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also in der ersten Zeit nach dem Zweiten
Weltkrieg, unverblümt die Hoffnung auf
eine Rückkehr Südtirols geäußert hatte.
Das gilt für den späteren Nationalrat Krane-
bitter ebenso wie für Stemberger. Wie ein
ceterum censeo urgiert Stemberger die
Südtirolfrage, die ihm wie seinem Kanzler
Figl zur „Herzenssache“ wurde
29
. Er argu-
mentierte vor allem mit der Gerechtigkeit,
ohne die ein allfälliger Friedensvertrag
nicht Bestand haben könne. Erstaunlich
ist, daß sich Stemberger im „Osttiroler
Bote“ nie zur Frage der Rückgliederung
Osttirols geäußert hat – vermutlich des-
halb, weil sich diese Frage für ihn wohl
mit der angestrebten Rückgliederung
Südtirols quasi von selbst erledigt hätte.
Für den heutigen Leser ebenfalls bemer-
kenswert erscheint, daß Stemberger sich
offen zu seiner religiösen Überzeugung
bekennt und sie auch zum Maßstab für
alles Handeln erhebt. Auch Demokratie sei
für ihn nicht letztes Ziel und absoluter
Wert, sondern nur ein Weg, der zum Ziel
führe
30
; eine letzte Antwort auf alle aktu-
ellen Fragen – vor allem politischer und
wirtschaftlicher Natur – könne nur aus ei-
ner tiefen traditionellen und religiösen
Bindung kommen
31
.
Die Südtirolfrage wurde besonders nach
der Ablehnung einer Rückkehr Südtirols
durch die Außenminister auf der Pariser
Friedenskonferenz heftig debattiert. Am
7. Mai – einen Tag vor dem in ganz Öster-
reich begangenen Tag der Befreiung
durch die Alliierten – hielt der National-
ratsabgeordnete eine mit großem Beifall
aufgenommene Rede
32
. Wenige Tage
später veröffentlichte er im „Osttiroler
Bote“ einen Artikel, in dem er das
Gespenst eines abermaligen Verlusts
Südtirols an die Wand malte
33
. Er hatte die
Vision eines geeinten Tirol, das „völker-
versöhnend und befreiend … wirken,
nicht nur ein Symbol, sondern ein wirklich
lebendes Zeugnis des Friedens – der Ruhe
und der Ordnung nach außen und innen“
34
sein sollte. Aber nicht nur Tirol, sondern
den wiedererstandenen Staat Österreich
sah er in der Rolle des „Friedensvermitt-
lers und Friedenskünders“
35
in Europa. Er
knüpfte dabei an den Österreich-Patriotis-
mus der Zwischenkriegszeit an, der ihm in
dem ermordeten Engelbert Dollfuß gera-
dezu verkörpert schien. Stembergers
Reflexionen über diese Rolle Österreichs
in der europäischen Friedensordnung
verraten zudem seine profunden histo-
rischen und literarischen Kenntnisse.
Sein letzter im Jahre 1946 veröffent-
lichter Artikel enthält einen Appell an die
offenbar müde gewordene, von den
Mißerfolgen des Wiederaufbaus ent-
täuschte Bevölkerung
36
. Er warnt aber dar-
in zugleich vor einer Überbewertung der
Arbeit im Sinne eines Allheilmittels, also
in der Arbeit gewissermaßen eine Ersatz-
religion zu sehen. Wie in allen gesell-
schaftspolitischen Artikeln rechnete
Stemberger auch in diesem Aufsatz scho-
nungslos mit dem Nationalsozialismus ab.
Die weiteren Nummern des „Osttiroler
Bote“ enthalten keine Artikel mehr von
Dr. Stemberger, lediglich am 6. 12. er-
schien die lapidare Notiz, daß der Natio-
nalrat erkrankt und folglich von persön-
lichen Vorsprachen Abstand zu nehmen
sei
37
.
Stemberger griff erst am Beginn des
neuen Jahres 1947 noch zweimal zur
Feder, und zwar als es um das National-
sozialistengesetz ging, das am 26. Jänner
vom Nationalrat einstimmig beschlossen
worden war
38
. In einem Leitartikel hatte
Landtagsabgeordneter Franz Kranebitter
die Härten des Gesetzes kritisiert und in-
direkt das österreichische Parlament
dafür verantwortlich gemacht – freilich
nicht ohne die Einschränkung, daß auch
die Besatzungsmächte ihre Hände im Spiel
hätten
39
. Er brach darin eine Lanze für die
„erbarmende und verzeihende Liebe“ und
warnte zugleich davor, daß „mit Haß und
Ungerechtigkeiten … der verderbliche
nationalsozialistische Geist … nicht über-
wunden“
40
werden könne. Auch in ande-
ren Artikeln distanzierte sich der „Ostti-
roler Bote“ von der Härte dieses Geset-
zes
41
, während Stemberger das Vorgehen
der Abgeordneten und auch die Strenge
der Alliierten verteidigte. Dies wird einer-
seits aus seiner persönlichen, von Anfang
an unerbittlichen Haltung gegenüber dem
Nationalsozialismus verständlich und an-
dererseits aus der Kritik am Parlament,
dem er ja selbst angehörte. Sein letzter
Artikel, überschrieben mit den Worten „Im
Banne des Dämons“
42
, fand denn – in einem
Nachsatz – auch nicht mehr die „vollin-
haltliche“ Zustimmung der Redaktion.
Die letzte Sitzung, an der der Osttiroler
Parlamentarier teilnahm, war im Juni
1947. Er kam bereits gesundheitlich
schwer gezeichnet nach Hause. Sein
Sohn Edwin hatte ihn im Zug bis Villach
begleitet, wo beide von Hiblers Dienst-
wagen abgeholt wurden. Im Lienzer
Krankenhaus, in das er nun eingeliefert
werden mußte, verstarb er am 8. Juli.
Das Begräbnis fand unter großer An-
teilnahme und Beteiligung von Klerus und
Bevölkerung Osttirols auf dem Lienzer
Friedhof statt. Mehrere Nationalratsabge-
ordnete und Landespolitiker waren an-
wesend und hielten Gedenkreden, unter
anderem Stembergers Nachfolger im
Nationalrat (1947 – 70), der damalige Be-
zirksbauernobmann Franz Kranebitter.
Dekan Budameier zelebrierte das Re-
quiem
43
.
Am 30. Juli hielt der Nationalratsprä-
sident Dr. Alfons Gorbach im Parlament
einen Nachruf, den er mit den Worten
schloß: „Mit Dr. Stemberger ist ein auf-
rechter, braver Österreicher, ein lieber
Kollege von uns gegangen, dem wir stets
ein ehrenvolles Gedenken bewahren
wollen.“ Ein von festem Glauben und von
Vaterlandsliebe geprägtes Leben fand
seinen irdischen Abschluß.
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
65. Jahrgang –– Nummer 7
Das durch Kriegseinwirkung schwer beschädigte Parlamentsgebäude in Wien, in das
Dr. J. Stemberger im Jahr 1945 als Abgeordneter zum österreichischen Nationalrat einzog.