Seite 1 - H_1997_02

Basic HTML-Version

Was blieb in Er-
innerung von der
temperamentvollen,
klugen und enga-
gierten Sozialde-
mokratin
Maria
Ducia, die fast
zwanzig Jahre lang
mit ihrer Familie in
Lienz lebte und ar-
beitete; die mit
Überzeugung für
ein gleichberech-
tigtes Leben der
Frauen, für die Be-
freiung aller Prole-
tarier/innen, für die
Besserstellung aller
Benachteiligten der
Gesellschaft und
für den Frieden so-
wie
für
eine
menschlichere Ge-
sellschaft zur Zeit
des Ersten Welt-
krieges und der
Ersten
Republik
kämpfte?
Die „Zuagroaste“ – Erste Jahre in Lienz
Bis Maria Ducia 1900
2
mit dem Auftrag
ihres damaligen Innsbrucker Arbeitgebers
Eugen Walter, die Geschäftsleitung der
Möbelhandlung Eugen Walter in der Ro-
sengasse 144
3
(= heute Rosengasse 10 –
Mitteilung von Kustos Dr. Lois Ebner,
Museum Schloß Bruck) zu übernehmen,
nach Lienz kam, hatte sie bereits außerhalb
der engen, kleinbürgerlichen elterlichen
Wohnung viel Lebenserfahrung gesam-
melt. Siebzehnjährig verließ die am 25.
April 1875 geborene Maria Peychär ihre
Eltern – ihr Vater Josef Peychär war ein
aus Böhmen stammender Schneidermei-
ster und ihre Mutter Maria war Hebamme
– und sechs Geschwister und beschloß,
selbständig zu werden. Als Verkäuferin in
St. Gallen/Schweiz und als Tabakfabriks-
arbeiterin in München
4
verdiente sie sich
ihren Lebensunterhalt und mußte bereits
als junge Frau die materielle Beschwer-
lichkeit einer ledigen Mutter von zwei
Kindern, die sie 1898 und 1900 gebar,
kennenlernen.
Lienz war um die Jahrhundertwende
eine Stadt mit etwa 4.500 Einwohnern
5
, ge-
prägt von kleinen Gewerbe- und Handels-
betrieben, aufkommendem Fremden-
verkehr und bäuerlichem Umfeld. Dem-
entsprechend war auch die Bevölkerung
streng katholisch, kleinbürgerlich und
konservativ. Ledig-
lich die Eisen-
bahner, die mit
dem Bau der Pu-
stertalbahn
zwi-
schen Lienz und
Franzensfeste ab
den siebziger Jah-
ren des vorigen
Jahrhunderts nach
Lienz
kamen,
lockerten das tradi-
tionelle Kleinstadt-
leben ein bißchen
auf. Im Gegensatz
zur
ansässigen
bäuerlichen
und
kl e ins t ädt i schen
Bevölkerung identi-
fizierten sich die
Eisenbahner
mit
sozialdemokrat i-
schen Ideen und
waren wie überall
in Tirol die wichtig-
sten Träger der Ar-
b e i
-
ter/innenbewegung.
Gemeinsam
mit
der liberalen Partei gelang es ihnen z. B.
einige Jahrzehnte später (1912), die
christlich-soziale Vormachtstellung in
Lienz zu sprengen und in den Gemeinde-
rat einzuziehen .
6
Dennoch galt es damals
in Lienz – mündlichen Überlieferungen
zufolge – als besonders anrüchig, ein/e
„Rote/r“ zu sein und in den von der Süd-
bahngesellschaft erbauten Eisenbahner-
häusern am Rindermarkt zu wohnen.
Auch Maria Ducia, die 1903 den in
Lienz ansässigen Lokomotivführer Anton
Ducia heiratete, bewohnte mit ihren zwi-
schen 1903 und 1906 geborenen vier ehe-
lichen und den zwei außerehelichen Kin-
dern eine sechzig Quadratmeter große
Andrea Mayr
„Geh deine Bahn und laß
die Leute schwätzen“
Leben und Politik der Lienzer Sozialdemokratin und späteren Landtagsabgeordneten Maria Ducia (1875-1959)
1
Das „Aktionskomitee der freien politischen Frauenorganisation“ in Lienz mit Maria
Ducia (vorne rechts), 1911/12. (Aufnahme zur Verfügung gestellt von Anna Waldeck)
Nummer 2/1997
65. Jahrgang
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “