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Nummer 5 — 63. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
Besondere Aufbauarbeit findet
internationale Anerkennung
Dem äußerst agilen Vokalensemble
unter Artur Gutwenger bot sich im ersten
Bestandsjahrzehnt auf Stadt- und Bezirks-
ebene nicht nur ein weites, vielfach noch
brachliegendes Betätigungsfeld, sondern
auch die Möglichkeit der Kontaktnahme
mit Vorstellungen und Strömungen des
internationalen Chorwesens. Vor Ort waren
Aufführungsanliegen und Programm-
ideen zwar nicht erschöpft, obgleich der
Kammerchor Lienz hierin durchwegs in-
itiatives wie kreatives Gespür erkennen ließ
und erfolgversprechenden Weitblick be-
wies; der erreichte, von der Öffentlichkeit
akklamierte musikalische Standard jedoch
drängte geradezu zum Vergleich mit
Chören anderer Provenienz und Tradition.
Die ideale Plattform für ein solches Un-
terfangen bot der XXIII. Concorso Polifo-
nico Internazionale „Guido d‘Arezzo“ in
Italien, 1975. Dieser traditionelle, in
Fachkreisen hoch eingestufte Chorwettbe-
werb in dem, in Sängerkeisen wohlbe-
kannten toskanischen Städtchen Arezzo,
fand vom 29. bis 31. August 1975 statt.
Aus dem Qualifikationssingen der Ka-
tegorie „Gemischter Chor – Kunstlied“,
welches von zehn renommierten Chören
aus sieben Nationen bestritten wurde, zog
der Kammerchor Lienz in den Final-
bewerb ein. Schließlich erreichte er den
prämierten 4. Rang und verfehlte ein noch
besseres Ergebnis nur um wenige Wer-
tungspunkte. Als Gewinner ging der
Tschaikowskij-Chor/Moskau vor dem
Bartok-Chor/Budapest und dem Univer-
sitätschor aus Mendoza/Argentinien her-
vor.
Das italienische Tagblatt „La Nazione“
stellte neben anderen, überschwenglichen
Presseberichten für sich fest: „Der öster-
reichische Chor, jener von Lienz, ist ein
präziser Interpret einer polyphonischen
Tradition, ein erleuchteter Ausleger der
Musik des 16. Jahrhunderts von Palestrina
bis Lechner, er ist vielleicht der aufmerk-
samste Interpret von allen diesen Konkur-
renten.“
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War dieser erste internationale Erfolg
schon eine deutliche Bestätigung der
Chorarbeit sowie der künstlerischen Aus-
richtung unter seinem Dirigenten Artur
Gutwenger, so konnte er vom Kammer-
chor Lienz in der Kategorie „Gregoriani-
scher Choral“ noch gesteigert werden. Mit
erstaunlichem Freimut erkannte die
Fachjury dem Kammerchor Lienz wie
dem Chor der „Voci bianche“/Pressano di
Trento den ungeteilten 1. Preis zu.
Festigen und Halten
des Qualitätsanspruches
Die eindrucksvolle Bestätigung seiner
Leistungsfähigkeit auf internationalem
Parkett bedeutete für den Kammerchor
Lienz nicht etwa selbstgefälliges Verhar-
ren auf dem Erreichten, sondern vielmehr
Verpflichtung und Antrieb, die erbrachte
musikalische Reife zu festigen und zu hal-
ten. Motivation, Vielfalt in der Werkaus-
wahl, Beweglichkeit im Aufführungsan-
gebot und Aufgeschlossenheit gegenüber
allen, der gehobenen Chormusik verhafte-
ten Belangen, sind so kennzeichnend für
das zweite Bestandsjahrzehnt des Lienzer
Kammerchores, wie die Intensivierung
innerdisziplinärer Zusammenarbeit und
Pflege ausländischer Kontakte.
1977 erfolgte die Teilnahme am „XVI.
Concorso internazionale di canto corale“ in
Görz/Italien, welch stark besetzter interna-
tionaler Wettbewerb dem Kammerchor
Lienz zwei vierte Ränge und die Bestäti-
gung seines Leistungsvermögens brachte.
1978 schließlich vertrat man Österreich bei
der „18. Rassegna internazionale di capel-
le musicali“ in Loreto/Italien. Eine beson-
dere Auszeichnung bedeutete dabei die ge-
meinsam mit mehreren Auswahlchören an
Ort und Stelle durchgeführte Plattenauf-
nahme unter dem Titel „Corali del mondo
a Loreto 1978“.
Zwei Aktivitäten ganz besonderer Art
sind vom Jahre 1980 zu verzeichnen: ein-
mal das Gastkonzert des Lienzer Kammer-
chores in der Aula des Schulzentrums
Wörgl – übrigens der erste Auftritt des
Chores auf Nordtiroler Boden, was den
Konzertrezensenten Peter Gruber zur be-
rechtigten Frage veranlaßte, warum in
Tirol vom preisgekrönten Kammerchor
Lienz nicht eher Notiz genommen wur-
de –, zum anderen die erste Plattenauf-
nahme geistlicher Chormusik anläßlich
des 15jährigen Bestandes. Brachte der
Gastauftritt in Wörgl höchstens Presselob
aus berufenem Munde ein,
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so bescherte
sich der Kammerchor Lienz mit seinem er-
sten, eigenständigen Tonträger ein so
wichtiges und wertvolles wie bleibendes
Dokument.
Als musikalischer Botschafter quer
durch Europa
Nahm der Kammerchor Lienz seine
selbstauferlegte Pflicht der musikalischen
Präsenz vor Ort immer auch mit aller Kon-
sequenz wahr – es gibt kaum eine adäqua-
te, stilvolle sakrale oder profane Auf-
führungsstätte im Bezirk, die der Kammer-
chor noch nicht „besungen“ hätte –, so kam
er dem Ruf der Stadt, wann und zu welch
offiziellem Anlaß immer er artikuliert
wurde (z. B. Gedächtnisfeier an
Egger-Lienz, Übergabe des Lienzer Stadt-
saales, Eröffnung des Bezirksaltenheimes,
Bezug des neuen Rathauses Liebburg,
diverse Gastempfänge u. a. m.), stets ge-
wissenhaft nach.
Im Vergleich mit anderen Gesangsgrup-
pen zeichnete den Kammerchor Lienz zeit
seines Bestehens besondere Mobilität aus.
Abgesehen von dutzenden Gastauftritten,
die den Chor über die enggesteckten hei-
mischen Grenzen hinaus nach Bayern, Süd-
tirol, Kärnten, Salzburg, Ober- und
Niederösterreich, in die Steiermark und
vereinzelt auch nach Nordtirol führten, ge-
rieten die achtziger Jahre geradezu zu einer
Periode ferngerichteter Ziele. 1981 weilte
man bei der „4
a
Rassegna inter-
nazionale di Corali Polifoniche“ in Porde-
none/Italien, 1983 verbrachte man im Rah-
men der „Semana coral internacional
d‘Alava“ eine musikalisch so erlebnis- wie
erfolgreiche Woche in Spanien, 1985 er-
folgte ein einwöchiger Gegenbesuch beim
befreundeten Chor der Krakauer Jagiello-
nen-Universität in Polen, 1989 wiederhol-
te man den Besuch des internationalen
Chorfestivals im Wallfahrtszentrum Lore-
to/Italien. 1990 schließlich startete man
eine neuntägige Konzertreise nach Eng-
land, wo der befreundete, ein Jahr zuvor in
Lienz aufgenommene „Kentwood Choir“
aus Swindon einen überaus interessanten
Gastaufenthalt ermöglichte.
In der Städtischen Galerie (Probelokal), 1967.
Foto: Gabriel Ortner
Mathias Thum, Chorleiter seit Spätherbst
1990. Foto: Chronik Kammerchor Lienz