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OSTTIROLER
NUMMER 1-2/2014
2
HEIMATBLÄTTER
stringente Darstellung bemüht hat, leicht
den Überblick zu verlieren drohen. Es ist
daher nützlich (und vielleicht auch er-
wünscht), das, was im vorigen Beitrag be-
richtet worden ist, in aller gebotenen Kürze
zusammenzufassen, gedacht als Erinne-
rungshilfe und bequemer Einstieg in das
wieder aufzunehmende Thema.
Die Vorgeschichte im Resümee
Seit alters wurden in Tirol, wie anderswo
auch, Wald und Weide vorwiegend kollektiv
genutzt. Individuelles Eigentum, individu-
elle Nutzung von Wald und Weide waren,
besonders in den bäuerlichen Schichten, die
Ausnahme von der Regel. Jener Grund und
Boden, der als Wald und Weide gemein-
schaftlich bewirtschaftet wurde, wurde in
Tirol als „Gemain“ oder „Gemein“, modern
gesprochen als „Gemeinde“ bezeichnet.
Ausgeübt, beansprucht, aber auch behauptet
und verteidigt gegenüber Ansprüchen Drit-
ter wurde dieses Nutzungsrecht an der Ge-
mein von bäuerlichen Siedlungen, die sich
vorwiegend als „Nachbarschaften“ begrif-
fen. Innerhalb einer solchen Nachbarschaft
waren diese Nutzungsrechte nicht an Per-
sonen, sondern an den Besitz von Haus und
Hof gebunden, an Liegenschaften somit, die
nach damaligem Verständnis einen bäuer-
lichen Betrieb ausmachten. Diese Bindung
der Nutzungsrechte an eine, wie man später
sagen sollte, „Stammliegenschaft“, war un-
auflöslich, getrennt von Haus und Hof durf-
ten sie nicht veräußert werden. Durch das
Anwachsen der Bevölkerung in den Städ-
ten, die sich auf Handel und Gewerbe spe-
zialisierten, aber auch auf dem Land, wo
weiterhin die Landwirtschaft dominierte, er-
höhte sich die Zahl der Nachbarschaften –
etwa indem sich die Bergsiedlungen von
den Talsiedlungen loslösten und eine Tei-
lung der Gemein durchsetzten und sich
damit als Nachbarschaft verselbstständig-
ten. Der Bevölkerungsdruck führte aber
auch dazu, dass andauernd Höfe geteilt wur-
den, um weiteren Söhnen eine bäuerliche
Existenzgrundlage zu schaffen. Damit wuchs
aber auch innerhalb der Nachbarschaften
die Zahl der Nutzungsberechtigten, die auf
die Gemein zugreifen durften und wollten,
was an sich schon zu Problemen führen
konnte, weil Wald und Weide beschränkte
Ressourcen waren und dadurch immer
knapper wurden. Verschärfend trat hinzu,
dass in vielen Dörfern die neue Schicht der
sogenannten Söllhäusler oder Untersassen
aufkam, Taglöhner, Bergknappen und kleine
Gewerbetreibende, die auf ein Zubrot aus
der Landwirtschaft angewiesen waren und
gleichfalls Ansprüche auf die Gemein
stellten, womit sie auf den Widerstand der
eingesessenen Bauern stießen.
Der große Konkurrent in den Wäldern für
die bäuerlichen Nachbarschaften und Ge-
meinden waren in Tirol nicht der Adel und
auch nicht die Kirche mit irgendwelchen
Macht- und Besitzansprüchen. Vielmehr war
es einzig und allein der Landesfürst, der hier
erfolgreich mit dem hoheitlichen Macht-
mittel des Forstregals agierte und auf lange
Sicht erfolgreich unterband, dass sich aus
angestammten und auch anerkannten Nut-
zungsrechten der Nachbarschaften und Ge-
meinden Eigentumsrechte entwickeln konn-
ten oder ableiten ließen. Dem stand der lan-
desfürstliche Anspruch des Obereigentums
an den „gemeinen“ Wäldern entgegen. Im
verständlichen, aber fast manischen Bestre-
ben, einem wichtigen ökonomischen Faktor,
dem Bergbau samt Bergwerken und Ver-
hüttungsbetrieben, ausreichend und langfri-
stig mit Holz versorgt zu wissen, wurden al-
lenthalben im Land Wälder als landesfürst-
liches Eigentum beansprucht. Hoch- und
Schwarzwälder, Salinenwälder, Amtswälder,
Reservatwälder, später Staatswälder, Reichs-
forste – viele Namen, aber gemeint ist ein
und dieselbe Sache: Wälder im Eigentum
des Landesfürsten, des Staates. Aber auch
hier schlichen sich mit der Zeit bäuerlich-
nachbarschaftliche Nutzungsrechte ein, die
im 19. Jahrhundert als Servitute oder Dienst-
barkeiten (auf fremdem Grund und Boden)
rechtlich anerkannt werden mussten. Noch
komplizierter wurde es mit den Gnadenhöl-
zern: Untertanen wurde aus Gnade (nicht
aus einem Rechtsanspruch heraus) und bis
auf Widerruf gestattet, sich aus Staatswäl-
dern zum Eigengebrauch bestimmtes Holz
zu beschaffen.
Da kaum ein Bauer eigene Wälder und
Weiden besaß, war er auf die Gemein seiner
Nachbarschaft angewiesen. Nutzungsrechte
an der Gemein zu besitzen, war eine wirt-
schaftliche Existenzfrage, das erklärt auch
die zahllosen Streitereien, die um die Ge-
mein entbrannten, innerhalb der Nachbar-
schaft oder zwischen Nachbarschaften. Bei
den siedlungsnahen Hutweiden und den
Hochweiden im Gebirge, den Almen oder
Alpen, bestand das Nutzungsrecht darin,
Vieh auf diese Weiden zu treiben („Bluem-
besuch“). Das Ausmaß der Nutzung war auf
die „Hausnotdurft“, den Eigenbedarf des
nutzungsberechtigten Betriebes beschränkt,
im Regelfall durfte nur jenes Vieh auf die
Weide getrieben werden, das der Bauer über
Winter in seinem Stall durchgefüttert hatte.
Beim Wald, auch hier war die Nutzung in
der Regel auf „Hausnotdurft“ abgestellt,
wurden gleich mehrere Hauptnutzungen an-
gesprochen: Holzbezug, Streubezug, Wald-
weide. Am wichtigsten war der Holzbezug.
Der Bauer durfte sich aus dem gemeinen
Wald für Haus, Hof und Betrieb nötiges
Bau-, Nutz- und Brennholz besorgen. Glei-
ches galt für die Waldstreu, die vielerorts
das Stroh in den Ställen ersetzte, und die
Waldweide. Das Recht, Vieh in Wäldern
weiden zu dürfen, heutzutage als forstschä-
digend verpönt, war über Jahrhunderte
hochgeschätzt. Da Hutweiden Mangel-
ware waren, ließen die Bauern jenes Vieh,
das nicht auf den Almen gesömmert wurde,
in den siedlungsnahen Wäldern grasen.
Die gemeinschaftlichen Nutzungsrechte
waren, besonders was den Wald betraf, eine
komplexe Angelegenheit, denn einerseits
griffen auf ein und dieselbe Gemein mitunter
zwei und mehr Nachbarschaften zurück,
andererseits konnten innerhalb einer Nach-
barschaft abgestufte Nutzungsrechte, das
Gegensatzpaar waren hier Bauer und Söll-
häusler, vorkommen. Alles beruhte auf Her-
kommen und Gewohnheit, war mündlich
tradiert; schriftlich festgehalten war selten
etwas, etwa durch örtliche Dorf- oder Ge-
meindeordnungen und Verträge, die meist
die Folge von Rechtsstreitigkeiten waren.
Weiter verkompliziert wurde der an und für
sich schon nicht einfache Sachverhalt
durch die seit dem 16. Jahrhundert um sich
greifenden, von den Nachbarschaften ini-
tiierten und behördlich zu genehmigenden
Waldteilungen, wodurch die so genannten
Teilwälder geschaffen wurden. Der bisher
(unverteilte) gemeine Wald einer Nachbar-
schaft wurde parzelliert und die einzelnen
Waldparzellen durch Los den nutzungsbe-
rechtigten Höfen zugewiesen. Der Holz-
wie der Streubezug auf diesen Waldstücken
standen ausschließlich dem jeweiligen Hof
zu und sollten seinen Eigenbedarf ab-
decken, alle anderen Nutzungsrechte, dar-
unter die Waldweide als wichtigstes, wurden
in diesen Teilwäldern auch weiterhin von
der Nachbarschaft kollektiv ausgeübt. Der
Komplex Gemein und Nachbarschaft hatte
heikle ökonomische und soziale Implika-
tionen an sich: Wirtschaftlich hingen einer-
seits die meisten bäuerlichen Betriebe, vor
allem die auf Viehzucht spezialisierten,
denen es oft an eigenen Wäldern und Wei-
den gebrach, von den Nutzungsrechten an
der Gemein ab, und andererseits wurden
die Bauern von den unterbäuerlichen
Schichten bedrängt, die ebenfalls Rechte an
der Gemein beanspruchten.
Die Bergwerke und Verhüttungsbetriebe
wurden über Jahrhunderte aus den landes-
fürstlichenWäldern mit Holz versorgt. Auch
der lukrative Holzexport mit hochwertigem
Bauholz nach Süden, wozu durch die
Grenzlage gerade das Pustertal prädestiniert
war, erfolgte großteils in staatlicher Eigen-
regie, und es profitierte davon in erster Linie
der Staat. Die Bauern waren, was das Holz
betraf, Selbstversorger. Ihnen ging es allein
darum, ihren Bedarf an Nutz- und Brenn-
holz abzudecken und gegebenenfalls auch
an Bauholz. Überwiegend waren die Bauern
keine Holzverkäufer, was weniger daran
lag, dass ihre Holzbezugsrechte auf den
Eigenbedarf eingeschränkt waren. Was
fehlte, war vielmehr eine Nachfrage nach
Holz im Land selbst, jedenfalls abseits der
großen Städte. Noch war der Wald nicht die
bäuerliche Sparkasse, auf die in Notzeiten
zurückgegriffen werden konnte. Unter die-
sen wirtschaftlichen Bedingungen ist es ver-
ständlich, dass es über Jahrhunderte den in
Gemeinden und Nachbarschaften organi-
sierten Bauern allein darum gegangen ist,
die Nutzungsrechte am Wald abzusichern
und zu behaupten.
Forsteigentum
Im späten 18. Jahrhundert flackerte im
Pustertal der Eigentumsstreit um die Wäl-
der auf, der nach den napoleonischen Krie-
gen munter weiter glomm. Vor die Frage
gestellt, welche Forsteigentumskatego-
rien es denn in Tirol gebe, arbeiteten die
Juristen die folgenden vier heraus: 1. Die
landesfürstlichen Hoch- und Schwarzwäl-
der (Staatswälder oder Reichsforste) im
Eigentum des Staates, vielfach belastet mit
als Servitute bewerteten Nutzungsrechten
oder zumindest Gnadenholzbezügen von
Gemeinden oder Nachbarschaften; 2. die
(unverteilten) von Gemeinden oder Nach-
barschaften kollektiv genutzten Gemein-
dewälder im Obereigentum des Staates;
3. die hinsichtlich Holz und Streu indivi-
duell, ansonsten (Weide usw.) kollektiv ge-
nutzten Teilwälder (auch verteilte Ge-
meindewälder) im Obereigentum des
Staates; 4. die Eigenwälder, die heute den
Privatwäldern entsprechen würden.