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„Annales ecclesiae Sabionensis“ aus dem
Jahre 1752 vorgenommen hat, verstärkt
die Annahme, daß der Name „Venediger“
seine Sprachwurzel in der lateinischen Be-
zeichnung für das einst im Venedigerge-
biet lebende Volk besitzt.
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Mit der 1841 erfolgten Erstersteigung
des Großvenedigers vom salzburgischen
Pinzgau her, war dem frühen Alpinismus
nachweislich die dritte Eroberung eines
Dreitausenders in den Ostalpen geglückt.
In den folgenden Jahren wurde eine Reihe
von Schutzhütten im Venedigergebiet er-
richtet, die auf den nach und nach er-
schlossenen Routen zum Gipfel dem
wachsenden Ansturm des Tourismus
wertvolle Erleichterungen boten. 1860 er-
hielt der Großvenediger seinen ersten „Da-
menbesuch“, als die Tochter des nachma-
ligen ersten Vorsitzenden des 1862 ge-
gründeten Österreichischen Alpenvereins
mit ihrem Vater eine Tour dorthin unter-
nahm. „Nach dem Ortler und Groß-
glockner ist der Großvenediger der dritte
hohe Eisberg in den Ostalpen, den eine
Frau betrat.“
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Fünf Jahre später wurde der
erste Tote am Großvenediger verzeichnet,
der an dessen Nordseite deshalb verun-
glückte, weil er nicht angeseilt war,
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Leichtsinn und Selbstüberschätzung sind
auch heute noch die Ursachen für die mei-
sten Tragödien in den Bergen.
Damals, als sich dieses Unglück ereig-
nete, wurden bereits seit vielen Jahren die
meisten Gipfeltouren von Süden her un-
ternommen, zumal von hier aus der An-
stieg nach Einschätzung der Prägratener
Bergführer so leicht sei, daß man auf den
Venediger sogar „eine Kuh auftreiben“
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könne.
Deshalb ist es auch nicht ausgeschlos-
sen, „daß der Großvenediger, von der Be-
völkerung des Virgentals in den vierziger
Jahren des vergangenen Jahrhunderts
Stützerkopf genannt, eventuell schon lan-
ge vor 1841 durch Einheimische von Sü-
den her bestiegen wurde.“
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Vor allem von
Wildschützen hätte man im hinteren Isel-
tal immer wieder gehört, daß sie auf dem
Stützerkopf gewesen seien,
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was Kürsin-
ger allerdings in das Reich der Sagen und
Legenden verbannte. Er hielt es zwar für
möglich, daß solche oder auch Senner dem
„eisigen Haupte“ nahe gekommen seien;
da sie jedoch auch die Fernsicht gelobt
hätten, die einen Blick auf den „Silber-
streif der Adria“ ermöglichen würde,
schenkte Kürsinger solchen Reden keinen
Glauben und bemerkte kategorisch, daß es
bisher noch keiner wagte, „die schauerli-
che Todtenstille seiner [des Großvenedi-
gers – H.A.] eisigen Spitze zu unterbre-
chen – ihn betrat noch kein menschlicher
Fuß.“
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Guido Lammer, einer der besten
Kenner des Venedigergebietes in der zwei-
ten Hälfte des 19. Jahrhunderts, hielt es
hingegen nicht für ausgeschlossen, „daß
Schützen, die an den Hängen des Mull-
witzaderls oder Hohen Aderls jagten, lan-
ge vor 1841 die nicht mehr weit gelegene
Spitze [des Großvenedigers – H.A.] betre-
ten haben.“
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Eine entsprechende Nachricht, daß der
Großvenediger von Süden her erstiegen
worden sei, ist allerdings erst aus der Mit-
te der 1840er Jahre überliefert. Bereits
1843 hatte der Prägratener Mineralien-
sammler Barthel Steiner einen Anstieg
zum Großvenediger vom kleinen Iseltal
her ausgekundschaftet, den er dann zwei
Jahre darauf mit Peter Valtiner, dem da-
maligen Kaplan von Prägraten, unternom-
men hat.
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Ein Jahr zuvor, also 1844, soll
allerdings der damals 10jährige Alois
Wurnitsch aus Prägraten von der Wall-
hornalpe aus durch das Timmeltal und
über das Mullwitzkees bereits zum Gipfel
des Großvenedigers gelangt sein, und zwar
im Alleingang, was jedoch für unmöglich
gehalten wurde. Nach Guido Lammer sei
eine solche „Riesenwanderung, von der
Wallhornalpe über einen 3000 m hohen
Kamm, weiter durch die vielen Klüfte des
Mullwitzfirns und bei der Schwarzen
Wand, oder gar über das oberste Rainer-
kees westlich zum Hohen Aderl, mit der
langen Kammwanderung bis zum Venedi-
gergipfel und dann den ganzen langen
Weg wieder zurück, [...] physisch nicht
möglich, zumal nicht für ein zehnjähriges
Kind und allein.“
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Gebührte den Bewohnern des Iseltales,
von wo aus einer der leichteren, vor allem
aber der kürzeste Anstieg zum Venediger-
gipfel möglich ist,
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schon nicht das Ver-
dienst als erste auf Österreichs dritthöch-
stem Berg gestanden zu haben, gedachten
sie doch in den jeweiligen Jubeljahren zum
Gedenken an die offizielle Erstersteigung
im Jahre 1841. 1891 gab es Erinnerungs-
feiern am Venediger-Gipfel, ebenso wie
1941 oder auch später, wie beispielsweise
1966 und zuletzt 1991, als von Matrei aus
zur Feier der Erstersteigung vor 150 Jah-
ren eine „Nostalgietour“ zum Großvene-
diger unternommen wurde.
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Während der erste Gipfelsieg auf dem
Großvenediger im Jahre 1841 ganz im pa-
triotischen Gedenken an das Haus Öster-
reich gefeiert wurde, war einhundert Jah-
re später der Tenor der damaligen Feier
zwar nicht mehr gut österreichisch, aber
deswegen nicht minder gegenwartsbezo-
gen, wovon am 13. September 1941 die
»Lienzer Zeitung« berichtete.
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Danach er-
reichten am 6. September jenes Jahres
Mitglieder der Sektion Matrei des Deut-
schen Alpenvereins durch das Inner-
gschlöß nach mühevollem Ausfstieg den
Gipfel, wo „vom Führer der Gruppe, Berg-
führer Josef Trost, und der ersten Seil-
schaft die Hakenkreuzflagge gehißt [wur-
de], die schon im Jahre 1938 hier oben
wehte. [...] Dann erinnerte Trost an die
Erstbesteigung vor hundert Jahren. Alle
gedachten in dieser stolzen Bergeshöhe
des Führers Adolf Hitler, der gegenwärtig
unsere Truppen von Sieg zu Sieg führt.“
Nach dem Absingen des Deutschland- und
Horst-Wessel-Liedes folgte der Abstieg
und anschließend setzten sich die Teil-
nehmer dieser Tour im Tauernhaus zu ei-
ner Feier zusammen. Während bei der Er-
stersteigung die schwarz-gelbe Fahne am
Gipfel wehte, huldigte man 100 Jahre spä-
ter – zumindest nach dem Bericht der
»Lienzer Zeitung« – zwar nicht mehr den
Habsburgern, aber immerhin einem
Österreicher; wahrscheinlich war es aber
die einzige Gipfelfeier am Venediger, bei
der sich der Berg selber geschämt hat!. –
So viel zur 100-Jahrfeier der Ersterstei-
gung des Großvenedigers.
2. Msgr. Prof. Dr. Josef Resinger –
der „Venediger-Papst“
Eng verbunden mit der Alpenvereins-
sektion Matrei i.O., von der im vorange-
gangenen Abschnitt die Rede war, sowie
mit dem Großvenediger war Msgr. Prof.
Dr. Josef Resinger. Seit 1898 gehörte er
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
64. Jahrgang – Nummer 8
Abb. 2: Aufnahme der Familie Resinger, um 1892. Die abgebildeten Personen sind (hin-
ten, von links nach rechts): Aloisia (* 1872), Josef (*1874), Virgil (* 1879); (vorne v. l.
n. r.): Anna (* 1875), Margarete Resinger (* 1842), geb. Bacher v. Egg, Mellitz, Johann
Resinger (* 1843), Oberdorfer in Obermauern, Maria (* 1876).