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aber keine spezielle Tiroler Einheit war,
sondern zum VIII. Armeekorps mit Sitz in
Prag gehörte. In Tirol blieben nur die Ein-
heiten der Festungsartillerie in den Werken
und Sperren der Südgrenze.
Im Falle eines Krieges – so wurde es
1869 beschlossen – sollten aus bereits ge-
dienten älteren Jahrgängen Landsturm-
bataillone zur Verteidigung des eigenen
Landes gebildet werden. Die zwei vorge-
sehenen Regimenter mit acht Bataillonen
wurden jetzt erstmals aufgeboten. Das
Landsturm-Infanterieregiment Imst Nr. II
musste noch Mitte August an die Nordost-
grenze der Monarchie, während das Land-
sturm-Infanterieregiment Innsbruck Nr. I
vorerst noch im Lande blieb. Die jüngeren
Landstürmer (32 bis 36 Jahre) wurden teils
in den Festungsbereich an der Tiroler Süd-
grenze verlegt, teils der Gendarmerie-As-
sistenz zugeteilt, die den Wachdienst an den
Eisenbahnlinien und zusammen mit der Fi-
nanzwache den Grenzschutz zu überneh-
men hatte. Allgemein wunderte man sich,
dass ausgerechnet die älteren Jahrgänge,
nämlich die 36 bis 42 Jahre alten Männer,
in Bataillone zusammengefasst wurden, die
bei Bedarf zum Kampfeinsatz an die Front
geschickt werden sollten, was bereits Ende
September der Fall war. Die beiden Lan-
deshauptleute von Tirol und Vorarlberg, Dr.
Theodor Kathrein und Adolf Rhomberg,
beschwerten sich beim Verteidigungs-
minister der österreichischen Reichshälfte
ganz entschieden über diese unverständ-
liche Maßname. Sie protestierten auch da-
gegen, dass Landsturm und Landesschüt-
zen nicht im Lande blieben, und verwiesen
auf die Tatsache, dass die Südgrenze Tirols
durch die zweifelhafte Haltung Italiens kei-
neswegs als sicher gelten könne. Tatsäch-
lich stieg die Sorge, Italiens Neutralität im
soeben begonnenen Krieg würde angesichts
seiner Ansprüche auf Welschtirol, Triest
und andere österreichische Gebiete nicht
von Dauer sein. Der Einspruch der Lan-
deshauptleute nützte jedoch nichts, der Mi-
nister verwies in seiner Antwort lediglich
darauf, dass der Einsatz aller Einheiten aus
Tirol durchaus gesetzeskonform sei.
Die Katastrophe Galizien
Fünf Tage dauerte die Fahrt über Ungarn
und die Karpaten nach Galizien. Auf den
folgenden tagelangen Fußmärschen in die
Bereitschaftsräume wurden die Tiroler mit
der Realität konfrontiert, dass die einhei-
mischen Ruthenen (Ukrainer nach heuti-
gem Sprachgebrauch) ihnen wenig bis gar
keine Sympathie entgegenbrachten.
„Die
Fahrt hierher war ein Triumphzug, aber
jetzt hört die Volksbegeisterung auf“
,
schreibt der Student Alois Garber, jetzt Ka-
dett beim 2. Tiroler Kaiserjägerregiment,
seiner Mutter nach Tscherms.
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Getreu seiner Devise, dass Angriff die
beste Verteidigung sei, ließ der österrei-
chische Generalstabschef Franz Conrad
von Hötzendorf zwei der dreieinhalb in
Galizien aufmarschierten österreichischen
Armeen nach Norden vorrücken, um die
Russen noch jenseits der Grenze aufzuhal-
ten. Tatsächlich konnten die 1. Armee bei
Krasnik und die 4. bei Komarów kleinere
Schlachten für sich entscheiden, Siege, die
von der Propaganda in der Heimat maßlos
übertrieben wurden. Tatsächlich nahmen
die Generäle für diese Erfolge derart große
Verluste in Kauf, dass der bald schon not-
wendige Rückzug der 4. Armee im völligen
Desaster endete. Denn der russische Haupt-
stoß erfolgte nicht von Norden, sondern
vom Osten aus und war bis zur galizischen
Hauptstadt Lemberg nicht aufzuhalten. An-
fang September tobten rund um diese Stadt
erbitterte Schlachten (Rawa-Ruska, Gro-
dek), in denen die Elite auch der Tiroler
Regimenter tot am Schlachtfeld blieb,
schwer verwundet wurde oder in Gefan-
genschaft geriet. Wer am Leben und halb-
wegs gesund blieb, war erschöpft, schlecht
versorgt und desillusioniert. Berichte über
den physischen und psychischen Zusam-
menbruch vieler Soldaten und höherer
Ränge sind keine Seltenheit.
Auch am Fluss San mit der Festungsstadt
Przemysl konnten sich die österreichisch-
ungarischen Truppen nicht mehr halten.
Ziemlich chaotisch ging es weiter west-
wärts. Zum Glück drängten die Russen
nicht nach, auch sie hatten hohe Verluste zu
ersetzen und kümmerten sich vorerst
darum, die eroberten Gebiete und Städte zu
sichern. So konnte Ende September eine
OSTTIROLER
NUMMER 9-10/2014
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HEIMATBLÄTTER
Mit solchen fantasievollen Abbildungen – hier der Ausfall aus der belagerten Festung
Przemysl – wollte der Tiroler Volksbote seinen Lesern einen Eindruck vom Kriegsge-
schehen vermitteln.
(Archiv der Verlagsanstalt Tyrolia)
Propaganda-Ansichtskarte mit russischen Kriegsgefangenen.
(Original und Rep. Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Bibliothek)