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OSTTIROLER
NUMMER 9-10/2014
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HEIMATBLÄTTER
rers hinaus nach Tassenbach zum Zug, der
die Kartitscher zu den Sammelplätzen im
oberen Pustertal bringt. Die verbliebenen
Musikanten begleiten sie mit patriotischen
Märschen.
Etwas weiter im Westen hilft der damals
dreizehnjährige ladinische Bauernsohn
Anton Mollig aus dem Villnößtal am Sams-
tag, 1. August, bei der Feldarbeit, als die
Glocken zu läuten beginnen. Später schildert
er, was dann passierte und wie die Stimmung
war:
„Wir waren beim Obertschaufeser
obern Haus Weizen schneiden mit der Sichel,
plötzlich um 14 Uhr hören wir überall
Sturmschlagen: St. Peter, St. Jakob, St. Va-
lentin, St. Magdalena. Wir hatten schöne
Aussicht, kein Brand war zu sehen. Der Sohn
Hans lief zu St. Peter Hauptort. Kam mit der
Nachricht: Allgemeine Mobilisierung bis
Jahrgang 42 Jahre alt. Morgen geht‘s dahin.
[…]
Beim Zellenwirt kamen sie zusammen.
Voll Humor, gute Stimmung. Viele meinten, in
14 Tagen sind wir fertig mit den Serben. Der
alte Zellenwirt mit dem großen Bart sagte:
2-3 Jahre. Niemand wollte das glauben.“
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Wie überall zogen die Wehrpflichtigen
nach der Messe – es war der in der Land-
bevölkerung hochgeachtete Portiunkula-
Sonntag – gemeinsam zur nächsten Bahn-
station. Einen Bericht über die Verabschie-
dung in St. Veit i. D. ist vom Pfarrer Johann
Passler erhalten. 74 Männer der einberufe-
nen Jahrgänge 1872 bis 1896 waren zur
Frühmesse gekommen. Als sie sich etwas
später auf dem Dorfplatz zumAuszug bereit
machten, las der Pfarrer gerade die um
8 Uhr begonnene „Spätmesse“. Er unter-
brach sie nach dem Evangelium, um jedem
Einzelnen die Hand drücken zu können.
„Dann zogen sie fort“
, heißt es in der Pfarr-
chronik,
„voran die Musik mit schwarzgel-
ben Fahnen, darnach Johann Stemberger
von Runach
[Hofname]
mit der Schützen-
fahne zum Zotten
[Ortsteil von St. Veit an
der Talstraße]
, begleitet von vielen.“
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In Zotten war fünf Jahre vorher ein Denk-
mal für die Gefallenen von 1809 eingeweiht
worden. Hier versammelten sich die zu-
künftigen Krieger. Auch die Männer von
St. Jakob stießen dazu. Der Jurist Dr. Josef
Stemberger, gebürtig vom Nitzerhof, und
Peter Feldner, vulgo Preger in Bruggen,
Filialleiter der Hutfabrik J. Oberwalder &
Comp., hielten markig-patriotische Anspra-
chen. Feldner sparte dabei nicht mit An-
spielungen an den Heldenkampf von 1809
und empfahl,
„ebenso wie unsere Vorfahren
Gut, Blut und Leben freudig auf dem Altare
des Vaterlandes zu opfern“
.
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Der Pfarrer
beendet die Schilderung dieses denkwürdi-
gen Tages in der Chronik mit folgenden
Worten:
„Um 10 Uhr sah man die Mander
unterm Scheibenrauter über die Straße mar-
schieren. Da wurde angesichts des Krieges
mit allen Glocken geläutet, bis der Zug un-
sichtbar wurde. Die ganze Geschichte hatte
etwas feierlich Ernstes. Daß auch viele
Thränen flossen, wer möchte es den Frauen
und Kindern verargen, zudem sie auch wei-
ter tapfer beteten? Die Musikanten beglei-
teten sie bis außer Hopfgarten.“
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Der erwähnte Peter Feldner begegnet
uns bald darauf als Hauptmann des Lien-
zer Standschützenbataillons, das aus den
noch nicht eingerückten Mitgliedern der
örtlichen Schießstände gebildet wurde.
Auf Drängen des Tiroler Militärkomman-
danten Ludwig von Können-Horack hatte
der Tiroler Landtag im Mai 1913 ein Ge-
setz verabschiedet, das die Schießstand-
schützen und die vielerorts bestehenden
Veteranenvereine zu „landsturmpflichtigen
Körperschaften“ erklärte, um im Verteidi-
gungsfalle eine letzte Reserve zur Ver-
fügung zu haben. Davon machte man nun
Gebrauch, denn erstens konnte man diese
Männer für Wachdienste in der Heimat gut
gebrauchen, zweitens bezweifelte man in
Militärkreisen, dass Italien neutral bleiben
würde und wollte durch die Bereithaltung
eines „letzten Aufgebots“ vorsorgen.
Schon am 31. Juli erließ der Landeshaupt-
mann und Landesoberschützenmeister
Theodor Kathrein an alle Mitglieder der
k. k. Schießstände und der Veteranenver-
eine in Tirol einen Aufruf, der in allen Zei-
tungen abgedruckt wurde, in der Lienzer
Zeitung am 7. August 1914:
„Der Kaiser ruft uns zu den Fahnen! Die-
selben werden in neuer Verklärung auf des
Ruhmes strahlenden Höhen aufgepflanzt
werden. Das Landesverteidigungsgesetz für
Tirol und Vorarlberg vom 25. Mai 1913 be-
stimmt, daß zu gewissen Dienstleistungen be-
hufs Entlastung der regulären Truppen außer
den schon bisher nach den allgemeinen Vor-
schriften Landsturmpflichtigen auch jene
Mitglieder der k. k. Schießstände und der Ve-
teranenvereine herangezogen werden kön-
nen, welche persönlich nicht wehrpflichtig
sind. In den letzten Tagen, historisch denk-
würdig durch die ernsten Ereignisse und die
spontanen patriotischen Kundgebungen, hat
sich so recht geoffenbart, daß der Patriotis-
mus unserer Väter fortlebt und in den Zeiten
der Gefahr in mächtiger heiliger Flamme
emporschlägt. Nicht die Bestimmung eines
Gesetzes braucht es, sondern die Erinnerung
an eine große Vergangenheit, die unwandel-
bare Liebe und Treue zu unserem ange-
stammten Kaiserhaus erwecken in uns allen
das Pflichtgefühl, in diesen ernsten Zeiten
sich für Kaiser und Reich dienstbar zu ma-
chen.
[…]
Schützen und Veteranen Tirols, die ihr
erfüllt seid von unverbrüchlicher Treue zu
Kaiser und Reich, seid allen voran in op-
ferfreudigem Mute und hingebungsvoller
Begeisterung!
Gestützt auf unser gutes Recht und unsere
glorreiche Armee, wie auf die unerschüt-
terliche Bundestreue Deutschlands und Ita-
liens, blicken wir mit fester Zuversicht den
kommenden Ereignissen ins Auge.
Standschützen rückt in Eurer National-
tracht oder im Schützenrocke aus mit der
liebgewonnenen, euch wohlvertrauten Waffe!
Auf, Tiroler, zu den Waffen, gedenkt der
Taten Eurer Väter!
Für Gott, Kaiser und Vaterland!“
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An den Aufruf unmittelbar anschließend
wird betont, dass die
„Verwendung der
Schießstände nach Bedarf“
erfolgen wird,
nur für den Landeshauptschießstand in
Innsbruck sei die Einberufung schon er-
folgt. Am 21. August stellt die Zeitung klar,
dass die Dienstleistung der Veteranenver-
eine und Schützenkorporationen immer nur
24 Stunden betragen dürfe, worauf zwei
Tage Pause eintreten müssen. Damit sei den
Standschützen die Ausübung eines bürger-
lichen Berufs möglich.
14
Inzwischen hatte
Können-Horack am 19. August 1914 den
Befehl erlassen, die
„immatrikulierten
Standschützen Tirols“
, also die bei einem
Schießstand als Mitglieder eingeschriebe-
nen Schützen, einer Musterung zu unter-
ziehen und zu vereidigen.
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Was in den letz-
ten August- und ersten Septembertagen
nach und nach auch passierte, u. a. am 27.
August in Sillian
16
, wo ein eigenes Batail-
lon im Entstehen begriffen war. Auch klei-
nere militärische Übungen wurden da und
dort angesetzt, und besonders patriotische
Schützen meldeten sich zu verschiedenen
Vor dem Abmarsch noch schnell zum Foto-
grafen: Alfons Marinelli, Bauernsohn aus
Mörtschach, der genau am Tag des Ein-
rückens 21 Jahre alt wurde. Er fiel am 3. De-
zember 1914 in Galizien.
(„Tiroler Ehrenbuch“,
Tiroler Landesarchiv, Innsbruck)
Philipp Lindsberger, geb. 1883, Knecht in
Nikolsdorf, ließ sich ebenfalls noch foto-
grafieren, bevor er in den Krieg zog. Er
wurde bald nach Beginn der Kämpfe in
Galizien als vermisst gemeldet.
(„Tiroler Ehrenbuch“,
Tiroler Landesarchiv, Innsbruck)