Seite 39 - Gemeindezeitungen

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Virgen
Aktiv
Österreich vor 70 Jahren
I
39
1944
Jeder, dessen Gehirn nicht von den
nationalsozialistischen Siegesparolen
umnebelt war, musste in diesem Jahr zur
Kenntnis nehmen, dass sich der Krieg
dem Ende zuneigte und dass ihn
Deutschland auf keinen Fall gewinnen
würde. So sah die Situation aus:
Die Luftangriffe der Alliierten auf
Städte und Industrieanlagen im „Alt-
reich“ wie in der „Ostmark“ nahmen
an Häufigkeit und Intensität zu
Im Osten drängten sowjetische Trup-
pen die deutsche Front immer weiter
zurück
Im Süden (Griechenland, Jugosla-
wien, Italien) fanden verlustreiche
Kämpfe gegen starke Partisanenver-
bände statt, die von regulärem Mili-
tär unterstützt wurden
Als die westlichen Verbündeten
schließlich Frankreich, Belgien und
Holland befreiten, war Hitlers Tau-
sendjähriges Reich rundum, außer
im Norden, von Feinden umzingelt
Trotz der aussichtslosen militärischen
Lage und eklatanter Versorgungseng-
pässe ging das Hinschlachten von Juden
ungebremst weiter; dafür standen immer
Transportmittel zur Verfügung, die an-
derswo dringender gebraucht worden
wären.
4. Jänner:
Die polnische Ostgrenze
wurde von der Roten Armee überschrit-
ten
20. – 25. Februar:
Schwere Luftangriffe
gegen die deutsche Rüstungsindustrie
4. März:
Beginn der sowjetischen Groß-
offensive in der Ukraine
17. März:
Luftangriff auf Wien
30. März:
Luftangriff auf Nürnberg
März/April:
Deportation der griechi-
schen Juden
12. April:
Bombardierung von Wien
12. Mai:
Nach heftigen Gefechten rück-
ten die Alliierten in Italien weiter vor
4. Juni:
Widerstandslose Befreiung
Roms durch westliche Truppen. Der
deutsche Feldmarschall Albert Kesselring
hatte es abgelehnt, in der „ewigen Stadt“
zu kämpfen
Mai – Juli:
Deportation von 440.000
Juden aus Ungarn in das Vernichtungs-
lager Auschwitz, wovon rund 320.000
innerhalb kürzester Zeit ermordet wur-
den
6. Juni:
Der sogenannte „D-Day“ – die
Landung alliierter Verbände in der Nor-
mandie. Aus englischen Häfen fuhren
20.000 Schiffe über den Kanal und setz-
ten an fünf Stellen insgesamt 135.000
Soldaten ab, die in Küstennähe starke
Brückenköpfe bildeten. Dadurch konnte
Nachschub geliefert und mit der Befrei-
ung Westeuropas begonnen werden. Die
folgenden Kämpfe forderten allerdings
auf beiden Seiten ungeheure Verluste an
Menschen und Material
20. Juni:
Eine unglaublich gut organi-
sierte Aktion sowjetischer Partisanen:
10.000 (!) Sprengungen legten an die-
sem Tag das gesamte Eisenbahnnetz im
Bereich der Heeresgruppe Mitte lahm,
sodass die Versorgung der deutschen
Verbände für lange Zeit unterbrochen
wurde.
20. Juli:
Attentat auf Hitler! Es war
durch einen Kreis von hochrangigen
Offizieren bestens vorbereitet, sodass
man dem „Führer“ eigentlich keine
Chance zum Überleben einräumen
konnte. Dann wären die anderen „Nazi-
bonzen“ ausgeschaltet worden, und das
Deutsche Reich hätte unmittelbar darauf
Friedensverhandlungen angeboten. Klei-
nigkeiten und Zufälle verhinderten den
Erfolg.
Der Attentäter: Graf Claus von
Stauffenberg, 1943 schwer verwun-
det (linkes Auge verloren, die ganze
rechte Hand und dazu noch zwei
Finger links amputiert), wurde am
1. Juli zum „Oberst im Generalstab“
befördert und durfte seitdem an den
Lagebesprechungen teilnehmen.
Die Örtlichkeit: Ein weitläufiges
Bunkersystem in Ostpreußen, nahe
der Grenze zu Russland. Auf dem
„Wolfsschanze“ genannten Territo-
rium gab es auch einige Wohnhäuser
und Baracken.
Der Ablauf: Stauffenberg gelang es,
zwei Bomben durch alle Kontrollen
zu bringen. Das Einstellen der Zeit-
zünder bereitete ihm aber mit nur
drei Fingern der linken Hand große
Schwierigkeiten, er geriet in Zeitnot
und konnte bloß einen Sprengkörper
scharfmachen. Den stellte er in seiner
Aktentasche nahe von Hitlers Platz
unter den Kartentisch. Dann gab er
vor, telefonieren zu müssen und ver-
ließ den Raum.
Die Kleinigkeiten und Zufälle:
a) Wegen des strahlend schönen, hei-
ßen Tages fand die Besprechung
nicht im Bunker, sondern in einer
der Baracken bei geöffneten Fens-
tern statt, sodass die Wirkung der
Bombe zu einem Großteil ver-
puffte. Wären beide, wie vorge-
sehen, gleichzeitig „hochgegan-
gen“, hätte das wohl kaum je-
mand überlebt.
b) Einer der Offiziere schob die ihn
störende Aktentasche hinter einen
Tischfuß.
c) Genau zu dem Zeitpunkt, als der
Sprengsatz detonierte, beugte sich
Hitler weit über die massive
Tischplatte und war deshalb gut
„abgeschirmt“. Durch die Explo-
sion wurden vier Personen getötet,
ihr eigentliches „Ziel“ trug aber
ÖSTERREICH VOR 70 JAHREN
E ist der fünfte Buchstabe des Alphabets;
O5 bedeutet daher OE, eine Abkürzung für
OESTERREICH. ImGegensatz zum offi-
ziellen Namen „Ostmark“ verwendeten
manche Gruppen der österreichischen
Widerstandsbewegung O5 seit 1944 als
Code, der an Kirchen und öffentlichen
Gebäuden hingepinselt wurde.
Diese beiden Zeichen neben demHaupttor
des Stephansdoms in Wien hat man viele
Jahre später, als die ursprüngliche Farbe
kaum noch zu sehen war, eingraviert; sie
stehen mittlerweile unter Denkmalschutz.