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ungarischen Bündnispartner. In der zeit-

genössischen Literatur und der Literatur

der Nachkriegszeit fast immer als „herzli-

che“ Kameradschaft und „Waffenbruder-

schaft“ idealisiert, sprechen persönliche

Aufzeichnungen der Kriegsteilnehmer oft

andere Worte. Demnach teilten manche

deutsche Offiziere die Ansicht ihrer öster-

reichisch-ungarischen Kollegen, die in den

Standschützen zumeist keine gleichwerti-

gen Soldaten sahen. So berichtet bei-

spielsweise auch der „Führer des Alpen-

korps“, Generalleutnant Konrad Krafft von

Dellmensingen, in Briefen an seine Frau

von der „Minderwertigkeit“ der österrei-

chisch-ungarischen Verbündeten.

„Die

Österreicher haben hier in Tirol leider fast

nur minderwertige Truppen

[…]

, lauter

Leute, die den Höhepunkt ihrer Kraft

längst überschritten haben u. lieber bei

Muttern zu Hause säßen.“

bzw.

„Leider

Gottes hat man es auch

[…]

vielfach mit

minderwertigen österr. Führern u. Truppen

zu tun. Tirol ist vor dem italienischen

Kriege vollständig ausgeplündert worden.

Hier blieben nur niedere Offiziere, vielfach

aus dem Pensionsstand, u. Truppen, die

sich aus ältestem Landsturm

[…]

zusam-

mensetzten. Da wir nun ineinander hin-

eingeschachtelt worden sind, so sind diese

überalterten u. unfähigen Offiziere mehr-

fach die Vorgesetzten unserer aktiven, be-

währten, kriegserfahrenen Leute; das ist

manchmal recht störend.“

16

Kraffts Kritik

steht demnach klar entgegen der in der

zeitgenössischen Literatur propagierten

Kameradschaft. Da der Generalleutnant

seine Ressentiments jedoch niemals

öffentlich äußerte, blieben sie auf den

privaten Rahmen beschränkt.

In den Aufzeichnungen des Batterie-

chefs Hauptmann Carl Rose findet sich

ebenfalls eine bezeichnende Aussage über

die Standschützen:

„Ja, das ist eine Sache

hier! Die einzige Truppe ist ein Bataillon

Landschützen, aber Landsturm, alles

übrige Standschützen, unglaubliche Ge-

sellschaft. Und wir als Soldaten dazwi-

schen! Wie dieser Schlendrian auf meine

Leute wirkt, kann man sich ja leicht vor-

stellen. Sehr schnell gewöhnen sich diese

das Freibeuterwesen an und immer muss

ich da hinterher sein und aufpassen. Dabei

solltet ihr mal sehen, wie diese Krieger

hier leben. Beten, Essen und Trinken, das

ist das erste Kriegsgebot; fällt ein Schuss

in die Nähe, gleich ist alles wie von der

Bildfläche verschwunden. Wir lachen nur

immer, aber auf die Dauer ist so etwas für

einen richtig gehenden Soldaten doch arg

betrüblich. Alles wird natürlich ,Du‘ ge-

nannt. Du Hauptmann, ich will dir sagen

usw., irgendwelche Ehrenbezeugungen

sind nicht. Man glaubt es nicht. – Mächtig

viel wird gebetet. Jedes Standschützen-

OSTTIROLER

NUMMER 3-4/2016

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HEIMATBLÄTTER

Angehörige der preußischen Fußartillerie-Batterie 102 in ihrer Stellung. Diese hatte nur

kurz vorher einen Volltreffer erhalten. Ein österreichischer Soldat starb, drei Deutsche

wurden verwundet.

Bataillon hat seinen eigenen Feldkurat

(Seelinger) mit und wird zu jeder Zeit

Messe gelesen, wobei dann allerlei auf den

Knien liegt. Gleich hinterher wird natürlich

ordentlich getrunken und gegessen, denn das

verstehen diese Brüder nicht schlecht.

Namentlich die Meraner erhalten täglich

Wagen voll Wein und andere schöne

Sachen – habe ich da sogar eine Flasche

Bier bekommen. Die Offiziere wählen sich

die Standschützen selbst, irgendein Schnei-

der oder Schuster ist Hauptmann. Genau

wie zu Zeiten von Andreas Hofer! Über-

haupt sie fühlen sich als Nachkommen des

Nationalhelden und singen mit Begeisterung

,In Mantua in Banden‘. Und während die

sich nichts abgehen lassen, ist es mit unserer

Verpflegung noch ziemlich schlecht be-

stellt.“

17

Mit seiner offensichtlichen Kritik an der

laxen Dienstauffassung der Standschützen

und der Infragestellung der Praxis, Männer

zu Offizieren zu wählen, die den Solda-

tenberuf nicht erlernt hatten, steht Rose im

Einklang mit vielen österreichisch-ungari-

schen Offizieren. Die fehlende militärische

Ausbildung der Standschützen führte in-

nerhalb der österreichisch-ungarischen

Armee vielfach zu Konfrontationen, vor

allem mit den unteren Offiziersrängen des

regulären Militärs, für welche die Stand-

schützen oftmals „

Freiwild [waren], mit

dem sie nach Willkür und Gutdünken um-

springen konnten

.“

18

Dies kommt beson-

ders deutlich in einem Bericht über das

Standschützenbaon Passeier zum Aus-

druck: „

Unter dem Titel ‚Baon‘ ist der Ver-

pflegsstand 300 Mann. Der Feuergewehr-

stand kaum 150, tatsächlich, als ich bei

einer Abwehr die St.Sch. alarmieren ließ,

konnten alles in allem kaum 90 M. zusam-

men gebracht werden; und der Wert dieser

90 ist kaum 50 M, sonach enthüllt sich die-

ses Baon in Wirklichkeit noch zu einem

‚Kriegszug‘. Hierfür die vielen und hohen

Gagen, die teure Verpflegung etc. Die Kri-

tik dürfte zutreffen, wenn ich zu berichten

„Waffenbruderschaft“: österreichische und deutsche Soldaten vor einem Unterstand.