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Wachdiensten. Uniform gab es keine, aber
eine schwarz-gelbe Armbinde kennzeich-
nete sie als Militärpersonen.
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Aus dem Be-
zirk Lienz sind keine solchen Aktivitäten
bekannt. Beim ersten Zusammentreten die-
ser aus dem Boden gestampften neuen Ein-
heit hielt Hauptmann Peter Feldner eine
Ansprache, die wortwörtlich dem Aufruf
des Landeshauptmannes vom 31. Juli ent-
sprach. Er hatte sie wohl aus der Zeitung
abgeschrieben und jetzt vorgelesen.
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Das „Augusterlebnis“
Der überall in Österreich wie in
Deutschland vom Kriegsausbruch ausge-
löste Rauschzustand nationaler Begeiste-
rung schwappte Anfang August auch über
Tirol. Der Krieg wurde vielfach als „reini-
gendes Gewitter“ in einer Zeit zunehmen-
der sozialer und nationaler Spannungen,
gesellschaftlicher Dekadenz und eines –
wie man meinte – faulen Friedens von fast
allen Schichten der Bevölkerung begrüßt.
Man kann es heute kaum verstehen, aber
selbst die besten Köpfe des Landes, Dich-
ter und Denker wie die Mitarbeiter der
Kulturzeitschrift „Der Brenner“, konnten
dem Krieg – grundsätzlich, philosophisch
betrachtet – so viele positive Aspekte ab-
gewinnen, dass es dafürstand, ihn zu füh-
ren. Wie entsetzlich er werden würde,
konnte wohl keiner ahnen.
Die meisten Menschen wollten von der
als zögerlich, ja als feig empfundenen Hal-
tung der Regierung in den vorangegange-
nen Jahren nichts mehr wissen, als es wäh-
rend der Balkankriege zu Kriegsdrohun-
gen und zweimaliger Mobilisierung der
Armee kam, ohne dass wirklich etwas pas-
sierte. Aufgehetzt von Presse und Politi-
kerreden sehnte man eine Entscheidung
herbei. Jetzt war sie gefallen, jetzt hatte der
Kaiser dem kleinen, aber lästigen Nach-
barstaat am Balkan endlich den Krieg er-
klärt. Die Ungewissheit der letzten Wo-
chen seit dem Attentat von Sarajewo war
vorbei, die Spannung löste sich in Jubel.
Dass Serbien als Ausgangspunkt nationa-
ler Hetze gegen Österreich-Ungarn eine
Tracht Prügel verdiene und dieser Un-
ruheherd an der Südgrenze ausgemerzt ge-
höre, war weit verbreitete Meinung von
der Spitze der Monarchie bis hinunter zum
kleinen Mann auf der Straße, auch in Tirol.
Dass sie zugunsten Österreichs ausfallen
würde, davon war man überzeugt. Politik
und Presse hatten die Menschen in ganz
Europa auf Krieg eingestimmt. Und die
allgemeine Begeisterung war ansteckend;
je mehr Menschen zusammenkamen,
desto lauter wurde gefeiert.
Überhaupt war dieses sogenannte „Au-
gusterlebnis“ vor allem ein Phänomen der
größeren Städte. Und es war eine Begeis-
terung der Massen. In privaten Äußerun-
gen ist von Ausgelassenheit wenig zu spü-
ren, da drängen sich Sorgen und Ängste in
den Vordergrund, egal ob sie in Tage-
bücher und Briefen von Städtern oder
Bauern niedergeschrieben wurden.
Trösten mochte so manchen guten Tiroler
Katholiken, der im Grunde seines Herzens
nicht einstimmen wollte in den Jubel, dass
es wenigstens eine gute und gerechte Sache
war, für die er sein Leben einsetzen würde.
Dies hatte ihm der Bischof von Brixen in
seinem Hirtenbrief zum Kriegsbeginn be-
stätigt, und dasselbe hatte der Pfarrer in
volksnahen Worten von der Kanzel wie-
derholt: Der Krieg war gerecht, weil er ein
Verteidigungskrieg war, dem alten guten
Kaiser war ja nichts anderes übrig geblie-
ben, als sich vor den Angriffen der bösen
und noch dazu ketzerischen Serben zu weh-
ren. Und der Krieg war sogar „heilig“, wie
der Reimmichl im „Tiroler Volksboten“ sei-
ner Leserschaft erklärte, ging es doch auch
um die Abwehr eines Angriffs der Ortho-
doxie auf die allein seligmachende katholi-
sche Religion.
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Drei Irrtümer waren weit verbreitet, unter
denen, die zu den Waffen eilten genauso
wie ganz allgemein unter der Bevölkerung:
Erstens meinte man, es ginge gegen die Ser-
ben, von Russland war anfangs nicht die
Rede gewesen und wurde auch im kaiser-
lichen Manifest zur Kriegserklärung über-
haupt nicht erwähnt. Deshalb meinte man,
zweitens, mit denen sei man gleich fertig, in
ein paar Wochen, spätestens zu Weihnach-
ten ist alles vorbei. Drittens rechneten viele
mit der „Waffenbruderschaft“ Italiens, war
das Königreich doch seit 1882 mit Deutsch-
land und der österreich-ungarischen Mo-
narchie verbündet. Doch der „Dreibund“
verpflichtete die Partner nur im Falle eines
Verteidigungskrieges zur Hilfeleistung, und
die k. u. k. Monarchie war nicht angegriffen
worden; außerdem hatte die Wiener Diplo-
matie nicht – wie im Vertrag vorgesehen –
vor der Kriegserklärung Konsultationen mit
Italien gepflegt. So war es nicht zu ver-
wundern, dass Italien sich für neutral er-
klärte.
Dennoch hoffte man in Deutschland – an-
ders als im österreichischen Generalstab,
wo man den Italienern grundsätzlich miss-
traute – auf italienisches Militär zur Unter-
stützung des Angriffs auf Frankreich. Der
deutsche Generalstab stellte in Süddeutsch-
land hunderte Waggons und dutzende Lo-
komotiven zum Truppentransport aus dem
Süden bereit. Und da man sich diesbezüg-
lich wiederum Hilfe von Österreich erwar-
tete, wurden vom Lienzer Bahnhof acht Lo-
komotiven abgezogen und nach Ala an die
Tiroler Südgrenze geschickt. Sie sollten vor
italienische Züge gespannt werden und sie
nach Kufstein bringen.
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Allein, da kamen keine Italiener. So kehr-
ten die Lokomotiven Ende August nach
Lienz zurück. Im Heizhaus amtierte inzwi-
schen ein neuer Chef, denn der bisherige,
Johann Gjuric, war gebürtiger Serbe und
stand sofort unter Spionage- und Sabotage-
verdacht. DemVolkszorn folgend, nahm ihn
die Polizei fest und überstellte ihn nach
Innsbruck. Das dortige Militärgericht ent-
ließ ihn aber nach „langwierigen Untersu-
chungen“ und der Feststellung seiner „voll-
kommenen Unschuld“ aus der Haft. Nach
Lienz kehrte Gjuric verständlicher Weise
nicht zurück, sondern trat in Wien einen
anderen Posten bei der Eisenbahn an.
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Die Tiroler Einheiten
Jeder einzelne Tiroler, der sich in diesen
Tagen bei dem zuständigen Ergänzungs-
kommando meldete, hatte einen anderen
Status für die Militärbehörde. Da gab es
die Reservisten im Offiziers- oder Mann-
schaftsrang, also die Männer zwischen 21
und 32 Jahren, die ihren dreijährigen akti-
ven Militärdienst entweder bei den Kai-
serjägern, bei den Landesschützen oder bei
einer Spezialeinheit der Armee absolviert
hatten und danach als Reservisten durch
sieben Jahre immer wieder zu mehrwö-
chigen Waffenübungen einberufen worden
waren. Dazu kamen die Ersatzreservisten,
das waren die jungen Männer, die bei der
Musterung zwar als tauglich für den Wehr-
dienst eingestuft worden waren, jedoch –
weil so viele nicht gebraucht wurden –
durch Losentscheid vom Militärdienst be-
freit wurden; sie hatten eine kurze Grund-
ausbildung erhalten und waren zu Waffen-
übungen einberufen worden; jetzt wurden
sie dem Landsturm zugeteilt, wobei die
jüngeren Jahrgänge (32 bis 36 Jahre) nicht
für den Kampfeinsatz an der Front einge-
teilt wurden, sondern zum Grenzschutz
und zur Eisenbahnsicherung. Schließlich
gab es noch eine große Zahl Freiwilliger,
die als „Überzählige“ oder aus irgend-
einem anderen Grund vom Militärdienst
OSTTIROLER
NUMMER 9-10/2014
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HEIMATBLÄTTER
Ein zur „Erinnerung an die halbe Dienstzeit“, um 1913 aufgenommenes Gruppenbild von
Kaiserjägern der 14. Kompanie des 2. Regiments, auf dem in der hintersten Reihe (zweiter
von rechts) Peter Tabernig vom Obersteiner in Gwabl zu sehen ist.
(Chronik Schlaiten)