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OSTTIROLER
NUMMER 9-10/2014
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HEIMATBLÄTTER
„Pustertaler Bote“ versicherte noch am 17.
Juli 1914, es sei
„nicht der geringste
Grund vorhanden, an einen Konflikt mit
Serbien oder sogar an einen Krieg zu
glauben“.
Denn ein solcher führe „
unver-
meidlich zum Krieg mit Russland, das
heißt also zumWeltkrieg“.
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Und das könne
niemand wollen, meinte der brave Zei-
tungsschreiber, der übrigens aus Wien be-
richtete und dementsprechend gut infor-
miert sein sollte. Doch er irrte.
Der Kaiser und seine Generäle wollten
den Krieg und glaubten das Wagnis einge-
hen und selbst Russland als weiteren Geg-
ner riskieren zu müssen. Zumal es nicht nur
um die Glaubwürdigkeit und das angeblich
gefährdete Ansehen des Habsburgerstaates
im europäischen Macht- und Bündnisge-
füge ging, sondern um nichts weniger als
den Erhalt des nur mehr notdürftig zusam-
mengehaltenen Vielvölkerstaates. Das Zu-
sammenleben der elf offiziell anerkannten
Nationen und der zahllosen Minderheiten
unter dem Dach der Doppelmonarchie
wollte nicht mehr richtig funktionieren und
vorsichtige, nur Detailprobleme angehende
Reformversuche waren bisher schon in den
Ansätzen gescheitert. Nun sollte ein Krieg
auf Gedeih und Verderb die Völker wieder
zusammenschweißen und den Bestand der
Monarchie sichern. Wenn das nicht gelin-
gen sollte, wollte man
„wenigstens mit An-
stand untergehen“
, wie selbst von Kaiser
Franz Joseph zu hören war.
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Entscheidend für die Bereitschaft, den für
notwendig gehaltenen Krieg auch wirklich
zu beginnen, war die Blankovollmacht, die
der deutsche Kaiser Wilhelm ausstellte: Be-
dingungslos würde er hinter der Entschei-
dung seines Verbündeten stehen, wie immer
diese auch ausfalle. Mit dieser Rücken-
deckung wurde am 7. Juli 1914 im gemein-
samen Ministerrat der beiden Reichshälften
der Krieg beschlossen. Mit der Kriegs-
erklärung an Serbien setzte Österreich-
Ungarn einen Automatismus in Gang, den
niemand zu stoppen bereit war. Missver-
ständnisse, Dummheiten, Fehleinschätzun-
gen und Jetzt-oder-Nie-Beschlüsse, die
einer zynischen Herausforderung des
Schicksals gleichkamen, führten Europa
und die Welt in den Krieg.
Der Redakteur der „Lienzer Zeitung“
glaubt noch am 28. Juli, als die Meldung von
der befohlenen Teilmobilmachung gegen
Serbien eintrifft, an die Möglichkeit, dass der
Krieg lokalisiert werden könne.
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Und als am
31. Juli die Kriegserklärung des Kaisers auf
der ersten Seite abgedruckt ist, wird auf der
nächsten Seite immer noch die Hoffnung auf
ein Stillhalten Russlands ausgesprochen.
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Doch am Samstag, 1. August 1914, läuten in
ganz Tirol die Glocken. Anschläge an den
Gemeindeämtern und Plakate verkünden die
vom Kaiser befohlene allgemeine Mobil-
machung. Es ist Krieg! Alle wehrfähigen
Männer müssen zu den Waffen.
In der Ausgabe der Lienzer Zeitung vom
Dienstag, 4. August 1914, können wir heute
nachlesen, wie die Lienzer diese Tage er-
lebten:
„Wie ein Blitz aus heiterem Himmel
durchdrang am Freitag Nachmittag die
Nachricht von der allgemeinen Mobilisie-
rung unsere Stadt. Man war eigentlich schon
gefasst darauf, daß es wahrscheinlich so
kommen mußte, daß sich der Gang der Er-
eignisse aber so schnell abwickeln würde,
wurde doch von vielen bezweifelt. Wie ein
Lauffeuer verbreitete sich die ernste Kunde
durch die Straßen und Gassen und es bilde-
ten sich viele Menschengruppen, welche die
vollendete Tatsache besprachen, von wel-
chen die weißen Zettel an den Mauern Mel-
dung erstatteten. Im Laufe des Samstag und
Sonntag kamen die Einberufenen in hellen
Scharen von der Umgebung und den großen
Seitentälern zu Fuß, mit Wagen oder Auto in
die Stadt geströmt, den Rucksack am Rü-
cken, das Kofferchen in der Hand, um für
Gott, Kaiser und Vaterland mit den nächsten
Bahnzügen unsere Stadt zu verlassen. Wohl
selten konnte man ein so bewegtes Straßen-
bild beobachten, als es in diesen Tagen der
Fall war und es sei ausdrücklich bemerkt,
daß die Mobilisierung allgemein mit Be-
geisterung aufgenommen wurde, denn nun
hatte zum langen bangen Warten endlich die
Erlösungsstunde geschlagen.
[…]
Am spä-
ten Samstag-Abend durchzog die Veteranen-
Musikkapelle, umgeben von zahlreichen
Lampionsträgern, an der Spitze die Mitglie-
der des Deutschen Turnvereines Lienz mit
ihrem schönen Banner, die Straßen der
Stadt. Im Hofe der Kaiser Franz Josef-
Kaserne und am Kaiser-Josefplatz vor der
Lieburg wurde Aufstellung genommen und
patriotische Lieder wechselten mit solchen
Musikstücken, denen zum Schluße die
Kaiser-Hymne folgte, welche tausendfache
Hoch- und Heilrufe auf seine Majestät den
Kaiser auslöste. Am Sonntag konzertierte
die Oberlienzer National-Schützen-Kapelle
abwechselnd mit der Veteranenkapelle am
Bahnhofe, wo die Einwaggonierung der ein-
gerückten jungen Männer aus Lienz und
Umgebung samt dem ganzen Iseltal begann.
Stürmische Begrüßungen wurden allen an-
kommenden und abfahrenden dicht gefüllten
Eisenbahnzügen von Stadt und Land zu Teil.
Es fehlte auch nicht an herzzerreißenden Ab-
schieds-Szenen und selten wohl dürften an
dieser Stelle so viele Tränen geflossen sein.
So manches junge Eheleben ist zerrissen, so
mancher Sohn wurde seinen Eltern wegge-
nommen und so mancher Geschäftsmann
mußte seinen Laden allein zurücklassen.“
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Wie es in den Tagen der Mobilmachung
in einem Tiroler Dorfwirtshaus zuging, er-
zählt Oswald Sint, der es als Vierzehnjäh-
riger in Kartitsch miterlebt hat:
„Sie waren
alle guter Dinge.
[…]
Einige Burschen
waren schon ziemlich beduselt, jauchzten,
jodelten und waren voll Begier, die Serben
niederraufen zu dürfen. Verheiratete Män-
ner saßen meist bei Frau und Kindern, be-
rieten mit den älteren von ihnen und da
und dort auch mit einem älteren Knecht
oder dem alten Vater das Notwendigste für
die nächste Zeit.
[…]
Es war viel zu reden
und regeln. Bauern, die einrücken mussten,
hatten da und dort Schulden zu zahlen,
auch Geld für Vieh und Holz abzuholen.
Mancher junge Mann suchte seine Ver-
lobte auf, mancher Bursch verabschiedete
sich von seinem Mädchen. Jahrelange
Zwistigkeiten zwischen Nachbarn wurden
bereinigt. Sie gaben sich zum Abschied die
Hände und sprachen miteinander, was sie
schon lange nicht mehr getan hatten.“
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Schon am 2. August geht es nach Messe,
Kommunion und dem Segen des Ortspfar-
Warten auf Neuigkeiten vor den Anschlag-
tafeln der Behörden und Zeitungen.
Unbekannter Fotograf
(Archiv Haymon Verlag)
Bittprozession mit Gottesdienst für den Sieg am Lienzer Johannesplatz, 23. August 1914.
Unbekannter Fotograf
(Museum der Stadt Lienz Schloss Bruck; zur Verfügung gestellt vom TAP)