Seite 4 - HB_2013_02

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E. Swoboda erforscht wurde. Von Beginn
an auffällig war die parallele Ausrichtung
der Gebäude an der Stadtmauer, was inso-
fern bemerkenswert ist, da die Bebauung
westlich der Stadtmauer eine abweichende
Orientierung aufweist. Wegen der Ausrich-
tung der Gebäude an der Stadtmauer kön-
nen diese erst nach dieser entstanden sein.
Aufgrund des hier vorhandenen Fundmate-
rials liegt der Baubeginn der Gebäude öst-
lich der Stadtmauer am Beginn des 2. Jh.s
n. Chr., womit auch die Stadtmauer zu die-
sem Zeitpunkt bereits vorhanden gewesen
sein muss.
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Im Zuge der Grabungen im
Atriumhaus konnten Nachuntersuchungen
direkt an der Stadtmauer durchgeführt wer-
den. Hervorzuheben ist hier vor allem eine
an die Stadtmauer angeschüttete Abfall-
schicht, die sehr viel Fundmaterial des aus-
gehenden 1. Jh.s n. Chr. enthielt.
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Somit konnte in den Innsbrucker Gra-
bungen die in der älteren Forschung ge-
äußerte Vermutung, es handle sich bei der
Aguntiner Stadtmauer um einen spätanti-
ken Verteidigungsbau, eindeutig widerlegt
werden. In der ersten Phase des Baus, die in
eine Zeitspanne ab der Stadtrechtsverlei-
hung unter Kaiser Claudius bis an die
Wende des ersten zum zweiten Jh. n. Chr.
zu datieren ist, befand sich an der Stelle des
heute sichtbaren mit zwei Türmen versehe-
nen Stadttores lediglich ein einfacher, 3,5
Meter breiter Durchlass. Erst in einer zwei-
ten Bauphase wurde das 9,5 Meter breite
Tor errichtet. Einen Hinweis zur Datierung
dieses Umbaus liefern wiederum die östlich
der Stadtmauer liegenden Gebäude. Das
späteste Fundmaterial aus diesen gehört ans
Ende des 2. Jh.s n. Chr., womit eine darüber
hinausgehende Nutzung der Gebäude un-
wahrscheinlich ist. Es scheint in Hinblick
auf den Platzbedarf der neu errichteten Tor-
anlage einleuchtend, dass die beiden direkt
östlich vor der Stadtmauer gelegenen Ge-
bäude im Zuge des Umbaus aufgegeben
wurden. Damit lässt sich für die Neuge-
staltung der Toranlage eine Datierung an
den Beginn des 3. Jh.s n. Chr. vorschlagen.
Mit dieser Baugeschichte verbunden ist
die Frage nach dem bislang unerforschten
Haupttor der Stadt. Da der südliche Stadt-
mauerabschnitt auf der gesamten Länge
ostseitig durchlaufend untersucht wurde,
kommt für die Lage des ursprünglichen
Haupttores nur eine Position nördlich der
heute sichtbaren Tortürme in Frage. Hier
bietet sich vor allem der Kreuzungspunkt
der Stadtmauer mit dem Decumanus I
sinister an – allerdings blieben geophysi-
kalische Untersuchungen an dieser Stelle
bislang ohne eindeutiges Ergebnis.
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Das Stadtzentrum
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Das religiöse und öffentlich-profane Zen-
trum des Municipiums ClaudiumAguntum
wurde seit den 50er-Jahren des 20. Jh.s auf
dem „Tschappelergrund“ nahe der Bundes-
straße B 100 in unmittelbarer Nähe des
Debantbaches vermutet.
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Die Lage zwi-
schen den wichtigsten Ost-West verlaufen-
den antiken Straßen, dem so genannten
Decumanus maximus und Decumanus I
sinister
,
und die beiden sich unmittelbar
nördlich des „Tschappelergrundes“ befind-
lichen öffentlichen Gebäude, der so ge-
nannte Prunkbau (Basilika?) und die Große
Therme, legten diese Lokalisierung des Fo-
rums nahe. Nach Jahrzehnte langen ver-
geblichen Versuchen konnte dieses Grund-
stück 1998 durch Kauf der archäologischen
Forschung zugänglich gemacht werden.
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Als erstes Bauwerk wurde ein innen run-
des Gebäude freigelegt, das als Macellum,
als Markt vornehmlich für Fleisch, Fisch,
Austern und sonstige Delikatessen aus nah
und fern gedient hat.
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Derartige Delika-
tessenmärkte waren im bestens vernetzten
Wirtschaftsraum des Römischen Reiches
weit verbreitet.
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Meistens besaßen sie
einen rechteckigen Grundriss, besonders
im Vorderen Orient und in Nordafrika
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waren sie teilweise auch runder Grund-
form. Im europäischen Teil des Römischen
Reiches stellen gut erhaltene Rundmacella
(zumindest beim derzeitigen Forschungs-
stand) eine absolute Ausnahme dar.
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Ihre
Errichtungszeit wird in die 1. Hälfte des 2.
Jh.s n. Chr. gesetzt. Nach Ausweis der
Kleinfunde dürfte auch das Macellum von
Aguntum damals erbaut worden sein.
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Der Grundriss des Macellums von Agun-
tum gehorcht einer ausgeklügelten archi-
tektonischen Konzeption, die mit größter
Sorgfalt baulich umgesetzt wurde. In ein
Quadrat von etwa 18,5 m Seitenlänge (Au-
ßenmaß) war ein kreisrunder Innenraum mit
einem (inneren) Durchmesser von ca. 17 m
eingeschrieben. Den innersten Kern des Ge-
bäudes bildete ein Zehneck mit einer Sei-
tenlänge von ungefähr drei Metern und
einem Durchmesser von ca. zehn Metern.
Der Bereich zwischen Kreis und Zehneck
war durch acht radiale, auf den Mittelpunkt
des Kreises und des Zehnecks hin orientierte
Mauern, und zwei rechtwinklige Mauern in
neun gleich große Segmente und den Haupt-
eingang im Süden untergliedert. Über den
korridorartigen Haupteingang gelangten die
Händler und Kunden vom so genannten
Decumanus maximus in den zentralen zehn-
eckigen Innenraum. An diesen grenzten acht
Verkaufslokale von etwa 14 m² Grundfläche.
Im neunten, gleich großen Raum gegenüber
dem Eingang könnte sich nach Ausweis an-
derer Beispiele
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ein kleines Sacellum bzw.
Heiligtum einer unbekannten Gottheit (Mer-
kur?) befunden haben. Neben den Zugängen
zu den Geschäftslokalen sind trotz des Feh-
lens geringster Spuren Verkaufstische anzu-
nehmen, über die die eigentlichen Kauf-
handlungen gelaufen sind. Der den Kunden
vorbehaltene Bereich (Eingang, Zehneck)
verfügte über einen teilweise erhaltenen
Plattenboden aus Marmor, Gneis und Glim-
merschiefer. Die Geschäfte, die im Regelfall
nur vom Händler betreten wurden, waren
hingegen nur mit einfachen Mörtelestrichen
samt Rollierung ausgestattet. Im Süden war
dem Macellum ein gedeckter Laubengang
vorgelagert, im Norden erstreckte sich zwi-
schen dem Macellum und dem so genannten
Prunkbau (Basilika?) ein etwa 1.000 m² gro-
ßer freier Platz bisher unbekannter Funktion.
Das Rundmacellum von Aguntum befand
sich, wie in nahezu allen bisher bekannten
Beispielen im römischen Europa, am bzw.
unmittelbar neben dem Forum der Stadt.
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Dieses wird seit 2010 östlich des Macellums
freigelegt.
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Wegen seiner Größe von etwa
3.000 m² werden diese Arbeiten noch einige
Jahre in Anspruch nehmen. Das Forum be-
stand aus einem zentralen geschotterten
Platz von 32 mal 35 m und einem ihn an
allen vier Seiten umgebenden, etwa 3 m
breiten Umgang. Im bisher vollständig frei-
gelegten Süden und Osten grenzten an die
Die
Toranlage der
Stadtmauer
während der
Freilegung
durch E. Swo-
boda 1931-35;
Blick von
Südosten.
Foto: ÖAI Wien
Tauschierter
Schwertgriff (?)
einer Reitersta-
tue (Fundort:
Atriumhaus,
Nutzgarten).
Foto:
Institut für
Archäologien,
Forschungs-
bereich
Aguntum
OSTTIROLER
NUMMER 10-11/2013
4
HEIMATBLÄTTER