa

zweier Volksschüler und Onkel

der Lehrerin, teilte mit den jun-

gen Menschen seine Erinne-

rungen. „Die Schüler waren

sichtlich betroffen und bewegt

von seinen Erzählungen“, be-

richtet Marion Gietl. Kollreider,

der 1933 in Wiesen zu Huiter

zur Welt gekommen war,

wuchs inmitten einer Großfa-

milie und in großer Armut auf.

„Bereits im Kindesalter hütete

er die Ziegen der Bauern der

Fraktion Ried (Anras). Manch-

mal musste er in aller Früh

etwa zehn Kilometer mit diesen

Tieren bis ins Celar – Peintner

Knoten (Alm) aufsteigen“, er-

zählen die Kinder. Doch noch

vor Einbruch der Dunkelheit

musste der damals kleine Bur-

sche die Tiere wieder nach

Hause bringen. „Denndie Bau-

ernfamilien brauchten am

Abend die Milch ihrer Ziegen.“

Einen „Bruck“ Brot

Pauls Mutter gab dem Buben

stets einen „Bruck“ Brot als

Jause mit. „Zum Trinken lieg-

sche unter a Gaß!“, meinte sie.

„Als Kind musste er einmal am

Josefitag bereits um 3 Uhr in

aller Dunkelheit und Kälte al-

lein mit den Ziegen ins Tal auf-

brechen. Zu Hause war kein

Futter mehr zu finden. So sollte

er ein Fleckerl nahe dem

Gruibnhüttl suchen, von dem er

wusste, dass es frei von Schnee

war.“ Voller Angst habe er sich

in den unheimlichen Wald be-

geben. „An Widersprechen war

zu diesen Zeiten nicht zu den-

ums Überleben, wohin man

blickte.

Murmelnde Hirtinnen

„In weiteren Befragungen,

erfuhren die Schüler von ande-

ren Hirten, wie unheimlich es

auf den Almen oft zuging. Sie

erzählten von Furcht erregen-

den Hirten, von murmelnden

Hirtinnen, von ‚Mannsfrauen‘

und wahrlich unappetitlichen

Zeitgenossen, von wilden Blik-

ken, tobenden Beschimpfungen

und düsteren Hütten, von Ge-

wittern und Stürmen, gespen-

stischen Begebenheiten und

grausamen Funden“, so die

Lehrerin, die dankbar für die

Offenheit aller Beteiligten ist,

damit dieser Kalender entste-

hen konnte. Etliche Exemplare

wurden Bürgern als Jubiläums-

geschenk überreicht. Wer einen

solchen Kalender noch ergat-

tern möchte, kann sich an die

Gemeinde Anras oder Lehrerin

Marion Gietl wenden.

Martina Holzer

D

ie 60 Schüler der Volks-

schulen Anras und

Mittewald sind unheimlich

stolz. Sie schufen mit Lehrerin

Marion Gietl etwas, das man

gerne daheim hängen hat, einen

Kalender, der Monat für Monat

anhand von selbstgemalten

Bildern die „Seele“ der Ge-

meinde zum Vorschein bringt

immer auf eine andere Art –

kulturell oder gesellschaftlich –

und vor allem auf Kinderart.

Auch machten sich die Anra-

ser Volksschüler daran, zu den

Monatsthemen in der „Erinne-

rungs-Schatzkiste“ ihrer älteren

Verwandten zu kramen. Etwa

zum Thema „Af da Olbe“.

Und die Kinder stellten sofort

fest: So romantisch ein Alm-

spaziergang oder ein Almsom-

mer auch für die Menschen von

heute sein mag – davon war in

ken.“ Ein anderes Mal brach

sich eine „Gaß“ ein Bein. Der

erschütterte Bub eilte den wei-

ten Weg zurück nach Hause,

um ein Wägelchen zu holen.

„Dort erwartete ihn eine Tracht

Prügel wegen seiner Unauf-

merksamkeit“, erfuhren die

Kinder.

Unheimliche Gestalten

Als Paul ein andermal diesen

Weg in aller Herrgottsfrüh samt

Vieh zurücklegen musste, er-

spähte er in der Dunkelheit

zwei unheimliche Gestalten,

die ihm aus dem Weg gingen.

„Unser Opa ahnte sofort, dass

es sich um zwei Männer aus

dem Dorf handelte, die aus

ihrem Kriegsurlaub nicht wie-

der an die Front zurückkehren

wollten“, erzählen seine Enkel.

Aus Angst vor ihnen habe er

beinahe sein restliches Leben

darüber geschwiegen. „Hätte er

irgendwann ein Wort darüber

verloren, hätte man ihn in To-

desangst zumindest verprü-

gelt.“ Die beiden Männer

waren lediglich auf der Suche

nach Lebensmitteln gewesen,

ehe sie sich wieder verstecken

mussten. Angst und Kampf

Auch Paul Kollreider wurde

von den Kindern interviewt,

und er erzählte von harten

Zeiten, die er als Kind durch-

machen musste.

Diese Kalenderbilder wurden

von den 60 Schülern der Volks-

schulen Anras und Mittewald

gestaltet.

1.250 Jahre ist die Gemeinde Anras bereits alt.

Das war Anlass für Volksschullehrerin Marion

Gietl mit Schülern einen Kalender zu gestalten

und in Erinnerungen älterer Generationen einzu-

tauchen.

Die Gegend, in welcher der kleine Paul hüten musste… „Seealbl“ oberhalb der Celar Alm.

Volksschüler fingen die

„Seele“ des Dorfes ein