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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
67. Jahrgang –– Nummer 9
Verbreitung der Sonnenuhren
in Europa
Mit der Christianisierung und dem Auf-
kommen der Klöster in Europa, etwa im
7. Jhdt., kam die Sonnenuhr auch in unser
Land. Mönche benutzten sie zusammen mit
Wasseruhren und anderen Hilfsmitteln zur
Einhaltung der nach den strengen Kloster-
regeln vorgeschriebenen sieben Gebetszei-
ten. Die Grundlage für die Tageseinteilung
bildeten immer noch die antiken Tempo-
ralstunden, also die 12-Stundenteilung
vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Un-
tergang. So wird zum Beispiel heute noch
in Klöstern das Mittagsgebet als „Hora
sexta“ also zur sechsten Stunde bezeichnet.
Die als Gebetsuhren bezeichneten einfa-
chen Sonnenuhren haben einen waagrech-
ten Schattenstab und enthalten meist nur die
den Gebetszeiten entsprechenden Stunden-
linien. Besonders in England, aber auch in
Deutschland, sind an romanischen Kirchen
noch viele vorhanden. In Osttirol gibt es
keine Sonnenuhr mit Temporalstunden.
Bereits in vorgeschichtlicher Zeit be-
nutzte man aber auch Berge zur Bestim-
mung der Tageszeit. Heute noch bezeugen
Bergnamen wie Mittagsspitze, Zwölfer-
kogel, Sonnwendspitze usw. die Funktion
dieser Berge als Markierungen für die
Tageszeit oder für das Datum. In den
Sextener Dolomiten gibt es einen Zehner-,
Elfer-, Zwölfer- und Einserkofel. In Bad
Moos südlich von Sexten stimmen der
Stand der Sonne mit den angegebenen
Tageszeitpunkten relativ gut überein.
Das goldene Zeitalter der Sonnenuhr
In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts
begannen die Räderuhren ihren Siegeszug
in Europa. Die ersten öffentlichen Uhren
wurden in Oberitalien (Mailand 1336, Flo-
renz 1354) und Deutschland (Nürnberg
um 1350) errichtet. Die erste Schlaguhr
von St. Stephan in Wien ist vor 1380 ent-
standen. In den Büchern des Wiener Kam-
meramtes findet sich aus diesem Jahr der
Hinweis, daß der Wächter von St. Stephan
„für das Schlagen der Stunden“ gesondert
bezahlt wurde.
Die Räderuhren revolutionierten das Le-
ben der Städte. Die Uhr übernahm die
Macht über den Tagesablauf, ermöglichte
aber auch eine bessere Organisation
komplexerer Arbeitsabläufe. Sie bewirkten
darüber hinaus eine entscheidende Ände-
rung der Tageszeiteinteilung. Statt der
Temporalstunden wurden nun die soge-
nannten Äquinoktialstunden eingeführt,
also jene Stundenzählung, die bisher schon
zu den Äquinoktien, an denen Tag und
Nacht gleich lang sind, gebräuchlich wa-
ren. Man zählte von da an zwölf Stunden
von Mittag bis Mitternacht und wiederum
zwölf Stunden von Mitternacht bis Mittag.
Die Stunden waren das ganze Jahr hin-
durch gleich lang.
Eine dominierende Rolle erhielten die
Sonnenuhren, indem sie jetzt zur Gang-
kontrolle der Räderuhren eingesetzt wur-
den. Es war dafür notwendig, zu jeder
Räderuhr mindestens eine Sonnenuhr an-
zubringen. Die meisten Sonnenuhren
wurden an den Wänden von Kirchen und
öffentlichen Gebäuden errichtet. Sie waren
die einzige Kontrolle der Räderuhren und
daher unentbehrlich. Die Räderuhren wa-
ren den Sonnenuhren untergeordnet. Dar-
über hinaus musste ein neuer Typ von
Sonnenuhren erfunden werden. Die bishe-
rigen Sonnenuhren, welche die Temporal-
stunden anzeigten, waren ungeeignet.
Der neue Sonnenuhrentyp ist heute noch
gebräuchlich. Sein Charakteristikum ist
der erdachsparallele Stab (auch Polstab ge-
nannt). Er tauchte in der ersten Hälfte des
15. Jahrhunderts auf. Sein Erfinder ist
nicht bekannt. Es wird aber vermutet, daß
der Wiener Astronom Georg von Peuer-
bach an der Entwicklung beteiligt war.
1451 war er Lehrer an der Bürgerschule
nächst St. Stephan (heute Churhaus).
Damals hat er eine „Polstabsonnenuhr“ an
einem nach Süden gerichteten Chorpfeiler
des Stephansdoms angebracht. Die heute
dort noch vorhandene Sonnenuhr ist ver-
mutlich eine später erneuerte Uhr.
Laut den Rechnungsbüchern der Stadt
Hall entwarf 1452 Magister Martin, Schul-
meister in Hall in Tirol, für die dortige
Stadtpfarrkirche eine Sonnenuhr mit Pol-
stab. Sie zählt zu den ältesten in Österreich.
Sehr früh, nämlich 1473, wurden auch am
Zwölferturm in Sterzing eine Räderuhr und
eine Sonnenuhr angebracht.
Um 1500 gab es bereits Bücher über die
Konstruktion von Sonnenuhren. Auch
Albrecht Dürer veröffentlichte in einem
Architekturbuch eine Anleitung zum Bau
von Sonnenuhren.
Am Anfang waren die Sonnenuhren sehr
einfach gestaltet. Im Laufe der Zeit, ins-
besonders in der Barockzeit, war man be-
strebt, die Sonnenuhren künstlerisch aus-
zugestalten. Man brachte Sinnsprüche an,
Wappen, Chronogramme und Verzierun-
gen aller Art.
Außerdem wurde ihr gnomonischer
Wert vergrößert. Ab dem 16. Jahrhundert
wurden die Zifferblätter der Sonnenuhren
mit zusätzlichem astronomischem Linea-
ment bereichert. Man wollte auf der Son-
nenuhr nicht nur die Tageszeit ablesen,
sondern auch das Datum, die Länge des
lichten Tages, die Stunden seit Sonnenauf-
gang bzw. Untergang und vieles mehr.
In den Klöstern gab es in der Regel Ex-
perten für Astronomie und Gnomonik. Da-
her findet man insbesonders in den Stiften
und Klöstern, aber auch in Schlössern die
kunstvollsten und astronomisch an-
spruchsvollsten Sonnenuhren. Auch die
Anzahl ist oft bemerkenswert. So gibt es
zum Beispiel im Schloß Raabs an der
Thaya 13 Sonnenuhren.
In Tirol war es ein einfacher Bauer, der
in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts,
also in der Zeit des Barock, im Bau von
Sonnenuhren neue Maßstäbe setzte, die
sich auf ganz Tirol auswirkten. Es handelt
sich um den als „Bauernkartograph“ in die
Geschichte eingegangenen Peter Anich
(1723-1766) aus Oberperfuss. Er war der
Sohn eines Kleinbauern und besuchte ur-
sprünglich nur die Dorfschule. Als der
Jesuitenpater Ignaz Weinhart, Professor
für Mathematik und Physik an der Uni-
versität Innsbruck, Anichs geniale Bega-
bung auf handwerklichem und theoreti-
schem Gebiet erkannte, gab er ihm einige
Jahre Privatunterricht. In der Folge vermaß
und kartographierte Anich auf wissen-
schaftlicher Grundlage im Alleingang fast
das ganze Gebiet Tirols bis zum Gardasee.
Eine seiner vielen wissenschaftlichen
Beschäftigungen war auch die Konstruk-
tion und der Bau von Wand- und tragbaren
Sonnenuhren. Seine wahrscheinlich erste
Sonnenuhr ist jene am Brangerhof in Un-
terperfuss, die mit 1745 datiert ist. Diese
Uhr konstruierte und malte er sogar noch
vor seiner Lehrzeit bei Pater Weinhart. Wie
er es zustande brachte, eine Sonnenuhr mit
Datumslinien sowie mit einem Mittelband
für die Tageslängen zu konstruieren auf der
Grundlage einer einfachen Dorfschulaus-
Nußdorf, Ansitz „Staudach“, datierte
Sonnenuhr von 1559.
Foto: Heinrich Stocker
Matrei i. O., Hintermarkt 6, ehemaliger
Ansitz Lasser von Zollheim, Sonnenuhr
von 1571 (?).
Foto: Heinrich Stocker
Lienz, Beda Weber-Gasse 4, Sonnenuhr
17. Jahrhundert.
Foto: Karl Schwarzinger