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OSTTIROLER
NUMMER 12/2014
3
HEIMATBLÄTTER
frühen Glocken von Leisach zu
verdanken haben. Dieser Pfarrer
hat 1926 in fünf Heften der Ost-
tiroler Heimatblätter auf 27 Sei-
ten in einem hochinteressanten
Aufsatz darüber berichtet.
Die ältesten Glocken von
denen man weiß, sind 1652
beim Brand zerstört worden.
Nach dieser Katastrophe wird
wohl das bekannteste Leisacher
Glöcklein in den Turm gekom-
men sein, das Sterbeglöcklein,
1686 gegossen, aber nicht für
Leisach. Es wurde anderswo
entnommen und kam als Spende
in den Ort. Über die Grenzen
hinaus bekannt wurde es als
„Marien Glöcklein von Lei-
sach“ im Roman von Fanny
Wibmer-Pedit.
Den Leisacher Kirchenglocken
war kein ruhiges Leben be-
schert, kaum waren einige neue
im Turm, brannte es 1749 wie-
derum. Ein neues Geläut musste
her, um im Jahr 1809 dasselbe
Schicksal zu erleiden! Das Ster-
beglöcklein überlebte Krieg und
alle Feuerstürme. Das Leisacher
Kirchenvolk ließ sich nicht
unterkriegen, schon 1810 kam
eine große Glocke in den Turm;
Schlag auf Schlag folgten ihr
weitere auf den Glockenstuhl.
Bei aller Mühe und allem Fleiß,
die Glocken stimmten klanglich nicht
überein, so blieb es nur bei einem „Bettel-
gleit“. Der neue Kurat Johann Paul
Tschurtschentaler und die Bevölkerung
von Leisach beschlossen im Jahr 1871, ein
neues Geläute zu bestellen. Mit der freu-
digen Spendenwilligkeit der Dorfbewoh-
ner und der kräftigen Unterstützung durch
die Gemeinde, konnten am Pfingstsamstag
1872 die Glocken mit dem schönsten Ge-
sang ihren Kirchendienst beginnen.
Im Jahr 1904 wird in Leisach ein „Pfarr-
kirchen-Renovierungs-Verein“ gegründet,
der sich zum Ziel setzt, das Kircheninnere
von seinem barocken Kleid zu befreien
und dem Geschmack und der Mode der
Zeit entsprechend zu regotisieren. Auf
einer Fotografie aus den Jahren 1902/1905
sieht man das Gotteshaus zum letzten Mal
mit der barocken Ausstattung. 1910 wird
mit der Regotisierung begonnen. 1909
kam Pfarrer Josef Kugler nach Leisach
und versah dort bis 1939 seinen Dienst als
Seelsorger. Unter seiner Federführung
wird die Leisacher Kirche erneuert. Die
Arbeiten können erst 1924 mit dem Ein-
bau der Kirchenbänke abgeschlossen
werden. Der Festgottesdienst findet am
Schutzengel-Sonntag statt.
Für die Menschen und ihr Heimatland
wird das Jahr 1914 mit demAusbruch des
Weltkriegs kein Jubeljahr; das gilt auch für
die Glocken. Ist es doch das erste Mal in
der langen Glockengeschichte, dass sie
„rekrutiert“ und in den Krieg ziehen muss-
ten und das innerhalb von eineinhalb Jahr-
zehnten gleich zweimal.
Wie bereits erwähnt, veröffentlichte
Pfarrer Kugler unter dem Titel „Was wir
von den Leisacher Glocken wissen und
nicht wissen“ eine detaillierte Geschichte
des Geläutes. – Im Gedenken an den
Kriegsausbruch vor 100 Jahren könnte
man mit umgewandelten Worten Kuglers
sagen: „Was wir von dieser Zeit wissen
und nicht wissen“. Nachfolgendes spiegelt
die Stimmung und die Einstellung vieler
Menschen jener Zeit wieder:
So schreibt Pfarrer Kugler:
„Das Todesurteil.
Der unvermeidliche Weltkrieg zog sich in
ungeahnte und unbestimmbare Länge.
Nach der glücklichen Abrechnung mit dem
plumpen russischen Bären ging zu Pfings-
ten 1915 der Tanz mit der falschen wel-
schen Katze los.
Der Heeresverwaltung ging aber gar zu
bald das Metall aus. Auf unsern Türmen
hing es in Menge; also appellierte man an
den Patriotismus des christlichen Volkes,
an die Opferwilligkeit der Kirchen. Schon
unter 23. Juni 1915 leitet das ‚Brixner
Diözesanblatt‘ Nr. 8 den Erlaß der k. k.
Statthalterei bzw. des k. k. Ministeriums für
Kultus und Unterricht weiter.“
Man bedenke, im ersten Kriegsjahr, nach
der „glücklichen Abrechnung“ und dem
„Tanz mit der Katz“ waren die Metalle
schon knapp, hingegen Patriotismus und
Opferwille noch ungebrochen. – Schon
härter traf das Christenvolk eine Verlaut-
barung im Diözesanblatt vom 1. Juni 1915,
weitergeleitet von der Statthalterei: Sie be-
sagte, dass Glockenläuten, Pöllerschießen
und andere Handlungen in den Gegenden
südlich des Brenners verboten seien
.
Weitere Verlautbarungen im selben Blatt
vom 12. Jänner 1916:
Dass
„… die Heeresverwaltung vom
vorhandenen Glockenmaterial vorläufig
wenigstens zwei Drittel bean-
spruchen müsse. Zugleich wird
[aus der Diözese]
der Verkauf
der Glocken an Zwischenhänd-
ler mißbilligt, besonders weil es
sich um geweihte kirchliche Ge-
genstände handelt.“
Pfarrer Kugler weiter: „…
Auf
den Sommer folgte wieder der
Winter, auf den greisen Frie-
denskaiser Franz Josef folgte
der jugendliche Friedensfürst
Karl, aber der unselige Krieg
tobte ungeschwächt weiter.“
Für das befohlene Läuteverbot
vom 1. Juni wird in Leisach ver-
merkt, dass hier die Glocken erst
nach dem 8. Juni verstummten.
Für vieles wurde bzw. musste
Verständnis aufgebracht werden.
Das Verbot des Glockenläutens
brachte nur Verdruss, umso mehr,
weil die benachbarten Kärntner
anstandslos ihre Glocken läuten
durften. Vom 12. September bis
1. Oktober erlosch hier das Läu-
teverbot für ein paar Wochen, da
der ganze Bereich für diese Zeit
dem Kärntner Kriegskommando
unterstellt war.
Zwischen Bangen und Hof-
fen:
„Das ganze Jahr 1916 ver-
strich für uns unbehelligt. Wir
betrachteten das als ein Zeichen,
dass die Heeresverwaltung das
Opfer der Kirchenglocken doch nicht
leichtfertig oder voreilig forderte. Zugleich
erwachte die Hoffnung, dass uns dies
Opfer ganz erspart bleibe. Es folgte ja
gegen Jahresende das überraschende
Friedensangebot der beiden siegreichen
[?]
Kaiser, aber leider vergeblich.“
Über die Glockenabnahme schreibt
Josef Kugler:
„Die Hinrichtung 1917.
Am 23. Mai kündete Ingenieur Leutnant
Karl Dobek für die nächsten Tage die erste
Glockenabnahme an und am Donnerstag
und Freitag der Pfingstwoche, am 31. Mai
und 1. Juni, wurde sie richtig und ruhig
vollzogen, auch würdig, indem die ge-
weihten Glocken ganz abgenommen und
nicht wie an manchen Orten auf dem
Turme zerschlagen und brockenweise her-
abgeworfen wurden. … Ein furchtbarer
Aderlaß war es für den Turm, 2123 kg
Lebenssaft wurden ihm abgezapft.“ –
Am
8. April 1918 erfolgte die zweite Glocken-
abnahme.
Der Patriotismus der Bevölkerung war
von da an stark geknickt, es kam zu einem
Wortwechsel und Drohung, es half alles
nichts, es musste klein beigegeben werden.
Für alle Glocken gab es Entschädigung,
die in Leisach und wie sonst überall –
außer beim Nußdorfer Pfarrer – brav in
Kriegsanleihen angelegt wurde.
November 1918 – der Krieg ist aus,
Frieden wird gemacht. Die Leisacher müs-
sen wieder mit einem „Bettelgleit“ (Ster-
beglöcklein und eine kleine Glocke, die
der Kerschbaumer für die Reiter Kapelle
gewidmet hatte) zufrieden sein.
Es wird diesmal länger dauern als 1809,
bis wieder Glocken in den Turm gehängt
Ansicht der Pfarrkirche St. Michael in Leisach, gezeichnet vom
Maler Karl Untergasser, 1924.
(Privatbesitz)