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Es scheint eine lokale Tradition gewesen

zu sein, dass der auf der Westseite des Turms

der Tristacher Pfarrkirche St. Laurentius in

einer Höhe von ca. 4,5 m etwas versenkt ein-

gelassene Reliefstein von der Ruine Ehren-

berg stamme und das Wappen des darauf

sitzenden Geschlechts wiedergebe.

Zugegeben, der Bildinhalt des Reliefs ist

schwer zu erkennen. Daher hat sich der

Verfasser dieses Beitrags in seiner Publi-

kation „Osttirol. Der Bezirk Lienz. Seine

Kunstwerke, historischen Lebens- und

Siedlungsformen“ von 1974

1

sehr vor-

sichtig ausgedrückt: „schwer datierbarer

Reliefstein“ und bei der Bearbeitung des

Abschnitts Tristach im Kunsthandbuch

DEHIO

2

immerhin den Vermerk „rö-

misch?“ angebracht.

Als in den 1970er-Jahren allgemein der

Wunsch nach einem eigenen Wappen er-

wachte, da haben sich auch die Gemeinden

diesem Trend nicht verschlossen. Zu den

relativ wenigen Stadt- und Marktgemein-

den Tirols kamen nun laufend neu „kons-

truierte“ Wappen von Dorfgemeinden.

Die Geschichte des Wappens von Tris-

tach – rekonstruierbar mit den im Tiroler

Landesarchiv in Innsbruck erhaltenen

Schriftstücken

3

– beginnt mit einem Ak-

tenvermerk des damaligen Archiv-

direktors HR Dr. Eduard Widmoser vom

2. Juli 1975:

„Der Landesarchivdirektor besprach

am 30. Juni 1975 in Tristach mit dem

Bürgermeister die Frage des Gemeinde-

wappens für Tristach. Der Bürgermeister

wies den Landesarchivdirektor auf das

Wappen an der Westseite des Turmes hin,

das einen Löwen, der eine Sense abstreckt,

zeigt. Dieses Wappen gehört zum Schloß

Ehrenberg. Der Landesarchivdirektor er-

klärte sich einverstanden, dieses Wappen

als Vorwurf für das Gemeindewappen zu

nehmen. Er bat um ein Foto.“

Archivdirektor Dr. Widmoser hat den

Tristacher Bürgermeister Florenz Ober-

guggenberger sicherlich dahingehend in-

formiert, dass für eine Wappenverleihung

ein entsprechender Gemeinderatsbe-

schluss und daraufhin ein Ansuchen an die

Tiroler Landesregierung nötig seien.

Der Gemeinderatsbeschluss erfolgte am

14. August 1975; bald darauf langte das

Ansuchen um Wappenverleihung beim

Amt der Tiroler Landesregierung ein. Der

zuständige Abteilungsvorstand (Abteilung

I b) beauftragte am 6. Oktober das Tiroler

Landesarchiv,

„im Einvernehmen mit der

antragstellenden Gemeinde einen Wappen-

entwurf auszuarbeiten und vorzulegen“

.

In diesem Sinn wandte sich Archiv-

direktor Dr. Widmoser am 10. Oktober

1975 an den Tristacher Bürgermeister und

bat um ein Foto des Reliefsteins vom

Turm der Pfarrkirche mit dem Bemerken:

„Ich glaube, daß dieses Wappen für

Tristach richtig wäre und wohl auch dem

Wunsch der Gemeindebürger entspricht.“

Das Landesarchiv erhielt mit Schreiben

des Tristacher Bürgermeisters vom 16.

Oktober 1975 drei Aufnahmen.

Die künstlerische Ausarbeitung des

Wappens wurde der akademischen Gra-

phikerin Edda Reinl übertragen, die also

einen liegenden Löwen mit Sense unter

Verwendung der Farben Gold und Rot ent-

warf. Diese Vorlage wurde in der Trista-

cher Gemeinderatssitzung vom 16. März

1976 einstimmig angenommen und dar-

aufhin vom Archivdirektor am 18. März

1976 an die Landesregierung, Abteilung

I b, zur weiteren Veranlassung übersandt.

Genau zwei Monate später beschloss die

Landesregierung die Verleihung des

Wappens, worauf die Urkunde ausgestellt

wurde, die das Gemeindeamt in Tristach

schmückt:

„Die Tiroler Landesregierung hat in der

Sitzung vom achtzehnten Mai neunzehn-

hundertsechsundsiebzig der Gemeinde

Tristach folgendes in der Urkunde darge-

stellte Wappen verliehen: In rotem Schild

ein liegender nach links gewendeter gol-

dener Löwe, eine goldene Sense haltend.

Das Wappen erinnert an das Tristacher

Geschlecht der Herren von Erenberg,

deren Burg bereits im dreizehnten Jahr-

hundert verfallen ist. Das Wappen der Er-

enberger ist heute am Kirchturm von Tris-

tach eingemauert. Die Urkunde wird

durch die Unterzeichneten und das Lan-

dessiegel beglaubigt. Gegeben zu Inns-

bruck am neunzehnten Juni neunzehnhun-

dertsechsundsiebzig.“

– Die Urkunde

wurde von Landeshauptmann Eduard

Wallnöfer, den Mitgliedern der Landes-

regierung und vom Landesamtsdirektor

unterzeichnet.

Es ist eigenartig, dass die lokale Inter-

pretation des Reliefsteins von niemandem,

auch nicht vom Archivdirektor und Histo-

riker Dr. Eduard Widmoser, hinterfragt

und auch der Reliefstein nicht genau be-

gutachtet worden ist.

4

Bei einer Besichtigung aus der Nähe

muss festgestellt werden, dass eine Sense

nicht zu erkennen ist. Der vermeintliche

Stiel erscheint überdies nicht erhaben, wie

das übrige Relief, sondern ist leicht vertieft

und dürfte daher auf eine Beschädigung

zurückzuführen sein. – Von einem Sen-

senblatt ist überhaupt nichts zu bemerken,

dafür ist recht deutlich ein Teil eines Ge-

fäßes zu erkennen.

Die Form des Reliefsteins wäre für ein

Wappen undenkbar, da der Wappenschild

fehlt. Es könnte sich höchstens um eine

Tierdarstellung handeln, die auch imWap-

penbild verwendet worden wäre.

Das Geschlecht der Ehrenberger besaß

aber kein eigenes Wappen, da es der görzi-

schen Ministerialenfamilie der Flasch-

berger angehörte und somit ein ganz ande-

res Wappen besaß.

5

– Es ist übrigens nicht

nachweisbar, ob der Tristacher Reliefstein

überhaupt aus der Ruine Ehrenberg

stammt. Auf jeden Fall könnte es sich nur

um einen Marmorblock in Zweitverwen-

dung gehandelt haben, der irgendwann am

Kirchturm eingemauert worden ist.

Bemerkung am Rand: Die Ruine Ehren-

berg liegt nicht im Gemeindegebiet von

Tristach, sondern von Amlach!

Anmerkungen:

1 Meinrad Pizzinini, Osttirol. Der Bezirk Lienz – Seine

Kunstwerke, historischen Lebens- und Siedlungsformen

(= Österreichische Kunstmonographie, Bd. VII), Salzburg

1974, S. 315.

2 DEHIO-HANDBUCH. Die Kunstdenkmäler Öster-

reichs. Tirol, Wien 1980, S. 819.

3 Innsbruck, Tiroler Landesarchiv, Wappenakt Tristach.

4 So auch bei Emma Totschnig, Die Güter der Grafen von

Görz, ihrer Ministerialen und Dienstleute (5), in: Ostti-

roler Heimatblätter, 56 Jg., 3/1988.

5 Wilfried Beimrohr, Ehrenberg, in: Tiroler Burgenbuch IX

– Pustertal, Bozen-Innsbruck-Wien 2003, S. 531-533.

O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r

72. Jahrgang – Nummer 5

Meinrad Pizzinini

Das Gemeindewappen von Tristach – ein Irrtum?

Blick auf die Nordseite der Pfarrkirche

St. Laurentius in Tristach; auf der West-

seite des Turms ist ein Reliefstein einge-

lassen (siehe Pfeil), dessen Bildinhalt

lange Zeit falsch interpretiert worden ist,

jedoch als Grundlage für das Gemeinde-

wappen diente.

Foto: M. Pizzinini

Ein nach (heraldisch) links gewandter

goldener Löwe auf rotem Grund – das

Wappen der Gemeinde Tristach.