November 2018 Dölsacher Dorfzeitung Seite 3
In den Erzählungen sind oft Kurz-
Szenen aus früheren Zeiten, aber
auch aus der jüngsten Vergangenheit
in „heutige“ Perspektive umgesetzt.
– Beispiele: „Der Geheimplatz“,
„Der Bub“, „Kinderparty“, worin
nicht nur die eigene Lebensform,
sondern etwa auch das Schicksal von
Flüchtlingskindern konkret sichtbar
und empfindbar gemacht wird.
Für das erzählende „Ich“, in dem zu-
weilen – nicht immer – die Autorin
in ihrem Einst und Jetzt erkennbar
ist, sind als „Dialogpartner“ fast
immer Phänomene der Natur gegen-
wärtig: Berge, Pflanzen, Tiere,
Regen, Sonne, Mond, Sterne und
mehr.
Beispiel aus der Erzählung „Enzian-
blau“: „Auftauchen und eintauchen –
in einer Sekunde los! Jetzt die Gruppe Enziane da.
Die Wiese – ihre Stirnfransen sind gekämmt – als
brauner Spiegel. Ich, wie man mit zwölf nur ist, un-
berührbar schön, die erste Bluse, die enge Schoß an.
Stauden zeigen Waden. Eschen Figur. Eichen Kontur.
Durchsichtige Waldesseele.“
Solche Personifizierungen von Naturgegenständen und
auch von Bildern – vor allem Farben – und Tönen der
Kunst machen die in den Erzählungen, aber auch in
den Gedichten und Aphorismen dargestellte „Welt“
grundsätzlich zum Gleichnis. – Beispiel aus einem Ge-
dicht: „Wenn wir zwei Nussbaumblätter sind, / uns
räkeln im Wind, […] und jedes beten kann, / wie ge-
schieht uns dann?“ Beispiel: der letzte Aphorismus:
„Die Sonne sein, auch wenn sie nicht scheint.“
Entscheidend für Gehalt und Gestalt dieses Buches
sind die darin vorgenommenen Verkürzungen: Außer
der ersten überschreitet kaum eine Erzählung die
Hälfte oder höchstens zwei Drittel einer Seite. Meis-
tens sind es „Anekdoten“ oder – wie die Autorin sie
nennt – „Miniaturen“. Beide Ausdrücke weisen auf
Reduktion sprachlicher Prozesse hin: Auch die Ge-
dichte sind in kurzen Verszeilen und überschaubaren
Strophenfolgen geformt, und die Aphorismen auf
einen oder höchstens zwei Sätze beschränkt. Schwei-
gen und Stille nehmen zu.
Folge: „Ein Buch hat Schwimmflügel aus Ewigkeit.“
Univ.-Prof. Dr. Walter Methlagl
Geleitwort zum neuen Buch „Die Schuhe
sind meine Heimat“ von Gertraud Patterer
„Schuhe“ sind wichtigste Mit-
tel für „Bewegung“ – vorwärts,
rückwärts, aufwärts, abwärts
und nach allen Seiten. Als
„Heimat“ gilt normalerweise
eine seit langem vertraute Le-
benswelt, ein Ort sozialer Zu-
gehörigkeit, also etwas „Blei-
bendes“. Auf „Heimatliches“
ist im Untertitel dieses Werkes
auch mit dem Bezug auf „Ost-
tirol“ angespielt.
Dass im Haupttitel „Schuhe“
mit „Heimat“ identifiziert
sind, weist also auf den Aus-
gleich von etwas ursprünglich
Gegensätzlichem hin – auf
bleibend Bewegendes und auf
bewegend Bleibendes. Von
solchen Kontrasten sind die
hier enthaltenen 25 Erzählungen, 20 Gedichte und
60 Aphorismen vielfach geprägt.
Erzählerische Bewegung entsteht in diesen Texten
oftmals durch Gegensätze, einige Male auch durch
die „Widersprüchlichkeit“ zwischen deutscher Hoch-
sprache und Osttiroler Mundart, die Gertraud Patterer
seit ihrer Kindheit beherrscht und auch in zahlreichen
Schriften, vor allem auch in ihrer 350 Seiten starken
Autobiografie „Heint isch die Sunne zum Boch trin-
ken gong“ (2001), literarisch (oft auch lyrisch) ein-
gesetzt hat.
Ein „sprechendes“ Beispiel dafür ist die erste Erzählung:
„Im Ringlogarten“ schildert die Autorin, auch autobio-
grafisch, einen Besuch der elfjährigen „Traudl“ und ihrer
Großmutter bei der Schwester ihres Großvaters in Inns-
bruck. In dieser nach außen hin fast „zweisprachigen“
Schilderung erweitert sich die Mundart auf die Hoch-
sprache hin und diese erweitert sich zurück, hin auf die
Mundart. Nicht nur der Inhalt, sondern auch die weithin
klangliche Darstellungsform dieses Textes präsentiert
also etwas bewegend Bleibendes (Kindheit, Heimat) und
zugleich etwas bleibend Bewegendes (Muttersprache,
Hochsprache) – also gleichzeitiges „Schreiten“ zurück
in eine sprachlich verinnerlichte Vergangenheit und vor-
aus zu einer, auch für uns Lesende, sprachlich spannend
sich erneuernden Gegenwart.
Rückblicke zur Deutung von Gegenwart und Zukunft
erfolgen in den Texten dieses Buches immer wieder.
Foto: Dina Mariner