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nicht.« Er ließ sich nicht halten, beim
schlimmsten Wetter ging er talwärts und
kam zwei Stunden später mit den Studen-
ten in die Hütte.
Resinger war an diesem Abend in Hoch-
stimmung. Er sang und jodelte und gab
seine von Geist und Witz sprühenden
Sprüche zum Besten. Weil keine Aussicht
war, auf den Venediger zu kommen – es
schüttete um Mitternacht immer noch –
blieb es bei keinem von uns bei einem
Viertele Wein. Das Stimmungsbarometer
stieg, es war ein herrlicher Hüttenabend.
Früh am Morgen stand Resinger auf und
rief: »Wir gehen schlafen.« Widerspruch
gab es keinen. Wir wickelten uns in die
Decken und schliefen natürlich sofort ein.
Nach kurzer Zeit wurden wir wachgerüt-
telt von Resinger, der in der Hütte nicht
schlafen konnte. Auf! Der Himmel ist
voller Sterne! Wir alle wären ja gern zu
Tal gestiegen nach einer durchwachten
Nacht, aber wir mußten Resinger folgen.
Auf dem Gletscher bewunderte ich sei-
ne Wegkenntnis und seine Vorsicht. Auf
dem Gipfel leuchtete sein Gesicht. Resin-
ger war begeisterter Bergsteiger. Natürlich
kannte er alle die nahen und fernen Berg-
gipfel, alle Höhenzüge, alle Bergkuppen.“
Und Walder schließt seine Erzählung
mit der Feststellung: „In der Folgezeit
konnte ich nochmals manche Hochtour
unter seiner Führung machen, und alle die-
se Touren sind für mich ein Erlebnis ge-
wesen.“
Vielen anderen Begleitern sind ähnliche
Erlebnisse ebenfalls im Gedächtnis ge-
blieben, doch würde es zu weit führen, sie
alle hier erwähnen zu wollen. Die hohe
Zahl seiner Gipfelersteigungen erklärt sich
daher, daß er – wie bereits erwähnt – vom
Defregger-Haus mehrmals in der Woche
den Weg zum Gipfel genommen hat; ja
aus Erzählungen von Zeitgenossen ist
überliefert, daß „er oft am Tag gar drei
Mal auf den Großvenediger gegangen ist.
Er ist hinauf immer oder großteils alleine
gegangen. Und zwar in der Früh ist er ums
Grauwerden weggegangen, so daß er oben
war bei Sonnenaufgang. Dann ist er her-
untergegangen zur Defregger-Hütte [...]
und hat dann dort eine Messe gelesen. Und
nach dem Messe lesen ist er ein zweites
Mal hinaufgegangen. Und um Mittag un-
gefähr ist er wieder gekommen, hat er Mit-
tag gegessen und dann ist er noch einmal
zum Sonnenuntergang hinaufgegangen.
Einige Male!“
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Eine Tour, allerdings nicht zum Vene-
diger, die Resinger Anfang der 30er Jahre
mit Alois [Gustl] Brugger unternommen
hat, wurde im Tourenbuch der Bonn-Ma-
treier-Hütte festgehalten:
„9.IX.1933. Hütte ab, 7 Uhr, Säule 7.45,
– Eichham Ostgrat – Gipfel 9.15, - Hütte
an, 11h. Von Anfang bis zum Ende im
dichten Nebel. Man vermißt am Eicham
aber sehr ein Gipfelbuch.“
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Eine beachtliche Leistung! Nicht im
Tourenbuch vermerkt ist allerdings, daß Re-
singer damals schon fast 60 Jahre alt war.
Nach einer Tour zur Dreiherrenspitze
mit Propst Josef Weingartner und Franz
Unterkircher, bei der sie auf dem Rückweg
über eine Stunde lang bei jedem Schritt
und Tritt bis zu den Knien im Schnee ein-
gesunken sind, meinte Resinger einmal:
„Mei’ Lebtag kein Berg mehr!“
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Von Re-
singer sicher nur wegen der Anstrengun-
gen des Abstieges so dahingesagt, wurde
dieser selbstironisch gemeinte Ausspruch
bald zur ernsten Realität. Und es war ein
Berg, der ihm – nach seiner eigenen Aus-
sage – dies bescherte:
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„Rettenstein, Rettenstein!
Du warfst mir Eiter in das Bein.“
Nach einer anderen Schilderung, die uns
von Propst Weingartner berichtet wird,
war es jedoch kein Berg, welcher Resinger
auf das Krankenlager geworfen hat:
„1934 erkrankte Resinger schwer an einer
Sepsis. Abwechslungshalber war er in der
Tiefe geblieben und hatte seine geliebten
Berge ein wenig vernachlässigt. So wur-
den ihm die Mücken um Schloß Tirol zum
Verhängnis. Monatelang lag Resinger mit
Untertemperatur im Krankenhaus; nur das
durch die Bergsteigerei stahlhart gewor-
dene Herz ließ ihn die Krankheit überste-
hen, allerdings mit einer dauernden Be-
einträchtigung des einen Beins.“
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Wo der Grund für Resingers Sepsis
tatsächlich zu suchen ist, – die Kranken-
blätter aus der damaligen Zeit sind im All-
gemeinen Öffentlichen Bezirkskranken-
haus in Schwaz, wo Resinger damals be-
handelt wurde, nicht mehr vorhanden –
läßt sich nicht mehr eindeutig feststellen.
Sicher ist hingegen, daß sie ihn im Herbst
1934 auf das Krankenbett geworfen hat,
von dem er sich erst nach 16 Monaten,
zahlreichen operativen Eingriffen und mit
einem steifen rechten Hüftgelenk wieder
erheben konnte. Kurz nach seiner Entlas-
sung aus dem Krankenhaus hat Resinger
über sein Befinden folgenden Bericht ge-
geben:
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„Am 15.1. verließ ich die casa del
dolore, aber schon am 17. warf es mich
wieder mit hohem Fieber ins Bett für 10
Tage. Nun gehts wieder besser, gottlob,
ich kann wieder Messe lesen! Im Gehen
fast keine Fortschritte, Fuß nicht biegen,
nicht selber an- und ausziehen und immer
starke Schmerzen; alle Narben beteiligen
sich am concerto grosso, besonders eifrig
Nummer 8 – 64. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
Abb. 7: Am Mullwitz-Aderl etwa zu Beginn der 1930er Jahre: rechts Resinger, mitte: Dr.
Anton Figl.
Abb. 8: Der „Venediger-Papst“ mit
Stock, nach seiner Erkrankung bei einem
Spazierganz in Virgen vor dem „Winkler-
Kreuz“.