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OSTTIROLER
NUMMER 11/2014
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HEIMATBLÄTTER
tiger Schweizer, Professor an den Univer-
sitäten Zürich und Freiburg sowie von 1857
bis zu seiner Emeritierung 1889 an der
Ludwig-Maximilians-Universität München
tätig. Zahlreiche seiner Schüler haben sich
als anerkannte Forscher in den verschie-
densten botanischen Fachgebieten einen
Namen gemacht.
Velten erhielt im Feber 1873
einen Ruf an die Chemisch-Phy-
siologische Versuchsstation in
Klosterneuburg in der Nähe von
Wien, wo er ab 1. Oktober die
Vertretung von Julius Wiesner
übernahm. 1860 wurde diese Ver-
suchsstation als erste öster-
reichische Wein- und Obstbau-
schule gegründet und 1870 auf
Beschluss des K. k. Ackerbaumi-
nisteriums durch eine Oenoche-
mische Versuchsstation mit zwei
Sektionen (Chemisch-physiolo-
gische Versuche sowie Unter-
suchungswesen) erweitert. Die
Leitung hatte Prof. Dr. Leonhard
Roesler (1839 bis 1910) inne, der
zuletzt als Professor am Groß-
herzoglichen Badischen Poly-
technikum in Karlsruhe tätig
war. 1902 wurde diese Institution
wieder aufgelöst.
In der Publikation „Die Ein-
wirkung der Temperatur auf die
Protoplasmabewegung“ erwähnt
Velten einen von ihm konstru-
ierten und der Institution über-
gebenen Apparat zur Untersu-
chung von Temperaturschwan-
kungen auf das Chlorophyll.
2014 konnte dieses Gerät in den
Inventarlisten nicht mehr nach-
gewiesen werden.
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Wilhelm Velten hielt an der
dortigen Weinbauschule pflan-
zenphysiologische und mykolo-
gische Vorlesungen zu der im
Kontext mit intensivem Weinan-
bau auftretenden Phytopathologie
bzw. Phytomedizin. Im Herbst
1873 wurde er an die nach kai-
serlichem Erlass vom Juni 1874 neugegrün-
dete „K. k. Forstliche Versuchsleitung“
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berufen. Im November 1874 wurde er zum
provisorischen und, nachdem ihm am
4. April 1876 von der Statthalterei Wien die
österreichische Staatsbürgerschaft verliehen
worden war, mittels Dekret vom 28. April
1876 zum wirklichen „K. k. Adjunkt“ an der
Forstlichen Versuchsleitung inWien ernannt.
Velten war damit einer der ersten wissen-
schaftlichen Mitarbeiter des berühmten
Forstwissenschaftlers Arthur Freiherr von
Seckendorff-Gudent (1845 bis 1886).
Ein im selben Jahr von Velten konstru-
ierter Thermostat wurde bei einer Ausstel-
lung im Kensington Museum in London
gezeigt.
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Im Sommer 1876 begab sich der 28-jäh-
rige Dr. Velten auf eine mehrwöchige Stu-
dienreise. Am 5. August verließ er Wien und
erreichte – nach Untersuchungen am Sem-
mering zur „Lärchenkrankheit“ – Osttirol.
In Lienz war er im Hotel „Post“ einquar-
tiert, damals der angesehenste Lienzer Be-
herbergungsbetrieb. Am Samstag, 26. Au-
gust, brach er zu einer Exkursion auf die
Kerschbaumeralm (1.902 m) in den Lienzer
Dolomiten auf, die wegen ihres Pflanzen-
reichtums seit der ersten Erwähnung von
Reiner & Hochenwarth 1792 über botani-
sche Reisen von zahlreichen Botanikern,
u. a. auch von David Heinrich Hoppe
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,
mehrmals aufgesucht wurde.
Velten unternahm den nicht ungefähr-
lichen Aufstieg allein, ohne Bergführer. Er
hatte vor, auch den Spitzkofel (2.718 m) zu
erreichen, der vom Lienzer Kartographen
und Geoplastiker Franz Keil 1855 zum
ersten Mal erstiegen worden ist. Am Spitz-
kofel passierte das Unglück. Von einem auf-
kommenden Schneesturm überrascht,
stürzte Velten an der damals sogenannten
Bretterwand aus etwa 10 bis 15 m
Höhe in eine Schlucht ab.
Da er nicht in sein Hotel
zurückkehrte, erregte dies Auf-
sehen und selbst der „Puster-
thaler Bote“ brachte am Freitag,
1. September, eine Meldung:
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„Lienz, 30. Aug. Samstag
Früh unternahm ein Fremder
aus Wien, welcher im Gasthofe
zur Post hier sein Absteigequar-
tier genommen unter Zurücklas-
sung seines ganzen Gepäckes
ohne Führer eine Exkursion auf
die Kerschbaumer Alpe, ohne
bis heute zurückgekehrt zu sein.
Bereits gestern wurden Nach-
forschungen, jedoch ohne Re-
sultat, gepflogen. Man befürch-
tet, daß der Fremde in dem
wilden schwer zugänglichen Ge-
birge verunglückt sei.
Erst am 1. September wurde
tatsächlich Veltens Leiche in
einer nur schwer zugänglichen
Klamm vom Gamsjäger Josef
Müller aus Leisach entdeckt.
Nach der bei den Behörden ein-
gelangten Todesanzeige begab
sich am 3. September eine aus
mehreren Männern bestehende
behördliche Kommission an die
Unglücksstelle, wo festgestellt
wurde, dass Velten mehrere
Kopfverletzungen erlitten, aber
vermutlich noch einige Stunden
gelebt hatte. In den Taschen des
Verunglückten fand man einen
Revolver, die Hälfte der Patronen
war offenbar vomVerunglückten
noch als Signal-/Notschüsse ab-
gegeben worden. Auf einer Ast-
Die vom Großherzog von Baden im Jahr 1825 in Karlsruhe gegründete Polytechnische
Schule, die Wilhelm Velten von 1865 bis 1868 besuchte.
Unbekannter Fotograf
Apparatur, konstruiert von Wilhelm Velten, entnommen seiner
Publikation „Die Einwirkung der Temperatur auf die Proto-
plasmabewegung“, 1876.