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OSTTIROLER
NUMMER 3/2014
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HEIMATBLÄTTER
rese war wie ihr Mann in der Firma tätig.
Sie war „eine Autorität und Respektsper-
son, und doch auch die liebe Großmama“,
wie sich ihre Enkelin Herta Breuer erin-
nert. Anders als ihr Gatte fuhr sie – typisch
für die Deferegger „Forschtgiehner“, also
die Auswanderer – jeden Sommer ins De-
fereggen (ihr Mann nur fallweise); sie war
ihren Kindern und Enkelkindern eine für-
sorgliche Mutter und Großmutter.
Der Ehe entsprangen vier Töchter (The-
resia, Irene, Maria und Antonia) und zwei
Söhne (Georg, Leopold), die allesamt in
Graz zur Welt kamen. Der ältere Sohn
Georg (*1884) war als Firmenerbe vorge-
sehen, besuchte die Handelsschule in Inns-
bruck, verstarb aber mit 19 Jahren.
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Die
älteste Tochter Theresia (1885-1953) hei-
ratete den Hutfabrikanten Georg Mellitzer
(1873-1953; vulgo Häusler Schorsch, aus
der Fraktion Görtschach), der auch in die
Firma einstieg; sie lebten zunächst in
Mannsburg (Mengeš; heute in Slowenien),
später in Wien.
Eine „offene Handelsgesellschaft“
Unter Georg Mellitzer d. J. kam es im
Jahre 1888 im Rahmen einer Umstruktu-
rierung der einzelnen Hutgeschäfte (Graz,
Klagenfurt, Mannsburg, Brünn, Wien) zur
Gründung einer Gesellschaftsfirma.
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Diese
wurde als solche protokolliert, d. h. im
Handelsregister eingetragen.
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Der ent-
sprechende Vertrag sah vor, dass sich die
elf beteiligten Kaufleute „zu einer offenen
Handelsgesellschaft“ (§ 1) vereinigen
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, in
dem die einzelnen Gesellschafts-Firmen
„selbständig und unabhängig“ betrieben
wurden. So war auch die Beibehaltung
des/der jeweiligen Familiennamen/s vor-
gesehen: „Simon Großlercher“ (Klagen-
furt)
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, „Stemberger und Holzer“ (Brünn),
„Johann Stemberger & Co.“ (Wien),
„Georg Mellitzer & Co.“ (Mannsburg;
Georg war der oben erwähnte gleichna-
mige Schwiegersohn Mellitzers); der Fir-
mensitz in Graz trug den Namen der bei-
den Gründer „Stemberger & Mellitzer“.
Das Grazer Geschäft, das uns hier als
„Zentrale“ vorrangig interessiert, wurde
von den beiden Gesellschaftern Georg
Mellitzer und Ferdinand Degischer betrie-
ben.
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Eine für die Bindung der Deferegger an
ihre Heimat bemerkenswerte Bestim-
mung findet sich in § 8: Demzufolge finan-
ziert die Gesellschaft eine „jährlich ein-
malige Reise eines jeden Gesellschafters
von seinem jeweiligen Geschäftsplatze in
seine Heimath“ und zurück; für eine „Er-
holungsreise“ in eine andere Gegend wer-
den hingegen einmal pro Jahr 35 Gulden
als Reisevergütung ausbezahlt. Der Aus-
tritt aus der Gesellschaft konnte „auch
ohne vorherige Aufkündigung und ohne
weiters“ am 1. August, dem Gründungstag
des Geschäfts, erfolgen (§ 12).
Bereits im Jahre 1873 hatte die Zweig-
firma „Stemberger & Co.“ auf der Welt-
ausstellung in Wien ein Anerkennungs-
diplom erhalten; 1890 bekam sie in Graz
einen Ehrenpreis.
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Eine Medaille wurde
der Firma anlässlich einer vom 29. Juli bis
3. September 1911 in Klagenfurt statt-
findenden Handwerker-Ausstellung ver-
liehen.
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Die Häuser Murgasse 8 und 10
(„Haus Mellitzer“) in Graz
Der Firmensitz befand sich, wie bereits
oben erwähnt, im Haus Murgasse 8, das
anfänglich aber nur gemietet war. Erst im
Jahre 1901 erfolgte der Ankauf durch die
Firma um 131.000 Kronen.
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Oberhalb des
Hauseinganges „in josefinisch-klassizisti-
scher Steinportalrahmung“
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findet sich im
Sturzfeld „eine Steintafel mit Lorbeer-
blattgehänge, Tropfendekor und den Initia-
len St und M“, für Stemberger und Mellit-
zer.
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Das Haus wurde bald nach demAn-
kauf innen umgebaut und erhielt eine neue
Fassade mit Rollbalken.
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Nach Mellitzers
Enkelin Herta Breuer befand sich im Erd-
geschoß der Verkauf, während im ersten
Geschoß die Werkstätten für die Hutpres-
sen, für das Aufputzen der Hüte und für
die Näherinnen waren.
Im Jahre 1909 expandierte die Firma,
was sich im Ankauf des Nachbarhauses
Murgasse 10 niederschlug.
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Aus dem
Bauakt im Grazer Stadtarchiv geht hervor,
dass der Stadtbaumeister Karl Lubitz die
bis heute erhaltene, an die Wiener Sezes-
sion erinnernde Jugendstilfassade gestaltet
hat.
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Der kunstvoll gestaltete Fassaden-
entwurf (datiert Juni 1910) trägt den
Schriftzug „Haus Mel[l]itzer“.
„Auf der Höhe der Zeit …“
Ein weiterer wichtiger Schritt war die
Neustrukturierung der Firma im Jahre
1909, als die oben erwähnten fünf Einzel-
unternehmen nunmehr den einheitlichen
Firmennamen „Stemberger & Mellitzer“
erhielten. Wie es in einem entsprechenden
Schreiben der Firmenleitung heißt, wolle
man „unter stetem Fortschreiten auf der
Höhe der Zeit (…) stehen“ und ersuche
deshalb weiterhin um das Wohlwollen der
Kunden.
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Anlässlich des 75-jährigen Be-
standsjubiläums der Firma im Jahre 1929
schrieb der ungenannte Verfasser eines
Artikels im „Handelsblatt“ rückblickend:
„Das Renommee der Firma befestigt sich
im In- und Auslande immer mehr und
mehr und ihre Erzeugnisse haben berech-
tigten Weltruf erlangt.“
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Unter den Fir-
menmitarbeitern vor dem Ersten Weltkrieg
lassen sich 14 Personen nachweisen, die in
St. Veit geboren waren und damals in der
Murgasse 8 arbeiteten bzw. wohnten.
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Neben den Defereggern spielten auch die
Krainer Näherinnen eine wichtige Rolle,
die als Saisonarbeiterinnen nach Graz
kamen.
Ehrenbürger von St. Veit und ein
„treuer Tiroler“ in Graz
Georg Mellitzer blieb mit seiner Heimat
zeitlebens verbunden. Dies äußerte sich
unter anderem darin, dass er im Sommer
immer wieder ins heimatliche Defereggen
fuhr. Aber auch während des Jahres gab es
enge Kontakte mit St. Veit. So etwa scheint
Mellitzer neben vielen anderen Hutfabri-
kanten als Spender von Büchern an die
Georg Mellitzers Familie im Jahr 1901; die Kinder v. l. n. r.: Irene, Theresia, Antonia
(Kleinkind), Maria, Leopold. (Archiv Dr. Michael Huber, Wien)
Foto: Ferdinand Mayer, Graz; Rep.: M. Huber
Werbedruck der Strohhut-Fabrik Stember-
ger & Mellitzer, Graz – Sommer 1914.
(Archiv G. und H. Ladstätter, Wien)
Rep.: M. Huber