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Zimmer-Küche-Kabinett Wohnung in
einem der Eisenbahnerhäuser. Neben
ihren Pflichten als Mutter und Hausfrau
führte sie das Möbelgeschäft, das 1904 in
ihren Besitz übergegangen war, weiter.
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Somit entsprach sie damals keineswegs
dem traditionellen Weiblichkeitsideal der
Lienzer Bürgerschaft, welche die Frauen
ausschließlich bei den Kindern und hinter
dem Herd wissen wollte. Zwei Jahrzehnte
später mußte sich Ducia als Abgeordnete
im Tiroler Landtag Angriffen in dieser
Richtung aussetzen. In einer Landtags-
debatte nahm der Osttiroler christlich-
soziale Abgeordnete N. Obwexer die Tat-
sache, daß sich Ducia nicht auf Haus und
Kinder reduzieren ließ, zum Anlaß für fol-
gende Polemik:
„Bei uns hat man gesagt, daß die Kin-
dererziehung bei der Frau Ducia nicht sie,
sondern ihr Mann zu besorgen hat.“
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Schließlich scheiterte Maria Ducia als
Geschäftsfrau. Den Grund dafür sah Ducia
bei der christlich-sozialen Tischlergenos-
senschaft, die 1907 selbst eine Verkaufs-
stelle eröffnete und durch einen „unfairen
Konkurrenzkampf“ Ducia zwang, ihr Ge-
schäft zu schließen.
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Jedoch zweifelten nicht alle an Ducias
fachlichen Kompetenzen, denn sie wurde
bei der Eröffnung dieser neuen Möbelver-
kaufsstelle von einer Minderheit der
Genossenschaftsversammlung als Ange-
stellte vorgeschlagen. Allerdings ging die
ausgeschriebene Stelle an den Tischler-
meister Veider.
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Mit dieser Entscheidung
wurde Maria Ducia endgültig aus ihrem
Beruf gedrängt. Was ihr blieb, waren
große finanzielle Belastungen aus ihrem in
Konkurs gegangenen Geschäft. In den fol-
genden Jahren widmete sie sich aus-
schließlich ihrer Familie, die aufgrund der
hohen Verschuldung mehr schlecht als
recht vom Lohn des Familienoberhauptes
leben konnte.
Das „Aktionskomitee der freien
politischen Frauenorganisation“ –
Politische Anfänge in Lienz
Politik war zu Beginn des 20. Jahrhun-
derts ausschließlich Sache der Männer –
auch in Lienz. Neben der christlich-sozia-
len Partei und der Deutschnationalen Lan-
despartei („Liberale“) war die Sozialde-
mokratische Partei seit 1893 die dritte po-
litische Kraft in Lienz. Innerhalb der So-
zialdemokratischen Partei war bis 1910 in
Lienz kein politisches Engagement für
Frauen möglich, da es weder einen Arbei-
terinnenbildungsverein gab, in dem sich
interessierte Arbeiterinnen Bildung und
politisches Wissen aneignen konnten
noch eine Frauensektion der Gewerk-
schaft. Außerhalb solcher Organisations-
formen war eine politische Vereinstätig-
keit für Frauen gemäß § 30 des Vereins-
gesetzes verboten. Neue Möglichkeiten für
eine Politisierung der Frauen in Lienz ent-
standen wie in so vielen anderen Orten der
damaligen Monarchie mit dem reichswei-
ten Ausbau der „Freien politischen Frauen-
organisation“. Auf dem sozialdemokra-
tischen Parteitag von 1909 wurde diese
Organisation als Teil der Sozialdemokra-
tischen Partei anerkannt. Die Basis bilde-
ten die örtlichen Frauenaktionskomitees,
gefolgt von den Landesfrauenkomitees mit
den weiblichen Landesvertrauenspersonen
und dem Frauenreichskomitee.
Auf diese Weise sollten Frauen – auch
nichterwerbstätige Ehefrauen von Arbei-
tern – mit den Ideen und politischen Zielen
der Sozialdemokratie vertraut gemacht
werden.
Im Rahmen einer großangelegten Agi-
tationsfahrt kam die Sekretärin des Frauen-
reichskomitees, Gabriele Proft aus Wien,
auch nach Lienz, wo sie in Fischers Ve-
randa vor interessierten Lienzerinnen, vor-
wiegend Ehefrauen von Bahnbediensteten,
ein Referat über die Notwendigkeit einer
weiblichen politischen Organisierung
hielt.
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Profts Auftritt war ein Erfolg: Un-
gefähr sechzig Lienzerinnen schlossen sich
zusammen und gründeten ein „Aktions-
komitee der freien politischen Frauen-
organisation“, das erste dieser Art in Tirol.
Zur Vorsitzenden wurde die Konduk-
teursgattin Marie Dedeck und zur
Schriftführerin Maria Ducia gewählt. Mit
dieser Wahl wurde Ducia das erste Mal als
politisch handelnde Frau in der lokalen
Presse erwähnt.
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Bereits 1911 folgte sie
Marie Dedeck, die mit ihrem Mann nach
Kufstein übersiedelte, als Vorsitzende des
Lienzer Komitees. Zu dieser Zeit zählte
die Sozialdemokratische Partei in Lienz
238 Mitglieder, davon 98 Frauen. Ducia
wurde mit ihrem Eintritt in das örtliche
Komitee auch Mitglied dieser Partei.
Welche Gründe waren für Ducias Inter-
esse an der Sozialdemokratischen Partei
ausschlaggebend? Zunächst waren es ihre
persönlichen Erfahrungen als Frau, Mutter
zweier unehelicher Kinder, als Verkäufe-
rin und Tabakfabriksarbeiterin, als berufs-
tätige Frau in einer Männerbranche und als
Frau eines Eisenbahners in einer christ-
lichsozial dominierten Umgebung zu
den gesellschaftlich Benachteiligten zu
gehören. Weiters erkannte sie die zuneh-
mende Verschlechterung der politischen
und wirtschaftlichen Verhältnisse am
Vorabend des Ersten Weltkrieges. In der
damals dreißigjährigen sozialdemokrati-
schen Bewegung bot sich Ducia die Chan-
ce, gegen gesellschaftliche Mißstände auf-
zutreten und für die Befreiung der Arbei-
ter/innenklasse sowie für die politische,
wirtschaftliche und soziale Gleichstellung
der Frauen zu kämpfen.
Anfänglich trafen sich die Lienzer Sozi-
aldemokratinnen regelmäßig in ihren
Wohnungen, um einer polizeilichen Kon-
trolle wegen dem § 30 des Vereinsgesetzes
zu entgehen. Maria Ducia, die bereits vor
dem Beginn ihrer politischen Tätigkeit an
politischen Zusammenhängen interessiert
war und Informationen dazu aus der
„Volkszeitung“, der sozialdemokrati-
schen Zeitung Tirols und aus dem Ge-
werkschaftsblatt ihres Mannes bezog,
klärte die Anwesenden über Ziele der Ar-
beiter/innenbewegung auf sowie über die
Rolle der Frauen im Kampf gegen Aus-
beutung und Unterdrückung. Zudem holte
Maria Ducia die großen Frauen der öster-
reichischen Sozialdemokratie, mit denen
sie ab 1911 auf Parteitagen und Frauen-
reichskonferenzen in verschiedensten
Städten der damaligen Monarchie Kontakt
knüpfte, nach Lienz. So kamen 1911
Adelheid Popp, die spätere Nationalrats-
abgeordnete (1919 bis 1934) und Emmy
Freundlich, die Begründerin der genos-
senschaftlichen Frauenorganisation zu
Vorträgen in die Osttiroler Kleinstadt.
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Die Arbeit der freien politischen Organi-
sation in Lienz machte seit ihrer Gründung
einen wichtigen Teil der gesamten Tiroler
sozialdemokratischen Frauenbewegung
aus. Sie war nicht nur die erste in Tirol, vor
den Vereinen in Nord- und Südtirol,
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son-
dern auch die Basis, von der aus Maria
Ducia grundlegendste politische Arbeit für
die Tiroler Sozialdemokratinnen leistete.
Lebensmittelteuerung und
Konsumbewegung
In die Zeit der politischen Anfänge
Maria Ducias und der Lienzer Frauenbe-
wegung fiel die unaufhaltsame Lebens-
mittelteuerung im Winter 1910/11. Da-
gegen organisierte die österreichische
Arbeiter/innenschaft mehrere Protest-
aktionen. Als Ducia in Lienz auf einer De-
monstration gegen die Fleischteuerung
eine Rede hielt, wurde sie – im Gegensatz
zu ihren männlichen Parteikollegen – von
der lokalen Presse angegriffen. Das liberal-
deutschnationale Wochenblatt „Lienzer
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
65. Jahrgang –– Nummer 2
Maria
Ducia im
Kreis
ihrer
Familie,
um 1910.
(Auf-
nahme
zur Ver-
fügung
gestellt
von
Dipl.-Ing.
Falco
Ducia.