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OSTTIROLER
NUMMER 8-9/2013
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HEIMATBLÄTTER
gesehen, sichere und größtmögliche Holz-
ernte: Der angestrebte Waldschutz, die
Waldpflege wie überhaupt der Umgang mit
demWald war aus ökonomischen Gründen
daher um Nachhaltigkeit bemüht, denn der
Wald braucht viele Jahrzehnte des Nach-
wachsens, bis wieder hiebreifes Holz ge-
wonnen werden kann.
Hochwald und Niederwald waren Be-
sitzkategorien, grob vereinfacht, hie lan-
desfürstlicher oder staatlicher Wald, dort
bäuerlicher Gemeinschaftswald unter lan-
desfürstlichem Eigentumsvorbehalt. Forst-
wirtschaftlich sind Hochwald und Nieder-
wald heute ganz anders zu verstehen. Beim
Hochwald, ob Nadel-, Laub- oder Misch-
wald, lässt man die aus Samen oder Früch-
ten entstandenen Bäume auswachsen.
Kennzeichnend für den Hochwald sind
hochwüchsige Bäume. Hauptziel ist der
Holzschlag, vor allem die Gewinnung von
Nutzholz. Im Gegensatz zum allgegenwär-
tigen Hochwald ist heutzutage der Nieder-
wald verschwunden. Der Niederwald kann
nur Laubwald sein. In ihm finden sich vor-
nehmlich aus Stockausschlag entstandene
buschförmige, schnell wachsende Laub-
bäume, die alle 15 bis 30 Jahre geschnitten
wurden. Für die Bauern waren solche Nie-
derwälder ideal, weil sie Brennholz, Fut-
terlaub und Streu lieferten und dem Vieh
eine gute Weide boten. In Tirol und auch im
heutigen Osttirol herrschten die Nadelwäl-
der vor, und das war schon im 16. Jahrhun-
dert so, wie die damaligen Waldbeschrei-
bungen verraten. Laubwälder waren rar, und
umso begehrter waren die wenigen „Laub-
hack“, meist Erlenwälder, die im heutigen
Sinne als Niederwälder genutzt werden
konnten. Wohl oder übel mussten sich die
Bauern mit den Nadelwäldern begnügen.
Mit dem Forstregal und anderen Ho-
heitsrechten operierten die Tiroler Lan-
desfürsten nicht ungern, um finanzieller
Vorteile wegen die Souveränität benach-
barter Fürsten in deren Grenzregionen zu
beschränken. Das Hochstift Salzburg mit
seinem Pfleggericht Windisch-Matrei war
so ein Opfer. Der Erzbischof von Salzburg
musste hinnehmen, dass der Waldmeister
für das Pfleggericht Windisch-Matrei ge-
meinsam von Salzburg und Tirol bestellt
wie auch die betreffende Waldordnung ge-
meinsam vom Salzburger und Tiroler Lan-
desfürsten erlassen wurde.
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Die Einnah-
men gingen zu gleichen Teilen an Salzburg
und Tirol. Wenn Gerichte und Herrschaf-
ten, wie die Herrschaft Lienz seit Beginn
des 16. Jahrhunderts an die Freiherren von
Wolkenstein, verpfändet wurden, so waren
von den zugesprochenen administrativen
Rechten explizit zwei ausgenommen:
Bergregal und Forstregal. Für die Wälder
und die Bergwerke waren damit auch wei-
terhin landesfürstliche Organe direkt zu-
ständig, der Bergrichter etwa. Als sich
Freiherr Christoph von Wolkenstein, dem
1549 von neuem die Herrschaft Lienz als
Pfandschaft übertragen worden war, er-
kundigte, was unter den ihm vorenthalte-
nen Hoch- und Schwarzwäldern zu ver-
stehen sei, wurde ihm höheren Orts, von
der Kammer in Innsbruck, beschieden:
Hochwälder sind Wälder, die hoch im Ge-
birge liegen, Schwarzwälder sind Nadel-
wälder (Lärchen, Föhren, Fichten und Tan-
nen), wobei hier die Lage, in der Ebene
oder hoch im Gebirge, unerheblich sei. In
seiner Antwort versicherte Wolkenstein,
dass er sich als Pfandinhaber in die Ange-
legenheit der landesfürstlichen Hoch- und
Schwarzwälder selbstredend nicht einmi-
schen werde, konnte sich aber angesichts
der Tatsache, reihum in der Herrschaft
Lienz fast ausschließlich Nadelwälder zu
Gesicht zu bekommen, nicht verkneifen
ironisch einzuwenden:
„Ich wist auch nit,
wo also dann die heimwäldt solt suchen.“
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Nachbarschaften
In Tirol wurde jener anfänglich herren-
lose und für die Nutzung frei zugängliche
Grund und Boden, das waren eben die
Wälder und Weiden, „Gemain“ genannt,
dieser Gemain würde das heutige Wort
Gemeinde entsprechen. Der Personenver-
band, die Bauern jener Siedlungen, die
eine solche Gemain gemeinschaftlich be-
saßen, nutzten und bewirtschafteten,
wurde als Nachbarschaft bezeichnet. Der
Bauer, als Angehöriger einer Nachbar-
schaft im Rechtssinne ein Nachbar, übte in
der Gemain keine persönlichen Rechte
aus, vielmehr waren diese, unabhängig
von seiner Person, mit dem Hof verbun-
den, die Nutzungsrechte in den einer
Nachbarschaft zustehenden „gemainen“
Wäldern und Weiden hafteten am Hof.
Wurden Höfe geteilt, was seit dem späten
15. Jahrhundert bis in das 18. Jahrhundert
laufend der Fall war, blieben dem „alten“
Hof die Nutzungsrechte erhalten, dem
„neuen“ Hof standen sie gleichfalls zu.
Was das Ausmaß der Nutzung betraf, so
galt die goldene Regel der „Hausnotdurft“,
des (landwirtschaftlichen) Hof- und Haus-
bedarfs, was Verkauf von Holz, aber auch
gewerblichen Verbrauch von Holz aus-
schloss. Es durfte so viel Brenn- und Nutz-
holz aus dem gemainen Wald entnommen
werden, wie am Hof gebraucht und ver-
braucht wurde. Auf die gemainen Weiden
durfte nur jenes Vieh aufgetrieben werden,
das über Winter in den Ställen durchge-
füttert worden war, im Frühjahr angekauf-
tes oder gar von anderen Bauern einge-
stelltes Vieh war damit ausgeschlossen.
In sich waren die Nachbarschaften, die
im Kern Nutzungsgemeinschaften waren,
wie auch die ländlichen Gemeinden egali-
täre Personenverbände, gleiche Rechte,
gleiche Pflichten, gleiche Mitsprache-
rechte, aber auf Exklusivität bedacht, Bau-
ern unter sich. Das zeigte sich, als seit dem
16. Jahrhundert in den Dörfern vermehrt
die Bevölkerungsschicht der Klein- oder
Söllhäusler auftauchte, kleine Handwerker,
Bergknappen und Tagelöhner, die sich
durch eine kleine oder winzige Landwirt-
schaft etwas dazuverdienen wollten. Wenn
überhaupt wurden ihnen im Regelfall, und
das auf obrigkeitlichen Druck hin, be-
schränkte Nutzungsrechte zugestanden.
Die Nachbarschaften waren keine abso-
lut stabilen Einheiten, geschaffen für
ewige Zeiten. Angesichts einer stetig
wachsenden Bevölkerung, die auf dem
Land zu einer Vermehrung der Höfe und
landwirtschaftlichen Betriebe führte, wo-
durch sich der Nutzungsdruck auf die Ge-
main erhöhte, traten seit dem Spätmittel-
alter partikularistische Tendenzen auf: Ein,
zwei oder drei benachbarte Siedlungen, die
bisher als Nachbarschaft eine Gemain ge-
nutzt haben, gehen getrennte Wege. Es
werden Grenzen, Nutzungsgrenzen, ge-
zogen, der bisher gemeinsam genutzte
Wald wird geteilt zwischen der Nachbar-
schaft X und Nachbarschaft Y. Der klassi-
sche Fall ist das „nachbarschaftliche“ Aus-
einanderdriften von (älterer) Talsiedlung
und (jüngerer) Bergsiedlung: Untergaim-
berg und Obergaimberg, Unternußdorf und
Obernußdorf wären Beispiele dafür.
Die Nachbarschaften waren keine bäuer-
lichen Idyllen. Um die Gemain, um die
Weide mehr als um den Wald, wurde viel
gestritten, gezankt und prozessiert, inner-
halb der Nachbarschaften, weil sich der
eine oder andere Nachbar nicht an die
internen Regeln halten wollte, oder zwi-
schen den Nachbarschaften, die wegen
Nutzungsgrenzen oder Nutzungsmodalitä-
ten hinsichtlich Holzbezug oder Wald-
weide aneinander gerieten.
Kollektiv genutztes Gemeinschaftsgut
bei Grund und Boden ist anfällig für Kon-
flikte. Bei den Rechten, der Nutzung, ist es
„jedermann‘s Land“, bei den Pflichten, der
Pflege, die gemeinsame Anstrengungen ab-
verlangt, ist es „niemand‘s Land“. Eine
Reaktion darauf waren in Tirol die Wald-
aufteilungen, wobei die Initiativen von den
Nachbarschaften ausgingen. Das Standard-
argument, um bei der zuständigen Obrigkeit
eine Waldaufteilung zu erwirken, war, dass
damit Streitigkeiten beendet werden und die
berechtigte Hoffnung bestehe, der Wald
würde in Zukunft im Eigeninteresse besser
gehegt und gepflegt werden. Zu den ersten
Waldaufteilungen kam es um 1500 in der
Gegend von Hall, was gewiss kein Zufall
ist, weil dadurch die Bauern ihre Wälder vor
den Begehrlichkeiten der Saline Hall besser
geschützt meinten. Im 17. Jahrhundert er-
fasste die Welle der Waldaufteilungen, die
behördlich genehmigt werden mussten, das
ganze Land und wurde vollends im 18. Jahr-
hundert zu einem Massenphänomen, be-
sonders im südöstlichen Tirol. Geschaffen
wurden durch diese Waldaufteilungen die
Fürhölzer, Heimwälder oder Teilwälder,
wobei letzterer Ausdruck noch heute geläu-
fig ist. Der Vorgang war, vereinfacht darge-
stellt, folgender: Auf Ersuchen einer Nach-
barschaft wurde deren gemainer Wald oder
ein Teil des gemainen Walds parzelliert und
diese „Lüse“ genannten Waldparzellen
wurden, in der Regel durch Los, auf die ein-
zelnen Höfe aufgeteilt. Die dem Hof zuge-
wiesenen Waldparzellen waren mit diesem
untrennbar verbunden, durften ohne diesen
nicht veräußert werden. Die Holz- und
Streunutzung stand ausschließlich dem In-
haber des jeweiligen Hofes zu. Alle anderen
Rechte, wie das Recht Wege anzulegen,
Quellen zu fassen, Sand und Steine zu ge-
winnen, vor allem aber dort das Vieh wei-
den zu lassen, verblieben der Nachbar-
schaft. Auch die Teilwälder, bei denen sich
individuelle und kollektive Nutzung kreuz-
ten, galten weiterhin als Gemain. An den
Teilwäldern, das vorweg, sollte sich die
Eigentumsfrage entzünden.
Gemeinden
Die Nachbarschaft ist ein bäuerlicher
Nutzungsverband, hier geht es um die Nut-
zung der gemeinsamen Wälder und Wei-
den. Auch bei der Gemeinde agiert ein Per-