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OSTTIROLER

NUMMER 1/2018

2

HEIMATBLÄTTER

Die Frage, ob in diesen von der For-

schung kaum beachteten Zeugnissen schon

der Künstler durchscheint, ist aus knapp

140-jähriger Distanz ganz ohne Pathos nur

mit „nein“ beantwortbar. Eggers Werk

scheint heute auf- und abgearbeitet, von

den späten Gemälden bis zur Studienzeit

rekonstruiert, in Phasen untergliedert und

in die großen kunsthistorischen Zusam-

menhänge eingepflegt. Je ausführlicher die

Rezeptionsgeschichte, die der Künstler

heute nur noch mittelbar beeinflusst, zu

Lebzeiten aber immer wieder aktiv auch

zu steuern suchte, desto klarer wird das

Bild, das aber für die bildnerischen Geh-

versuche bisher noch keinen rechten Platz

gefunden hat.

Hier tritt ein Knabe aus der Welt, die ihn

umgibt, heraus und stellt sie vor sich hin,

um sie mit einem Instrumentarium zu tran-

skribieren, das er sich Schritt für Schritt

zurechtlegen und anverwandeln muss. Wie

aber ist die Welt des jungen Albin Egger

aus Lienz, der sich einst den Namen seiner

Heimatstadt stolz an den seinen heften

wird, beschaffen?

„In meinem sechsten

Jahr verkehrte ich mit Vorliebe auf dem

Dachboden. Ein alter Koffer mit Zeit-

schriften, Büchern, Kupferstichen und dem

Vergolderwerkzeug und Zeichnungen mei-

nes Vaters, eine alte Hausapotheke, ein

Malkasten, sowie in einer Ecke des Daches

verstaubte, aufgerollte Leinwanden (Hei-

ligenbilder) waren dann die Ausbeute.“

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Der Vater steht als Kirchenmaler in einer

Tradition, die auch in Lienz schon ihre

Götterdämmerung erlebt. Das Gewerbe

eines Fotografen aber trifft den Nerv der

Zeit, hat Zukunft und ist neu, obwohl man

Mitte der 1860er-Jahre, als Georg Egger

das erste Fotoatelier in Lienz eröffnet,

nicht mehr bei null anfangen muss. Das

1835 von Louis Daguerre erfundene Ver-

fahren hatte sich in atemberaubendem

Tempo zum bevorzugten Bildmedium des

Bürgertums entwickelt, dessen Wunsch

nach Repräsentation und Information es

kongenial bediente und dazu noch in der

Lage war, in immer schneller sich verän-

dernden Verhältnissen den Augenblick zu

bannen.

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Georg Eggers Wunsch, sein Sohn

werde den Betrieb einst übernehmen, ist

daher verständlich, zumal dieser in Lienz

bis 1896 konkurrenzlos blieb.

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Die Welt des Vaters wird dem jungen

Albin aber bald zu eng, der auf seinen Er-

kundungen der näheren Umgebung das

Angebot des Dachbodens durch jenes der

Natur erweitert. Daher ist es sinnvoll, an

den Beginn eine Zeichnung zu stellen, die

auf merkwürdige Weise Kunst und Wirk-

lichkeit verbindet.

„Barockes Kircheninterieur“ –

Heiliges Grab

Wilfried Kirschl führt die Zeichnung als

„Barockes Kircheninterieur“

5

auf, Lois

Ebner aber hat das Motiv 2001 quasi in

letzter Sekunde vor der Drucklegung des

Bestandskataloges der Egger-Lienz-

Sammlung auf Schloss Bruck als Anton

Zollers „Heiliges Grab“ identifiziert.

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Der

gelernte Theatermaler aus Telfs schuf es

1752 für die Lienzer Stadtpfarrkirche St.

Andrä, wo es, mit einigen Unterbrechun-

gen, bis zum heutigen Tag alljährlich wäh-

rend der Karwoche im linken Seitenschiff

aufgebaut wird. Bis an den Scheitel des

Gewölbes ragende, über zwei Joche ge-

staffelte Kulissen stellen den Blick durch

einen mächtigen, von Doppelsäulen getra-

genen Bogen auf einen barocken Palasthof

mit halbrundem Schlussprospekt vor.

Stirnseitig führen fingierte Treppen, die

das Grab Christi flankieren, zur Bühne, auf

der zwischen Gründonnerstag und Oster-

montag Leiden, Tod und Auferstehung des

Herrn in mehreren Akten und mit teils

hohemAufwand an gemalten Bretterfigu-

ren in Szene gesetzt werden.

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Alles ist auf Augentrug abgestellt: Die

Lichtregie, die maßstäbliche Relation der

Akteure und die perspektivische Konstruk-

tion der Kulissen, die mit einem bestimm-

ten, nicht beliebig austauschbaren Betrach-

terstandpunkt kalkuliert. Er befindet sich in

einiger Entfernung zu dem Prospekt, des-

sen am Gebälk und an den Kassetten der

Bogenlaibung ausgewiesene Fluchtlinien in

der Mitte der vorderen Kante des Bühnen-

bodens gebündelt sind. Die Augenhöhe

liegt etwas unter dem durchschnittlichen

Körpermaß heutiger Zuschauer, ist aber

leicht zu eruieren: Wenn der Bühnenboden

verschwindet und das über dem rechten

Säulenpaar scheinbar in den Kirchenraum

fortgesetzte Gebälk mit jenem der realen

gotischen Architektur zu einer geraden

Linie sich verbindet, hat man den Standort

eingenommen, an dem Zollers Raumillu-

sion ihre größte Wirkung entfaltet. Sie

toleriert zwar noch einiges an Bewegung,

das Kunstwerk aber als Potemkin‘sches

Dorf zu entlarven, lag ganz gewiss nicht im

Sinne seines Erfinders.

Egger war das Spektakel sicher schon

von Kindheit an vertraut, wie die Pfarr-

kirche St. Andrä überhaupt eine starke An-

ziehungskraft auf ihn ausgeübt hat. So

stand der gotische Kruzifixus am rechten

Seitenaltar gleich mehrmals für spätere

Kompositionen Modell: Ende der 1880er-

Jahre für ein erst vor knapp zwei Jahr-

zehnten wiederentdecktes Kreuzigungs-

triptychon

8

, 1897/1901 und 1901/1902 für

„Das Kreuz“ und 1904 für „Die Wallfah-