Seite 3 - HB_2013_02

Basic HTML-Version

OSTTIROLER
NUMMER 1-2/2014
3
HEIMATBLÄTTER
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
musste man sich in der Grafschaft Tirol,
was das Forstwesen betraf, mit vier Pro-
blemfeldern herum raufen, die eng mit-
einander verzahnt waren: dem Zustand der
Wälder, dem Erstellen einer landesweit
geltenden gesetzlichen Grundlage; der
Etablierung einer effizienteren und ein-
heitlichen Forstverwaltung und der Klä-
rung der Eigentumsfrage.
In einem waren sich alle Beteiligten
einig, dass der Zustand der Wälder in Tirol,
von wenigen rühmlichen Ausnahmen ab-
gesehen, kläglich bis desaströs war, über
die Schuldfrage gingen die Meinungen aus-
einander. Unter den Forstfachmännern er-
hoben sich mahnende Stimmen, wenn man
mit den Wäldern nicht schonender umgehe
und diese nicht nachhaltiger bewirtschafte,
könne in Tirol in ansehbarer Zukunft eine
„Holznot“ auftreten, so dass die Holzernten
den Holzbedarf nicht abdecken könnten.
Aus dieser Perspektive wurden auch die
Holzexporte kritisch gesehen.
Die Forstorganisation hatte man entwirren
können, aber sie war immer noch zweiglei-
sig aufgebaut. In Nordtirol war die Berg-
und Salinendirektion Hall zuständig, ihr
unterstanden die montanistischen Waldämter.
Südlich des Brenners war eine Finanz-
behörde, die Kameralgefällenverwaltung für
Tirol und Vorarlberg, zuständig mit ihren
Domänen-Forstämtern, unter anderem das
Forstamt Innichen mit seinen Forstrevieren
Innichen, Lienz, St. Lorenzen und Sterzing.
Aufgabe dieser Wald- und Forstämter war in
erster Linie die Bewirtschaftung der Staats-
wälder. Forstschutz und Forstpolizei lagen
bei den politischen Behörden, dem Guber-
nium für Tirol und Vorarlberg in Innsbruck
und bei den Kreisämtern, die aber bei der
Forstaufsicht auf das Mitwirken und bei
forstwirtschaftlichen und forsttechnischen
Fragen auf die Expertisen genannter Forst-
behörden angewiesen waren. Der nicht sel-
ten laut werdende Vorwurf, gerichtet beson-
ders an die Kameralgefällenverwaltung, sie
agiere selbstherrlich, eigenmächtig und vom
wirtschaftlichen Eigeninteresse gesteuert, ist
nicht von der Hand zu weisen.
Mit den „Forstdirektiven“ von 1822
bekam Tirol erstmals ein für das ganze
Land geltendes Forstgesetz, das, allerdings
nur als Provisorium angedacht und bis-
herige behördliche Verordnungen kompi-
lierend, ausführliche Bestimmungen über
Forstrecht, Forstpolizei und Forstschutz
enthielt und den Gemeinden das Abhalten
jährlicher Forsttagsatzungen vorschrieb.
1
Über Waldeigentum findet sich dort wenig
Erhellendes: Die Wälder sind demnach ent-
weder vollständiges oder unvollständiges
Staatseigentum oder vollständiges oder un-
vollständiges Privateigentum. Beim voll-
ständigen Eigentum ist das Obereigentum
mit dem Nutzungseigentum vereint, beim
unvollständigen sind Obereigentum und
Nutzungseigentum getrennt. Staatswälder
vollständigen Eigentums werden unmittel-
bare, Staatswälder unvollständigen Eigen-
tums mittelbare Staatswälder genannt.
Nach langen Vorarbeiten, die bereits in den
1820er-Jahren einsetzten, wurde Ende 1839
ein Gesetz verabschiedet, das die Forst-
direktiven ablöste und aus zwei Teilen be-
stand: Der erste Teil umfasste eine „Provi-
sorische Waldordnung“ mit den forstpolizei-
lichen Normen, der zweite Teil war der „Be-
handlung“ der Staats-, Gemeinde- und Lokal-
stiftungswälder in Tirol und Vorarlberg ge-
widmet.
2
Im Letzteren werden im § 1 die
Eigentumsverhältnisse bei den Wäldern in
bekannter Weise dargelegt: Das Eigentum an
den Wäldern steht entweder dem Staat und
den öffentlichen Fonds oder den Gemeinden
und Lokalstiftungen oder einzelnen Privaten
zu. Das Eigentum ist vollständig oder geteilt,
insofern das Ober- und das Nutzungseigen-
tum vereinigt oder getrennt ist; das Eigentum
kann auch mit Dienstbarkeiten belastet sein.
In die Kategorie der Gemeindewälder fallen
auch die Teilwälder; „welche unter die Glie-
der [Gemeindemitglieder], aber nur zu Be-
friedigung ihres Haus- und Gutsbedarfes
ausgetheilt sind“ (§ 8). Diese Teilwälder, die
ja dazu bestimmt sind, den Bedarf jener
Gutskomplexe, denen sie zugeteilt worden
sind, nachhaltig zu bedecken, dürfen daher
von diesen weder ganz oder teilweise abge-
trennt werden, und es dürfen auch keine in
den Teilwäldern erzeugten Produkte (Holz,
Streu usw.) verkauft werden (§ 9).
Der Wirrnisse waren viele, was das Eigen-
tum und die Nutzungsverhältnisse an den
Wäldern betraf. Waren die Nutzungsrechte
an den Staatswäldern lediglich Dienstbar-
keiten oder gar nur zeitlich befristete, jeder-
zeit widerrufbare Gnadenerweise (Gnaden-
holzbezüge)? Oder handelte es sich nicht
vielmehr um Gemeindewälder, wo lediglich
das Obereigentum des Landesfürsten zu be-
rücksichtigen war? Oder war der Gemein-
dewald etwa gar das uneingeschränkte (voll-
ständige) Eigentum der ihn nutzenden Ge-
meinschaft? Die Begehrlichkeiten nach
Forsteigentum kamen aus einer anderen
Richtung, dort wo wirtschaftliche Interessen
und bäuerliches Besitzdenken sich deckten,
bei den Teilwäldern. Viele Bauern betrach-
teten ihre Teilwälder, vor allem wenn die
Waldteilungen lange zurücklagen und jene
in den dazugehörigen Verträgen festgehal-
tenen Bestimmungen in Vergessenheit ge-
raten waren, die einen Eigentumstitel mehr
oder weniger verklausuliert ausschlossen,
als Eigenwälder, mit denen sie nach Belie-
ben schalten und walten wollten. Dass dem
Teilwaldbesitzer in seinen Teilwäldern der
Holz- wie der Streubezug vorbehalten war,
hat zweifellos diese Ansicht befördert. Die
Bauern wollten Eigentümer ihrer Teilwälder
sein, sich nicht mehr mit der Rolle des Nut-
zungsberechtigten begnügen, die ihr wirt-
schaftliches Handeln einschränkte. Und die
Bauern wollten, sofern sich Marktchancen
auftaten, und das war in den holzexportie-
renden Gegenden wie dem Pustertal durch-
aus der Fall, Holz verkaufen. Hier fuhr ihnen
aber die Kameralgefällenverwaltung als
Forstbehörde in die Parade, die streng nach
dem (nicht immer klaren) Buchstaben des
Gesetzes verfuhr und das landesfürstliche
Obereigentum bei den Teilwäldern gewahrt
wissen wollte, den Holzverkauf genehmi-
gungspflichtig erklärte und Gebühren erhob.
Hauptkampflinie des erbitterten und durch
alle Instanzen geführten Streits waren die
Teilwälder, wobei die bäuerliche Seite
durchaus mit der Nachsicht und dem Ver-
ständnis der politischen Behörden, den
Kreisämtern und dem Gubernium, rechnen
konnte.
Auch die Tiroler Landstände schlugen
sich in die Bresche. In der Petition des Gro-
ßen Kongressausschusses an Kaiser Ferdi-
nand I. wurde 1846 beklagt, das Vorgehen
der Finanzbehörden, gemeint ist die Kame-
ralgefällenverwaltung, bedeute eine „An-
tastung“ des Privateigentums. „Dadurch,
daß die Finanzbehörden sämtliche Waldun-
gen Tirols als ein solches landesfürstliches
Regale erklärten, neben welchem ein Eigen-
thum des Privaten nicht bestehen könne,
setzten sie einen großen und wichtigen
Theil des ganzen Privateigenthums in dieser
Provinz mit einem Mahle in Frage. Nur wer
eine Verleihungsurkunde aufweisen kann,
soll im Besitze seines Eigenthums belassen
werden, alle anderen Erwerbs- und Besitz-
titel, wie namentlich Verjährung, sollen
fortan nicht mehr schützen.“ Im Bauern-
stand herrsche Missstimmung, ja Verbitte-
rung. Dass ein Besitz, der über Jahrhunderte
ruhig besessen und versteuert worden ist,
auf einmal bestritten und ihnen abgenom-
men werden soll, das begreife der schlichte,
allen juristischen Spitzfindigkeiten fern
stehende Sinn der Bauern nicht. Daher wer-
den die Klagen der Bauern immer lauter.
3
Von der Rechtlage aus gesehen war das
forsche Vorgehen der Finanzverwaltung, be-
sonders was die Teilwälder betraf, durchaus
begründet, realpolitisch gesehen war es aber
problematisch, weil es viel böses Blut er-
zeugte und der mit allen juristischen Fines-
sen geführte Streit die wahren Probleme,
dass in den Tiroler Wäldern nicht nachhaltig
gewirtschaftet wurde, überdeckte. Im Nach-
hinein, im Jahre 1848, gestand die Kameral-
gefällenverwaltung ein, während dieses
Streites konnte von einer zweckmäßigen
Verwaltung und Bewirtschaftung der Forste
keine Rede sein. Sie beklagte sich aber auch
über die, wohl wegen der Meinungsunter-
schiede, mangelnde Unterstützung durch
die politischen Behörden, um die Exzesse
und Besitzusurpationen der Untertanen zu
verhindern; im Gegenteil habe man Resis-
tenz, Anfeindungen und Verdächtigungen
erfahren müssen. Selbst das Betreten der
Teilwälder sei den Forstorganen untersagt,
Auskünfte verweigert und überdies seien
Leute, die die Wälder als ihr Eigentum be-
anspruchten, in Schutz genommen worden.
4
Forstregulierungspatent von 1847
Auf Betreiben der Tiroler Landstände,
deren Großen ständischen Kongresses, der
mit Forstfragen befassten Behörden – Gu-
bernium, Kameralgefällenverwaltung und
Berg- und Salinendirektion Hall – erließ
Kaiser Ferdinand I. auf der Grundlage
eines von der Wiener Hofkammer ausge-
arbeiteten Entwurfes
5
am 6. Feber 1847
ein Gesetz, das unter dem Titel „Regulie-
rung der Tiroler Forstangelegenheiten“ am
19. April 1847 kundgemacht wurde.
Am landesfürstlichen Forstregal wurde
nicht gerüttelt. Einleitend hält das Patent
fest: In Tirol beruht gemäß den noch gülti-
gen alttirolischen Waldordnungen, auf die
sich wiederum die Holzbezugsrechte und
Gnadenholzbezüge der Untertanen gründen,
das Eigentum an Forsten bei sämtlichen
Wäldern auf dem landesfürstlichen Hoheits-
recht, insofern nicht einzelne Wälder von
früheren Landesfürsten an Gemeinden oder
Private mittels Urkunde verliehen worden
sind. Ausgenommen sind die Wälder