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REPORTAGE

PUSTERTALER VOLLTREFFER

MAI/JUNI 2018

30

Magdalena K., die am

Eingang des Pusterta-

les daheim ist, fühlt

sich im Grunde vom

Leben schwer benach-

teiligt. Dennoch hängt

sie daran, macht das

Beste daraus und ver-

spürt immer noch Le-

bensfreude.

Die heute 72-Jährige ist eine

erstaunliche Frau. Trotz ihrer

seelischen und körperlichen

Gebrechen steht sie immer

noch aufrecht da und freut sich

über die kleinen, oft unschein-

bar wirkenden Dinge des

Lebens. „Genau diese Dinge

geben mir immer wieder Mut

und Kraft fürs Weitermachen“,

erklärt sie. Mittlerweile hat sie

den Blick auf diese Kraftspen-

der sehr geschärft. „Mir fällt so

viel Schönes auf, das andere

nicht sehen. Das empfinde ich

als Geschenk“, setzt sie nach.

Wer Magdalenas Lebensge-

schichte kennt, kann kaum

glauben, dass diese Frau noch

Lebenswille an den Tag legen

kann. Obwohl sie sagt: „Ich

fühle mich vom Leben schwer

benachteiligt.“ Bereits ihre

Kindheit war von ständiger

Angst geprägt. Ihre Mutter war

ledig und Magdalena ihr einzi-

ges Kind. „Ich war, weil meine

Mutter nicht verheiratet war,

auch keinen Partner hatte,

vielen Attacken ausgesetzt, vor

allem in der Schule oder in

unserer Umgebung. Mir wurde

immer vermittelt, dass meine

Mutter eine Schlampe sei und

ich auch nichts Besseres sein

könnte und mir deshalb noch

Schlimmes geschehen werde.

Letzteres hat mir riesige Angst

gemacht. Es hat sich regelrecht

in mein Gehirn eingebrannt.“

Gewalttätiger Hausherr

Als dann die Mutter an Krebs

erkrankte und schon vier Wo-

chen nach Diagnosestellung

verstarb, begann für Magdalena

die Hölle auf Erden. „Ich wollte

meine Mutter nach ihrem Tod

unbedingt noch sehen. Aber

man ließ mich nicht. Das nagt

bis heute an mir“, erzählt Mag-

dalena, die bei einer Pflege-

familie untergebracht wurde.

Der dortige Hausherr, der gerne

über den Durst trank, war

jedoch alles andere als gut zu

ihr. Tägliche Schläge und

Beschimpfungen standen auf

der Tagesordnung. „Obwohl

ich oft gar nicht wusste, warum

er zuhaute. Ich war meist voller

blauer Flecken und Striemen

am Rücken von seinem Gürtel.

Die Lehrer sahen dies, aber nie-

mand unternahm etwas.“

„Ich weinte sehr viel“

Von den Schlägen trug Mag-

dalena so manche Verstümme-

lung davon, die sie bis heute mit

Kleidung zu verstecken ver-

sucht. „Den seelischen Schmerz

konnte ich aber nicht verste-

cken. Ich weinte sehr, sehr viel.

Auch weil ich meine Mutter

wahnsinnig vermisste. Das Wei-

nen an sich war oft mein einzi-

gelangte Magdalena nach Kärn-

ten, wo sie nach Arbeit suchte.

Sie hatte ein wenig Geld in der

Tasche, das der Bursch seinem

Vater gestohlen hatte.

Verhängnisvolles

Jobangebot

Die Arbeitssuche gestaltete

sich allerdings schwierig. „Bis

eines Tages ein Mann zu mir

sagte, er hätte wohl einen Job

für mich, bei dem ich gut ver-

es zu entkommen. Sie hatte aber

niemanden, zu dem sie flüchten

konnte. „Ich war völlig alleine

auf mich gestellt, orientierungs-

los, verzweifelt, einsam.“ Mag-

dalena fiel nur mehr eines ein:

die Kirche. „Ich suchte das

nächste Gotteshaus auf, setzte

mich hinein und nahm mir vor,

es nie wieder zu verlassen.“

Hilfe vom Kloster

Dem dortigen Pfarrer fiel das

völlig verstörte und vernachläs-

ger Trost.“ Die Schule brachte

Magdalena mit Ach und Krach

hinter sich. Mit 14 Jahren lief

sie der Pflegefamilie davon.

„Ich hatte einen Burschen ken-

nengelernt, der von der Brutali-

tät des Pflegevaters wusste,

und er war bereit mir zu helfen.

Er versteckte mich in einer

Almhütte, brachte mir Essen. Er

war ein sehr guter Mensch und

wurde selbst von seinem Vater

sehr geknechtet.“ Nach Magda-

lena wurde gesucht, aber nur

zwei Tage. Über den Burschen

dienen würde und nicht viel ma-

chen müsste.“ Magdalena lan-

dete in einem Bordell. „Ich

wusste zuerst gar nicht, was das

ist, so naiv war ich. Doch man

klärte mich schnell darüber auf,

was nun mein Job sei. Ich hatte

nicht einmal Zeit zum Erwidern,

schon wurde ich ‚zugeteilt‘.“

Magdalena versuchte sich zu

wehren, doch sie wurde massiv

eingeschüchtert. „Sie ließen

mich einfach nicht mehr gehen.

Ich hatte eine solche Panik.“

Nach zwei Wochen schaffte sie

sigt wirkende Mädchen auf.

Denn auch nach Stunden auf

der Kirchenbank schien sie

nicht gehen zu wollen. Er

sprach sie an. Magdalena

konnte nur mühsam ein Wort

nach dem anderen aus ihrem

Mund pressen. Aber auch nur

mit wenig Information erkannte

der Pfarrer offenbar, in welcher

Notsituation sich dieses Mäd-

chen befand. „Er holte eine

Klosterfrau, die mich in das

nahe gelegene Kloster mit-

nahm. Ich konnte ihr auf An-

hieb vertrauen und mich über-

kam das erste Mal in meinem

Leben ein Gefühl der Gebor-

genheit. Solch ein intensives

Geborgenheitsgefühl empfand

ich danach nie mehr wieder.“

Man erlaubte Magdalena eine

Weile im Kloster bleiben zu

dürfen, doch nach einem Monat

wurde sie schwer krank. „Der

Arzt meinte, dass hinter meiner

Krankheit kein körperliches

Problem stecke, sondern ein

seelisches. Die Klosterfrauen

würden sich aber um mich

kümmern.“

Lebensfreude trotz

Magdalena K. fühlt sich vom Leben schwer benachteiligt, aber Lebenswillen hat sie immer noch.

Kloster-

frauen

nahmen

Magda-

lena in

ihren

schwe-

ren Le-

bens-

phasen

immer

wieder

an die

Hand.