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OSTTIROLER
NUMMER 3/2014
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HEIMATBLÄTTER
Schulkinder von Moos (Gem. St. Veit) auf,
die anlässlich einer Christbaumfeier am
1. Jänner 1910 verteilt wurden.
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Ebenso war
Mellitzer Ausschuss-Mitglied im St. Veiter
Schützen- und Musikverein.
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Sein Patrio-
tismus äußerte sich nicht nur in einer Spende
für das Freiheitskämpferdenkmal in Zot-
ten
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, sondern vor allem bei der Anschaffung
neuer Glocken für die Pfarrkirche: Im Jahre
1905 fasste Pfarrer Johann Passler den Plan,
drei neue Glocken anzuschaffen, da das be-
stehende Läutwerk in seinem Klang unbe-
friedigend war. Außerdem musste der
Glockenstuhl erneuert werden. „Am 9. Sep-
tember wurden Georg Mellitzer, Strohhut-
fabrikant in Graz von Scheibenrauth hier,
der die zweitkleinste spendierte, und Josef
Stemberger, Strohhutfabrikant in Manns-
burg, der die dritte Glocke spendierte, zu
Ehrenbürgern ernannt“, schreibt Passler in
der Pfarrchronik.
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Die beiden Ehrenbürger-
urkunden haben sich bis heute in Privatbe-
sitz erhalten. Die Glocken fielen freilich
dem Ersten Weltkrieg zum Opfer.
Aber auch in Graz blieb Mellitzer seiner
Tiroler Heimat verbunden. Von 1889 bis
1947 existierte in der Stadt der „Verein der
Tiroler in Graz“, der der „geselligen Verei-
nigung“ der Tiroler Landsleute sowie der
Unterstützung der Hilfsbedürftigen dienen
sollte. Die Deferegger waren darin von An-
fang an stark vertreten.
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Georg Mellitzer
lässt sich 1898 als Obmannstellvertreter
nachweisen.
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Eine Fotografie aus dem
Jahre 1907 zeigt ihn u. a. mit den Defereg-
ger Ausschuss-Mitgliedern Rudolf Groß-
lercher, Melchior Kleinlercher, Albert Hol-
zer (ab 1910 Mellitzers Kompagnon und
später sein Nachfolger), Jakob Ladstätter
und Erhart Feldner. Die auffallend große
Zahl an Defereggern spiegelt deren reale
Stärke unter den Grazer Tirolern wider.
Mellitzer war „bis zu seinem Lebensende
ein treuer Tiroler“, wie das Grazer Tagblatt
1931 in einem Nachruf resümierte.
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Mellitzer scheint auch als Mitglied im
Grazer „Kaufmännischen Versorgungs-
verein“ auf, der 1798 gegründet worden
war und eine Art Sozialversicherung in
Form einer „Selbsthilfegruppe“ für kauf-
männische Angestellte darstellte. In dem
1895 von demVerein an der Ecke Neutor-
gasse/Joanneumring errichteten „Haus der
Kaufmannschaft“
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befindet sich eine Ge-
denktafel, auf der unter den Förderern
auch die Deferegger Firmen „P. Ladstätter
& Söhne“ sowie „Stemberger & Mellitzer“
genannt sind.
Die Firma nach dem
Ersten Weltkrieg
Aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg
haben sich mehrere Schreiben erhalten, die
bruchstückhaft die Firmenentwicklung
und vor allem die wirtschaftlichen Schwierig-
keiten jener Zeit beleuchten.
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So wurde
aufgrund einer „Ergänzung zum Gesell-
schaftsvertrag vom 1. August 1888“ im
Jahre 1920 festgelegt, dass in Zukunft nur
mehr die Geschäfte in Wien, Graz und
Klagenfurt eine „gemeinsame Haupt-
bilanz“ vorlegen, während das Geschäft in
Brünn und die Fabrik in Mannsburg – nun-
mehr im Ausland – jeweils „für sich selb-
ständig“ bilanzierten.
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Im „Bilanzproto-
koll“ des Jahres 1922 wird bereits sehr
deutlich von den wirtschaftlichen Schwie-
rigkeiten der Fabrik in Mannsburg ge-
sprochen, die nur dank finanzieller Zu-
wendungen der einzelnen Geschäfte über-
leben konnte. Im Jahre 1928 berichtete die
„Kammer für Handel, Gewerbe und Indu-
strie in Graz“ von einer „Stagnation“ in
der Strohhutbranche und wies darauf hin,
dass „die Inlandskonkurrenz für das
kleine Absatzgebiet zu groß sei“.
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Anfang der 1930er-Jahre ging es weiter
bergab. Man versuchte die Fabrik in
Mannsburg zu verkaufen oder, falls das
nicht möglich sein sollte, stillzulegen.
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Letzteres geschah mit Jahresende 1930.
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Das gleiche Schicksal drohte der Brünner
Firma, da „der bisherige Mietzins nicht
tragbar“ sei.
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Diese Aussage gibt ein be-
redtes Zeugnis von der insgesamt prekären
Situation.
Trotzdem arbeiteten in den dreißiger
Jahren noch drei bis vier Männer und etwa
sechs Modistinnen, darunter auch Georgs
Frau Therese und drei seiner Töchter, in
der Firma.
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Von 1917 bis 1935 waren
zahlreiche Deferegger in der Firma, u. a.
als Modistinnen, Appreteure oder Commis
(kaufmännische Angestellte) beschäftigt.
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Von all diesen Entwicklungen scheinbar
unberührt, beging Georg Mellitzer am 20.
November 1928 seinen 80. Geburtstag im
Hotel „Erzherzog Johann“ in der Sack-
straße in Graz.
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Er, der im Revolutionsjahr
1848 geboren war, konnte auf ein Leben
zurückblicken, das – ähnlich wie die all-
gemeine politische Geschichte – alle
Höhen und Tiefen enthielt: von der Fir-
mengründung in Graz über den Ausbau bis
zum Niedergang in der Zeit der Weltwirt-
schaftskrise. An seinem 80. Geburtstag
sollte er noch einmal eine besondere Wert-
schätzung von Seiten seiner Familie, sei-
ner Kollegen und des Firmenpersonals er-
leben. „Herr Mellitzer ist trotz seiner vie-
len Lebensjahre noch überaus regsam und
gesellig“, heißt es in einer Würdigung des
Grazer Tagblattes.
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Georg Mellitzers Tod und
das Ende der Firma
Als Georg Mellitzer am 2. Jänner 1931
im Alter von 83 Jahre starb, war der Zenit
der Firma, wie oben dargelegt, schon lange
überschritten. Gleichwohl wurde seine Per-
son in zahlreichen Zeitungen Tirols und der
Steiermark gewürdigt; der ausführlichste
Nachruf erschien in der Grazer Tagespost.
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Darin wird die „allgemeine Achtung und
Wertschätzung“ erwähnt, die sich Mellitzer
in den fast fünfzig Jahren seines Lebens in
Graz erworben hat. Besonders hervorgeho-
ben wird sein vielfältiges gesellschaftliches
Engagement, beispielsweise seine Tätigkeit
als städtischer Armenrat, seine soziale Ein-
stellung gegenüber den Angestellten
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sowie
seine Bestellung zum Sachverständigen bei
den Grazer Gerichten.
Am Begräbnis, das am 5. Jänner 1931
am Stadtfriedhof von St. Peter stattfand,
nahmen neben Mitgliedern des Tiroler Ver-
eins u. a. die Angestellten der Firma, meh-
rere Vertreter aus Wirtschaft und Stadtver-
waltung sowie Angehörige der Firma Peter
Ladstätter teil.
„Haus
Mellitzer“ in
Graz, Mur-
gasse 10;
Entwurf der
Fassadenge-
staltung von
Karl Lubitz,
1910.
(Stadtarchiv
Graz)
Rep.: M. Huber
Portal des
Hauses Graz,
Murgasse 8
mit den
Monogram-
men „St“ und
„M“, um
1960.
(Wien,
Bundesdenk-
malamt)
Rep.: BDA