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Nummer 8/1996
64. Jahrgang
OSTTIROLER
HEIMATBLATTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
1. Streiflichter
zur Geschichte der ersten
Venediger-Ersteigungen
Vor 155 Jahren, am 3. Sep-
tember 1841 um 9:30 Uhr vor-
mittags, standen nachweislich
zum ersten Mal Menschen auf
dem Gipfel des Großvenedigers.
Die Geschichte dieser Erster-
steigung sowie der ihr vorange-
gangenen Versuche ist bereits in
zeitgenössischen Schilderun-
gen ausführlich dargelegt wor-
den, wie zum Beispiel in denen
von Ignaz von Kürsinger oder
Dr. Anton von Ruthner.
1
Beide
standen in jenem Jahre auf dem
3674 m hohen, nebelverhange-
nen Gipfel des „oberen Sulzba-
chers“ oder „Untersulzbacher
Venedigers“, wie er im oberen
Pinzgau bis zum Beginn des 19.
Jahrhunderts
genannt
wurde, bzw. auf dem des „Stüt-
zerkopfes“ oder „Buttermo-
dels“, so seine Bezeichnung
südlich des Alpenhauptkam-
mes in früheren Jahren.
2
Der Name Großvenediger
verbreitete sich nämlich erst seit
dem Ende des 18. Jahrhunderts,
wozu ein „Gränzbeschauproto-
koll“ folgenden Inhalts nicht un-
wesentlich beigetragen haben
könnte:
3
„Den 17. August 1797
begabe man sich in den obern
Sulzbacher nach aller Höhe des
Tauerns auf die Fürleg, und über
die Tauernscharten des Unter-
und Obernsulzbaches hinauf in
alle höhe des Keferkogels, allwo
Mittersill mit dem Tyroll’schen Gericht
Virgen anstosset. Hiebei hat man weiter
nichts beobachtet, als, wie gesagt wird,
daß man von dem sogenannten sehr hohen
Gebürg-Spitze, der Venediger genannt, bis
in einer weiten entfernung eine Stadt an ei-
nem großen See sechen könnte, welche der
sage nach die Stadt Venedig sein sollte.“
Etwas unklar bleibt die an den Protokoll-
text angeschlossene Anmerkung von
Kürsinger, wonach „diese Stelle [...] in der
Beschreibung statt der ausgestrichenen
»bis nach Venedig bei klaren Wetter sehen
könnte,« eingeschaltet“ ist.
4
Wie immer auch das Protokoll
aus dem Jahre 1797 zu interpre-
tieren ist, so kann man doch kei-
nesfalls davon ausgehen, daß da-
mit eine Ersteigung des
Großvenediger-Gipfels
von
Norden her belegt sei.
5
Eine sol-
che Vermutung läßt die großteils
im Konjunktiv gehaltene Schil-
derung selbst nicht zu und die
Tatsache, daß die der Venedi-
gergruppe südlich vorgelagerten
Sextener Dolomiten auch bei be-
stem Wetter den Blick auf Ve-
nedig ganz einfach verstellen,
führt die inhaltliche Aussage des
Protokolls und alle daraus gezo-
genen, diesbezüglichen Schlüsse
von selbst ad absurdum. „Eine
Erstersteigung des Groß-venedi-
gers zu jener Zeit ist jedoch nir-
gends belegt und verdient kein-
erlei Glauben.“
6
Damit fällt aber auch die Be-
gründung in sich zusammen,
wonach der Name Großvenedi-
ger sich von der Möglichkeit
herleite, von seinem Gipfel die
Lagunenstadt erblicken zu kön-
nen. Überzeugender hingegen
scheint eine etymologische Er-
klärung des Namens zu sein, die
ihn mit den einst in jenes Gebiet
eingewanderten Slawen in einen
Zusammenhang stellt. Tacitus
hatte ja bereits in seiner „Ger-
mania“ das östlich der Germa-
nen lebende Volk als „veneti“
(„Veneder“) bezeichnet, einem
Wort, das in die deutsche Spra-
che mit „Wenden“ zu überset-
zen ist. Dessen adjektivische
Form findet sich bis in unser Jahrhundert
noch in zahllosen Begriffen und in unmit-
telbarer Nähe des Großvenedigers in der
Ortsbezeichnung
„Windisch-Matrei“.
Auch die Benennung der Gebirge nördlich
von Lienz als „montes Veneti“, wie sie der
Brixner Historiker Josef Resch in seinen
Abb. 1: Mons. Prof. Dr. Josef Resinger, der „Venediger-Papst“
etwa Ende der 1920er Jahre.
Helmut Alexander
Der „Venediger-Papst“
Meinem Bruder Manfred gewidmet,
dem Bergfreund, der mir auf dem Weg
zu manchem Gipfel zur Seite stand.