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OSTTIROLER

NUMMER 11-12/2018

3

HEIMATBLÄTTER

als „Italiener“, auf dessen Patriotismus

man sich nicht mehr verlassen wollte.

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Zu Beginn seiner Karriere als Bezirks-

hauptmann von Lienz wurde Erich Kneußl

sogleich mit einem Osttiroler Einzelphä-

nomen, dem „Lienzer Nationalrat“ kon-

frontiert. In diesen wirren Wochen nach

Kriegsende war durch die zurückströmen-

den und meistens führungslosen Soldaten

eine besondere Gefahr gegeben. Die Stadt

Lienz war insofern sehr betroffen, als hier

die durch das Pustertal herabkommenden

Züge halten mussten und die Versuchung

zu Plünderungen besonders groß war. Der

Bezirk stand nach dem Abgang von Be-

zirkshauptmann Josef Rossi ohne politi-

sche Führung da. Nachdem sich der bishe-

rige Tiroler Landtag zum „Tiroler Natio-

nalrat“ erklärt und die Aufrechterhaltung

von Ruhe, Ordnung, Verwaltung und Ver-

sorgung übernommen hatte, bildete sich

Anfang November 1918 im Bezirk Lienz

ebenfalls ein „Nationalrat“ mit denselben

Aufgaben, da fast alle Verbindungen zu

den Amts- und Regierungsstellen in Inns-

bruck unterbrochen waren. Beim Zustan-

dekommen war der Lienzer Altbürgermeis-

ter und Landtagsabgeordnete Josef Anton

Rohracher federführend.

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Über diesen „Nationalrat“ notierte Erich

Kneußl in seinen Lebenserinnerungen:

Wie erwähnt, übte, als ich nach Lienz

kam, die eigentliche Verwaltung nicht die

Bezirkshauptmannschaft, sondern der so-

genannte Osttiroler Nationalrat aus, inso-

weit einzelne Gemeinden nicht überhaupt

eigene Wege gingen. Dieser bestand aus

Vertretern der großdeutschen, sozialdemo-

kratischen und christlichsozialen Partei des

Bezirkes, die sich selbst dazu ernannt hat-

ten.

[…]

Eine der ersten Taten dieses Na-

tionalrates war die Erklärung der Unab-

hängigkeit des Bezirkes Lienz von Deutsch-

österreich und seines Anschlusses an das

Deutsche Reich als ‚Deutscher Gau Ost-

tirol‘. Ein gewisser Dr. Alois Grimm aus

Hopfgarten in D. stammend, besorgte dem

neuen Gau Briefmarken, wozu österreichi-

sche Marken mit dem Aufdruck ‚Osttirol‘

verwendet wurden. Dieselben wurden

zwar beim Postamt Lienz durch kurze Zeit

hindurch ausgegeben, aber meines Wissens

nur in Einzelfällen zu Freimachung von

Poststücken verwendet. Später wurden sie

als Seltenheiten in Venedig in den Handel

gebracht, verschwanden aber sehr bald

wieder.

[…]

Eine der Hauptaufgaben, die

sich der Nationalrat gestellt hatte, war die

Regelung des Verpflegungswesens und der

Verwertung der Unmengen zurückgelasse-

nen Militärgüter.

[…]

Bei dieser Sachlage

erkannte ich bei meiner Ankunft in Lienz

gleich, dass mit den üblichen Regierungs-

methoden die Autorität der Regierung und

für Ordnung im Bezirk nicht hergestellt

werden konnte. Insbesonders erschien es

mir untunlich, dem Nationalrat die sich

von ihm angemaßten Befugnisse abzuneh-

men.

[…]

Anderseits musste anerkannt

werden, dass der Nationalrat vielfach auch

recht ersprießliche Arbeit leistet und der

Bezirkshauptmannschaft häufig unange-

nehmen Agenden abnahm. Bei dieser Sach-

lage wählte ich die, wie sich zeigte, einzige

richtige Lösung, die darin bestand, dass

ich den Nationalrat weiter beraten ließ, im

übrigen aber die Verwaltung selber in die

Hand nahm und die Durchführung seiner

Beschlüsse ihm selber überließ.“

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In der Nachkriegszeit beteiligte sich

Erich Kneußl maßgeblich am Wiederauf-

bau vieler vom Krieg in Mitleidenschaft

gezogener Gemeinden im Pustertal, wie er

es auch schon in seiner Funktion als Leiter

der Bezirkshauptmannschaft von Cortina

d‘Ampezzo getan hatte:

„Osttirol, wie man

den Bezirk Lienz seit der Abtrennung Süd-

tirols nennt, war immer ein armer Bezirk,

In der Zeit der Unsicherheit über das wei-

tere Schicksal des Bezirks Lienz wurden

von privater Seite Postwertzeichen mit dem

Überdruck „Deutscher / Gau / Osttirol“

auf den deutschösterreichischen Brief-

marken ausgegeben. Beim abgebildeten

Beispiel handelt es sich um einen goldfar-

benen Aufdruck auf einer 10 Heller-Marke

in der Größe von 20 x 30 mm.

Foto: Hermann Sanbach

Ein Blick auf Kartitsch (oben) und der Weg ins Villgratental mit Burg Heinfels im Hin-

tergrund. Im Zuge seiner dienstlichen Tätigkeiten, aber auch privaten Vorlieben, Land

und Leute kennenzulernen, besuchte Erich Kneußl alle Regionen „seines“ Bezirks. Die

von ihm angefertigten Fotografien sind heute wertvolle Bildquellen für den Nachweis von

Landschafts- und Ortsbildveränderungen.