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den „Mons Venetus“ erstiegen hat, son-
dern bezeichnet ihn auch als das „Venedi-
germandl“.
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Wenn auch der Begriff „Ve-
nediger-Papst“ erst posthum einen
schriftlichen Niederschlag fand, so kann
man doch davon ausgehen, daß Resinger
diesen Beinamen schon zu Lebzeiten er-
halten hat.
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Solche Etikettierungen sind in
Tirol keine Seltenheit und Namen wie
„Mistapostel“, „Schwefelapostel“ oder
„Bienen-Much“ gelten als Auszeichnung
und besitzen daher positiven Charakter.
Doch während mit einem „Apostel“ mehr
oder weniger auch eine Lehre oder Ver-
kündigung verbunden ist, wie dies für
Adolf Trientl oder Ludwig von Comini
durchaus zutrifft, wird mit dem Begriff
„Papst“ eine andere Einschätzung zum
Ausdruck gebracht. „Kunst-, Kultur-
oder Literaturpäpste“ gelten gemeinhin als
anerkannte Autoritäten auf ihrem Gebiet,
die für Fragen der Kunst, Kultur oder Li-
teratur letztgültige Antworten geben.
Freilich steckt dahinter oft auch eine Theo-
rie oder Lehre, doch stehen sie meist hin-
ter den auf ihnen basierenden Aussagen
zurück.
Für Resinger finden sich weder eine von
ihm vetretene „Venediger-Theorie“ oder
unumstößliche Äußerungen zur Glet-
scherwelt des Großvenedigers. Er war
ganz einfach ein Naturmensch, ein Mann,
der die Natur und die Bewegung brauchte,
der eine „kindliche Begeisterungsfähig-
keit“
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für die Schönheiten der Bergwelt
besaß und dessen Beziehung zu ihnen eine
leidenschaftliche war. Er machte daraus je-
doch keine eigene Lehre oder Ideologie
und schon gar nicht zwang er seine Sicht
der Dinge anderen auf, auch wenn er – wie
aus dem Geschilderten deutlich wurde –
damit nicht hinter den Berg hielt. Dabei
pflegte er selbst in großen Höhen mit bei-
den Beinen auf der Erde zu stehen, ohne
sich selbst zu verstecken, sondern ganz
einfach der „Resinger“ zu bleiben. In den
Bergen war er nämlich souverän, ganz be-
sonders am Venediger, wo er keinen Re-
spekt vor nichts und niemandem kannte,
auch nicht vor einem Bischof. Ihm – wahr-
scheinlich handelte es sich um Bischof
Sigmund Waitz – soll er nach einem
schweißtreibenden Anstieg zum Venedi-
ger statt eines Glückwunsches zum Gip-
felsieg lediglich gesagt haben: „Bischof,
Du stinkst!“
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Am Venediger war Resinger zu Hause
und das so, wie er eben war. Dazu brauch-
te er keine Rechtfertigung, keine Legiti-
mation und keine Theorie, die seine Sou-
veränität dort begründete. Er war ganz ein-
fach er selbst und es gibt auch keine
Anzeichen dafür, daß er sich mit irgend-
welchen anderen Theorien des Bergstei-
gens oder Kletterns auseinandergesetzt
oder sich dazu geäußert hätte.
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„Klettern -
da hab’ ich überhaupt nie etwas gehört von
ihm, daß er da besondere Ambitionen ge-
habt hätte, oder daß er sich – weiß ich –
über die Techniken des Amtes »Alpinis-
mus« ..., er ist auf den Großglockner ge-
gangen mit seinem Seil und mit seinem
Pickel, all’ die Jahrzehnte gleich. Ich
glaube, da hat er nix zugelernt und nix ver-
gessen, net wahr? Das hat er in steter,
gleichbleibender Manier so betrieben.“
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Insofern war Resinger kein Apostel; er
überzeugte durch seine Person. Zweifellos
besaß er eine „Philosophie“, doch hat er
sie nicht verkündet oder gar gepredigt. Ein
diesbezüglicher missionarischer Eifer ist –
soweit es die erhaltenen Zeugnisse zulas-
sen – nicht feststellbar. Resinger vertrat
seine Meinung, kommentierte Begeben-
heiten oder Verhaltensweisen, mit denen
er konfrontiert wurde, wenn es ihm ange-
bracht erschien. Er formulierte nicht seine
„Philosphie“, sondern lebte sie ganz ein-
fach, – aufrichtig, glaubwürdig und über-
zeugend; er gab Beispiel und besaß da-
durch Vorbildcharakter, die auf seine Be-
gleiter in den Bergen durch unmittelbares
Erleben einwirkten.
Zweifellos war er somit auch Lehrer,
wie in seinem Beruf als Geschichte- und
Geographieprofessor, der aber nicht eine
distanzierte Gelehrsamkeit verkörperte
oder eine schulmeisterliche Erziehung
pflegte, sondern er vermittelte als Person,
als anerkannte und unbestrittene Autorität.
Insofern ist sein Beiname „Papst“ wohl zu-
treffend, mit der jedoch nicht ein Dogma,
eine Gehorsamspflicht oder irgendeine
Unfehlbarkeit verbunden werden können,
sondern vielmehr ein gewisses Charisma,
eine bestimmte Art von natürlicher Aus-
strahlung, die andere berührte. Er hat sei-
ne „Philosophie“ vorgelebt, sein Wissen
weitergegeben, seine reiche „Bergerfah-
rung [...] als Studentenvater weitervermit-
telt [und] seine unermeßliche Liebe zu den
Bergen in ungezählte junge Herzen ge-
pflanzt“. Er verstand es, wie in seinem Un-
terricht am Gymnasium, zu begeistern,
wodurch er vor allem – nach einer Würdi-
gung der AV-Sektion Matrei – „als
»Bergprediger« und Werber der Jugend
für den Alpinismus“ einen großen ideellen
Einfluß ausübte.
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Fortsetzung folgt
Nummer 8 – 64. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini. Für den
Inhalt der Beiträge sind die Autoren verantwortlich.
Anschriften des Autors dieser Nummer: Univ.-Ass.
Dr. Helmut Alexander, Institut für Geschichte der Uni-
versität Innsbruck, A-6020 Innsbruck, Innrain 52.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimatblätter“ sind
einzusenden an die Redaktion des „Osttiroler Bote“ oder
an Dr. Meinrad Pizzinini, Albertistraße 2a, A-6176 Völs.
Die Aufnahmen haben zur Verfügung
gestellt: Josef Dichtl (Abb. 1, 3, 4, 9),
Dr. Anton Figl (Abb. 5, 7), Otto Resin-
ger (Abb. 6), Johann Ruggenthaler
(Abb. 2, 8); die übrigen Aufnahmen
stellte der Verfasser zur Verfügung.
Abb. 13: Vorbereitungen am Mullwitz-Aderl zur Durchquerung des Mullwitz-Kees auf
dem Weg zum Großvenediger (6.9.1986).
Abb. 12: Am Gipfel des Lasörling (3098
m). Im Hintergrund der Großvenediger
und das Rainerhorn, am 21.9.1985.