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Zeitung“ vermerkte ironisch,
„daß der
Freisinn unserer Frauen und Mädchen
[gemeint sind die Mitglieder der örtlichen
Frauenbewegung, A.M.]
die allerbeste
Vertretung in der Fleischfrage genießt.“
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Maria Ducia reagierte auf diese Polemik
mit einem offenen Brief an die Redaktion
der „Lienzer Zeitung“, der aber in dersel-
ben nie veröffentlicht wurde.
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Um als Konsumentin auf die Ver-
schlechterung der Versorgungslage rea-
gieren zu können, trat Ducia dem Lienzer
Konsumverein – einer Art Selbsthilfeor-
ganisation – bei, in dessen Lokalkomitee
sie 1913 gemeinsam mit den Genossinnen
Reiß, Schürer und Pribic sowie elf Män-
nern gewählt wurde.
Die Auseinandersetzungen um
die Errichtung einer städtischen
Mädchenvolksschule
Als Mutter von vier schulpflichtigen
Mädchen und sozialdemokratische Politi-
kerin war die der Kirche gegenüber sehr
kritisch eingestellte Ducia auch von den
jahrelangen Diskussionen um die Errich-
tung einer städtischen Mädchenschule be-
troffen. Die liberale Stadtverwaltung mit
Bürgermeister Josef Anton Rohracher ver-
anlaßte 1911 den Bau einer öffentlichen
weltlichen Mädchenschule als Alternative
zur bereits bestehenden Mädchenvolks-
schule der Dominikanerinnen.
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Im
Tiroler Landtag der zwanziger Jahre griff
Maria Ducia die Debatte um diese öffent-
liche Mädchenvolksschule im Rahmen
ihrer Kritik an der christlich-sozialen Sub-
ventionierungspolitik von klerikalen Ein-
richtungen (gemeint sind katholische
Schulen) durch Steuergelder auf. In ihren
Reden verwies sie vor allem auf die Be-
nachteiligung nichtkatholischer Schüle-
rinnen seitens der Nonnen:
„Es ist nachweisbar, daß von den Klo-
sterfrauen die Kinder der Eisenbahner, die
ja in Lienz seinerzeit weniger geschätzt
wurden als heute, sich sehr oft öffentlich als
Gesindel bezeichnen lassen mußten, daß
die Kinder der Eisenbahner auch in der
Schule schlechter behandelt wurden als die
Kinder der sogenannten Bürgerschaft.“
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Jedoch fand die öffentliche Schule – er-
richtet über dem Turnsaal der Knaben-
schule – bei liberalen Kreisen der Bevöl-
kerung wenig Anklang. Ducia führte dies
auf den „klerikalen Terror“,
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z. B. die
Verbreitung der Gerüchte, daß das neue
Gebäude baufällig sei und daß in Zukunft
überhaupt kein Religionsunterricht statt-
finden würde, zurück.
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„Ihr Lebensinteresse gebietet den
Frauen, politische Rechte zu erringen“
Maria Ducia lernte die Grundbegriffe
des politischen Handwerks in einer Zeit,
als den Frauen vom Gesetz her weder eine
politische Vereinstätigkeit noch das
Stimmrecht zugebilligt wurden. 1907
wurde das allgemeine, gleiche und direk-
te Wahlrecht für alle Männer ab dem 24.
Lebensjahr wirksam. Die Forderung nach
einem Frauenwahlrecht begleitete bis
1918 sowohl die Arbeit der sozialdemo-
kratischen als auch der radikalen bürgerli-
chen Frauenorganisationen. International
wurde seit 1911 im März ein Frauentag
zur Erlangung des Frauenwahlrechtes ab-
gehalten. Auch in Lienz hielt Ducia im
Gasthof „Glöcklturm“ eine Rede anläßlich
dieses Frauenaktionstages.
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Sie betonte,
daß die Frauen aufgrund ihrer Pflichten
im Produktions- und Reproduktionsbe-
reich (gemeint sind Haushalt und Familie)
wichtige Funktionen für die Gesellschaft
erfüllten und somit die politische Gleich-
berechtigung für sie unerläßlich sei.
Maria Ducia erhielt entscheidende An-
stöße für eine Politik von Frauen für
Frauen auf den von ihr regelmäßig besuch-
ten Frauenreichskonferenzen ab 1911 und
als Delegierte der Bezirksorganisation
Lienz auf den reichsweiten Parteitagen. Auf-
merksam verfolgte sie die Referate der
Wiener Parteifrauen zur Organisations-,
Agitations- und Bildungsarbeit für Prole-
tarierinnen. Entschlossen, in Tirol eine
Landesfrauenorganisation aufzubauen,
kehrte sie von der Frauenreichskonferenz
1911 aus Innsbruck nach Lienz zurück.
Ein Jahr später konnte sie sich ihren
sehnlichsten politischen Wunsch erfüllen.
Gemeinsam mit einigen Frauen aus
Nordtirol berief sie im März 1912 die erste
Tiroler Landesfrauenkonferenz ein. Ducia,
wohl eine der fähigsten Tiroler Sozial-
demokratinnen, wurde Landesvertrauens-
person und Mitglied im sechsköpfigen
Landesfrauenkomitee.
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Sie saß somit an
einer Schaltstelle, wo sie sowohl mit
der Frauenbasis als auch mit den Partei-
gremien zusammenarbeitete.
Mit Ducias Wahl zur Landesvertrauens-
person veränderte sich ihr Leben, und
ihre Aktivitäten verlagerten sich von Be-
zirksebene auf Landesebene. Eine rege
Reisetätigkeit begann für sie, zeitaufwendig
(die Zugfahrt Lienz-Innsbruck dauerte da-
mals ca. 6 Stunden) und finanziell bela-
stend, obwohl die verbilligte Bahnfahrt für
Angehörige eines Eisenbahners die Aus-
gaben verringerten. Diäten für Politiker-
innen wurden damals noch keine bezahlt.
Zur Schaffung einer politischen Infra-
struktur gehörten nicht nur örtliche Komi-
teegründungen, sondern auch die Betreu-
ung der einzelnen Ortsgruppen im
ganzen Land, von Meran bis Landeck,
durch die Landesvertrauensperson.
„Bildungsideal als Befreiungsideal“
Ein besonderes Anliegen war Ducia die
Bildungsarbeit für Frauen. In Form von
Lesekreisen und Funktionärinnenkursen
sollten interessierten Frauen die Grund-
lagen sozialistischen Denkens vermittelt
werden. Ducias Fortbildungstätigkeit bil-
dete den Grundstein für die rhetorische
Kunst der zukünftigen brillanten Rednerin
im Landtag. Bildung galt für sie als ein
Grundpfeiler für die Befreiung der Arbei-
ter/innenklasse. Deshalb nutzte Ducia jede
Möglichkeit, sich weiterzubilden: 1912 be-
suchte sie die Parteischule in Klagenfurt.
Sie beschränkte sich allerdings nicht nur
auf marxistische Denker und einschlägige
Parteiliteratur, sondern bildete sich auch
privat weiter: Vorerst – während ihre Kin-
der klein waren – am Küchentisch, später,
als sie schon in Innsbruck war, im Kaffee-
haus, Bücher und Zeitungen lesend.
Klassiker wie Rousseau, Dante, Schiller
oder Goethe, die sie in billigen Reclam-
Ausgaben besaß, prägten ihre humanisti-
schen Wertvorstellungen. Ihr Sohn Toni
erinnerte sich z. B. daran, daß ihm seine
Mutter mit Begeisterung aus Goethes
„Faust“ vorlas. Innerhalb der Partei galt sie
vor allem im Alter als außerordentlich ge-
bildete Frau, obwohl sie keine höhere
Schulbildung besaß.
Maria Ducia war inzwischen eine
„Vollblutpolitikerin“ geworden. Zweifels-
ohne gelang es ihr, mit ihren Genossinnen
eine breite Basis der Frauenbewegung im
ganzen Land aufzubauen, trotz der vielen
privaten und wirtschaftlich-politischen
Mühen, die der Erste Weltkrieg mit sich
brachte. Bis 1913 entstanden in ganz Tirol
neun lokale Frauenorganisationen mit ins-
gesamt 540 Mitgliedern.
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Neben dem häu-
figen Ausfall der Verkehrsmittel behinder-
ten die enorme Belastung der Frauen, die
ihre Männer in der Wirtschaft und als
Familienernährer ersetzen mußten sowie
die katastrophale Hungersnot die Weiter-
entwicklung der Frauenorganisation.
Inserat des „Möbellagers”, das Maria
Ducia von 1904 bis 1907 selbständig
führte; Inserat in der Lienzer Zeitung 1904
Nr. 35.
Die Lokomotivführersgattin Maria Ducia
als Mitglied des Tiroler Landtages, 1919.
(Aufnahme zur Verfügung gestellt von
Dipl.-Ing. Falco Ducia.)
Nummer 2 –– 65. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r