Seite 2 - H_1995_05

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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
63. Jahrgang — Nummer 5
gen Anteil am wirtschaftlich-sozialen
und kulturellen Aufschwung; seine Be-
völkerung und die unseres Bezirkes ge-
wöhnt sich mehr und mehr an den allge-
mein platzgreifenden Wohlstand. Die in
den Jahren 1965/66 über Osttirol herein-
brechenden Hochwasserkatastrophen mit
empfindlichen Auswirkungen auf Land
und Leute können den allenthalben auf-
keimenden Fortschrittsglauben kaum be-
einträchtigen.
Weniger unter diesen Umständen als
vielmehr unter der damals herrschenden
Skepsis gegenüber der ernsten, künstle-
risch anspruchsvollen und in weiten
Kreisen so gut wie unbekannten Kammer-
musik – unter dem damaligen Kulturrefe-
renten der Stadt, Prof. Paul Unterweger,
kam es auch zur Intensivierung kammer-
musikalischer Veranstaltungen mit zu-
zunächst durchwegs auswärtigen Akteuren
bzw. Ensembles
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, wie er übrigens gleich-
sam als Pate an der Wiege des Lienzer
Kammerchores stand – war der Arbeits-
beginn des neuen Klangkörpers, wenn-
gleich von unbeirrbarem idealistischen
Einsatz getragen, als Wagnis zu bezeich-
nen. Gleichwohl bot sich dem jungen En-
semble die Chance, sich selbst und dem
Publikum den Zugang zur Musikwelt der
alten Meister zu erschließen. Mit der
schrittweisen Erarbeitung dieser Literatur,
auch durch die Tendenz zur Bevorzugung
kirchenmusikalischer Werke, wobei die re-
gelmäßige Choralpflege nicht ausge-
klammert blieb, waren Aufgabe und Ziel
für die Zukunft vorgezeichnet. Die inten-
sive Beschäftigung mit zeitgemäßen
Kompositionen stellte immer schon einen
Schwerpunkt der chorischen Arbeit dar.
Es kann als glückliche Fügung gelten,
daß dem frischgegründeten Chor in Artur
Gutwenger von allem Anfang ein künstle-
rischer Leiter vorstand, dem die Arbeit mit
und für den Kammerchor Lienz über sein,
von der Musik im besonderen geprägtes
Berufsleben hinaus mit zum Lebensinhalt
wurde. Dadurch konnte eine kontinuierli-
che Entwicklung über zweieinhalb Jahr-
zehnte gewährleistet werden und der Chor
zu einem spezifischen, unverwechselbaren
Klangkörper heranreifen.
Von nicht minderer Bedeutung sollte
sich das langjährige, mit größter Beharr-
lichkeit und entsprechender Flexibilität be-
triebene Engagement des Chor-Obmannes
Franz Mair erweisen. Daß der „Gründer-
generation“ eine Reihe hervorragender
und hochmotivierter Sänger/innen zu-
gehörte, die diese Art von Musikpflege zu
einer kompakten, heute noch erstrebens-
werten Gemeinschaft zusammenschweiß-
te, darf in diesem Zusammenhang nicht
unerwähnt bleiben.
Eine Idee setzt sich durch
Über die anfänglichen Schwierigkeiten,
die der Kammerchor Lienz wie jede ande-
re, neu ins Leben gerufene Interessensge-
meinschaft zu bewältigen hatte, setzte man
sich mit bemerkenswertem Mut und
Schwung hinweg. Zunächst fehlte es an al-
lem: an einer finanziellen Basis, an Noten-
material, an einem Probelokal. Was letzte-
res anlangt, fand man u. a. Unterschlupf im
Benefiziatenhaus St. Michael, im Tyrolia-
Stöcklgebäude (Städt. Galerie), ja selbst in
der Wohnung Privater. Überhaupt sollte
sich die Suche nach einem adäquaten, dau-
erhaften Proberaum als eines der schwie-
rigsten Unterfangen herausstellen. Heute,
nach 30jährigem Chorbestehen und einer
mehr oder weniger mühevollen, nicht frei-
willig auf sich genommenen „Wander-
schaft“ durch halb Lienz – langjähriger
Gastaufenthalt war dem Chor im BORG
Lienz bzw. Schubertsaal der Städtischen
Musikschule gewährt – sieht sich der Kam-
merchor dieser Bürde entledigt: Mit 18.
Mai 1995 konnten die von der Stadtge-
meinde Lienz zur Verfügung gestellten,
durch den Chor unter erheblichem Finanz-
und Arbeitsaufwand adaptierten Räum-
lichkeiten im Iselturm (Schulstraße) für ein
„eigenes“, dauerhaftes Proben- und Ver-
einsheim bezogen werden
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.
Nicht hingegen fehlte es der jungen Sing-
gemeinschaft an Begeisterung und Durch-
setzungsvermögen, um der neu entdeckten
musikalischen
Betätigung
kon-
sequent nachzugehen. Nach ersten, nicht
ohne kritische Wachsamkeit zur Kenntnis
genommenen, erfolgreichen Gesangsvor-
stellungen in und außerhalb Lienz, kam es
am 3. März 1967 zum off. Eröffnungskon-
zert des Lienzer Kammerchores in der Au-
la des Lienzer Gymnasiums unter Darbie-
tung der Johannespassion von Leonhard
Lechner als Hauptwerk
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. Mit dieser denk-
würdigen Aufführung war der Öffent-
lichkeit eindrücklich vor Augen gestellt,
daß der Kammerchor Lienz sehr wohl
eine wesentliche Bereicherung der Lienzer
Kulturszene vorzustellen vermochte. Ein
Anspruch, der ohne Abstriche bis auf den
heutigen Tag gehalten werden konnte,
gleichgültig, ob das Publikum am jewei-
ligen Programmangebot nun größeren
oder kleineren Gefallen fand.
Vorstellung im Teatro Petrarca, Internationaler Chorwettbewerb Arezzo, 1975.
Foto: Tavanti, Arezzo
Die Chor-
gründer
Dipl.-Ing.
Franz
Mair und
Prof.
Artur
Gut-
wenger,
1985.
Foto:
Egmont
Kohlhofer