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Am sogenannten Alten
Friedhof um die Pfarrkirche
St. Andrä in Lienz befindet
sich an der schmalen Mauer
zwischen zwei Arkaden –
ziemlich genau der Südwest-
Ecke der Kirche gegenüber –
eine Grabplatte, die wohl
kaum beachtet wird. Da die
schwarze Farbe der vertieften
Buchstaben längst abgegan-
gen ist, ist es sehr schwer, den
Wortlaut zu erfassen. Es han-
delt sich um Dr. WilhelmVel-
ten, einen zu Lebzeiten ange-
sehenen Pflanzenphysiolo-
gen, der im Jahr 1876 in den
Lienzer Dolomiten tödlich
verunglückt ist und hier in
Lienz seine letzte Ruhestätte
gefunden hat.
Wilhelm Velten wurde am
28. September 1848 als Sohn
des Hofkunsthändlers Sig-
mund Velten (1826 bis 1896)
in Karlsruhe geboren. In seiner
Heimatstadt besuchte er bis
zum Jahr 1864 das fünfklas-
sige Lyzeum, anschließend die
nach dem Vorbild der Pariser
École Polytechnique, 1825
vom Großherzog von Baden
gegründete Polytechnische
Schule, eine aus fünf Fach-
hochschulen bestehende Ein-
richtung (Bau-, Chemische-,
Forst-, Handels- und Inge-
nieurschule). Von 1865 bis
1866 besuchte Velten dort die
Forstschule (gelehrt wurden u. a. die Fächer
Botanik, Zoologie, Physik, Chemie und
Mechanik), von 1866 bis 1868 die Chemi-
sche Schule (u. a. mit den Fächern Physik,
Chemie, Chemisches Laboratorium, Che-
mische Technologie, Mineralogie und Geo-
logie). Der Vorstand der Polytechnischen
Karriere in Verbindung mit
Forstkultur prioritärer For-
schungsgegenstand sein wird.
Die Pflanzenphysiologie er-
forscht die physikalischen und
biochemischen Lebensvor-
gänge pflanzlicher Organismen
sowie deren kausale Zusam-
menhänge. Diese von ihm be-
suchte Polytechnische Schule
wird 1885 von Großherzog
Friedrich I. zur Technischen
Hochschule erhoben, seit 1902
trägt sie die Bezeichnung
„Fridericiana“, ab 1967 Uni-
versität, seit 2009 Karlsruher
Institut für Technologie.
ImWintersemester 1868/69
beteiligte sich Velten als Hos-
pitant an einzelnen Vorträgen
und Übungen, am 1. Mai 1869
immatrikulierte er als „stud.
philosophiae“ an der Univer-
sität Heidelberg, wobei er die
„Collegien“ bei den renom-
mierten Professoren Helm-
holtz, Bunsen, Kirchhoff und
Hofmeister besuchte. Seine
Dissertation schrieb er zum
Thema „Neuere Beobachtun-
gen über Paarung von
Schwärmsporen“; am 7. De-
zember bat er um Zulassung
zur Promotion, am 15. De-
zember absolvierte er die
mündliche Doktor-Prüfung,
die Promotionsurkunde ist auf
den 16. Dezember 1870 aus-
gestellt.
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Im April 1871 kam Wilhelm Velten an
die Königlich-Bayerische Universität in
München, wo er für eineinhalb Jahre am
Pflanzenphysiologischen Institut bei Pro-
fessor Carl Wilhelm von Nägeli (1817 bis
1891) arbeitete. Nägeli, ein bedeutender
Botaniker des 19. Jahrhunderts, war gebür-
NUMMER 11/2014
82. JAHRGANG
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Blick zum Spitzkofel (2.718 m) mit Arlingriese, von der eine Schneerinne
hinauf zum Übergang ins Hallebachtal führt.
Foto: Walter Mair
Wolfgang Neuner
Der Botaniker Dr. Wilhelm
Velten (1848-1876) in Lienz
Zur Vita eines aufstrebenden, in den Lienzer Dolomiten tödlich verunglückten Wissenschaftlers
Schule stellte ihm im Abschlusszeugnis
(„Jahres=Bericht“) vom 2. Juli 1868 eine
sehr gute Beurteilung aus. Erstmals wird die
„Pflanzenphysiologie“ als Unterrichtsge-
genstand namentlich gelistet, eine pro-
sperierende Wissenschaftsdisziplin, die in
Veltens persönlicher wissenschaftlicher