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„enthoben“ waren, jetzt aber dabei
sein wollten beim viel bejubelten
„Großen Krieg“, warum auch
immer.
Die gerade ihren Wehrdienst ab-
solvierenden Rekruten und Soldaten
waren bereits in ihren Kasernen,
doch die rund 50.000 Männer zwi-
schen 21 und 42 Jahren, die das kai-
serliche Manifest und der Mobilisie-
rungbefehl zu den Waffen riefen,
strömten innerhalb von zwei, drei
Tagen zu den Sammelstellen und den
Standorten der Ergänzungskomman-
dos, wo sie zuerst einmal unterge-
bracht werden mussten, denn die Ka-
sernen reichten bei weitem nicht aus.
So wurden Hotels und Gasthäuser
belegt, für Reserveoffiziere Privat-
quartiere akquiriert, Mannschaften in
Schulen oder Heustädeln unterge-
bracht. Die Dienststellen der Hee-
resverwaltung lösten ihre immense
Aufgabe mit Bravour: Die Kaiserjä-
ger- und Landesschützenregimenter
waren auf die Kriegsstärke von un-
gefähr 5.000 Mann aufzufüllen,
Marschbataillone zum baldigen
Nachrücken an die Front zusam-
menzustellen und Ersatzbataillone,
die vorerst im Lande blieben. Alle
Soldaten waren mit Uniformen, Ge-
päck und Waffen auszurüsten. Au-
ßerdem mussten Trains gebildet und
die den Bauern abgeforderten Pferde
versorgt und zum Teil bereits weitertrans-
portiert werden. Die geeigneten Männer für
Sondereinheiten mussten ausgewählt, die
Ausbildung der im Frühjahr frisch ausge-
musterten Rekruten und der Maturanten als
Einjährig-Freiwillige für den Offiziers-
nachwuchs begonnen werden.
Gleichzeitig mit der Organisierung der
Mannschaften war das gesamte Transport-
wesen auf die Notwendigkeit der Mobili-
sierung umzustellen. Bis 31. Juli waren die
ostösterreichischen und ausländischen Fe-
riengäste in überfüllten Zügen außer Lan-
des gebracht worden. Ab 1. August standen
Eisenbahnnetz, Lokomotiven und Waggons
ausschließlich für den Truppentransport zur
Verfügung; zuerst innerhalb Tirols, um alle
Soldaten zu ihren Sammelplätzen zu brin-
gen, dann begann der Auszug an die Front.
Den Anfang machten verschiedene Ein-
heiten, deren Friedensgarnisonen sich in
Tirol befanden. In Lienz wurde schon am
4. August das dort stationierte Feldjäger-
bataillon vereidigt und verabschiedet. Die
Feldmesse zelebrierte Dekan Stemberger.
Entsprechend der nationalen Zusammen-
setzung der Mannschaft wurde die Eides-
formel auf Deutsch und „Böhmisch“ ge-
sprochen. Die Musikkapelle des Ba-
taillons intonierte das in jenen Tagen
wohl meistgespielte Musikstück der
Monarchie, das „Gebet vor der
Schlacht“ nach einem Gedicht von
Theodor Körner. Die „Lienzer Nach-
richten“ verabschiedeten die Solda-
ten, von denen vor allem die Offi-
ziere und Unteroffiziere sich in Lienz
gut eingelebt und auch Freunde ge-
wonnen hatten, mit folgenden Wor-
ten:
„Auch unsere besten Wünsche
begleiten das Bataillon und die
Kanonenbatterie auf ihren Kriegs-
pfaden. Es ist unser sehnlichster
Wunsch, die siegreiche Wiederkehr
der ruhmbedeckten Krieger in herz-
lichster Weise am selben Platze
feiern zu können.“
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Ähnliche Feiern gab es in ganz
Tirol, als ein paar Tage später die
ersten Tiroler Einheiten zum Ab-
transport bereit waren. Den Anfang
machten zwischen dem 8. und
12. August die vier k. u. k. Tiroler
Jägerregimenter, die nach ihrem
ehrenden Namenszusatz „Kaiser-
jäger“ genannt wurden. Sie waren
aus ihren Friedensgarnisonen, die
sich auch außerhalb Tirols befan-
den, in die Kaderstandorte Inns-
bruck, Hall, Brixen und Trient ver-
legt worden und wurden dort nach
feierlicher Vereidigung und Verab-
schiedung einwaggoniert.
Neben den Kaiserjägern waren die Lan-
desschützen die zweite Tiroler Truppe. Ihre
Geschichte geht auf das Jahr 1869 zurück,
als in der österreich-ungarischen Monarchie
die allgemeine Wehrpflicht eingeführt und
das Militärwesen neu organisiert wurde.
Damals wurden in beiden Reichshälften
Österreich und Ungarn Landwehren gebil-
det. In Tirol und Vorarlberg erhielten die aus
„wehrpflichtigen Landessöhnen“
gebilde-
ten drei Regimenter die Bezeichnung k. k.
Landesschützen, also ohne „und“ zwischen
kaiserlich und königlich. Die k. k. Tiroler
Landesschützen, ab 1906 in eine Gebirgs-
truppe umgewandelt und ab 1917 „Kaiser-
schützen“ genannt, sollten entsprechend
alter Tradition zwar weiterhin vornehmlich
das eigene Land verteidigen, doch wurde ihr
Einsatz auf anderen Kriegsschauplätzen
nach und nach durch neue Staatsgesetze
ermöglicht. So rollten zwischen 15. und
20. August die Züge mit den drei Regimen-
tern dieser Truppe und der „Reitenden
Tiroler Landesschützendivision“ an die
russische Front.
Ebenfalls nur aus Wehrpflichtigen des
Kronlandes Tirol bestand das „K. u. k.
Tiroler und Vorarlberger Gebirgsartillerie-
regiment Kaiser Nr. 14“, das mit seinen vier
Gebirgskanonen- und zwei Gebirgshaubit-
zenbatterien in Trient stationiert war und ei-
gentlich zum Schutz des Festungsbereichs
der Welschtiroler Hauptstadt und somit zur
Verteidigung der Südgrenze des Landes be-
stimmt war. Aber die aktuellen Erforder-
nisse der Kriegsführung machten seinen
Einsatz in Galizien ebenso notwendig wie
den der Landesschützen und des Land-
sturms. Dasselbe galt für das Gebirgsartil-
lerieregiment Nr. 8 in Brixen, in dem zwar
auch Tiroler Wehrpflichtige dienten, das
OSTTIROLER
NUMMER 9-10/2014
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HEIMATBLÄTTER
Gruppenfoto von Landesschützen mit einer Tafel „1914 Wiedersehen in den Bergen
Tirols“; in der hintersten Reihe (zweiter von rechts) Andrä Engeler, vulgo Schneider-
Niedermeßner, aus Schlaiten. Für ihn gab es tatsächlich ein solches Wiedersehen; er
überlebte den Krieg und starb 1961 im 71. Lebensjahr.
(Chronik Schlaiten)
Zu Kriegsbeginn herausgegebene Ansichtskarte, die Italien
noch als Bündnispartner von Deutschland und Österreich-
Ungarn darstellt.
(Original und Reproduktion:
Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Bibliothek)