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OSTTIROLER
NUMMER 7/2013
3
HEIMATBLÄTTER
„Großdeutschland“ repräsentieren soll-
ten.
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Damit sollte der Versuch unternom-
men werden, eine Kontinuität zwischen
den alten und neuen Herrschaftsverhält-
nissen herzustellen.
Ausgrenzung
Jene Personen, die sich innerhalb der
„Volksgemeinschaft“ befanden, kamen in
den Genuss vieler Vorzüge. Die, die aller-
dings außerhalb standen, blieben davon
ausgeschlossen. Dem nicht genug, sie wur-
den benachteiligt und dem Terror ausge-
setzt. So schrieb der Lienzer Bürgermeister
Emil Winkler am 15. März 1938 in der Zei-
tung DDO:
„Wer nur halbwegs reines Ge-
wissen hat, der hat von unserer Bewegung
gar nichts zu befürchten.“
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Ehemalige Ver-
treter des Ständestaates, Juden, Kommu-
nisten sowie der Klerus hatten offenbar
„etwas zu befürchten“, denn sie gerieten
nach dem „Anschluss“ in das Visier der
neuen Machthaber
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und litten in der Folge
unter dem von Gewalt begleiteten Prozess
der sozialen Ausgrenzung, der ebenso wie
die Inklusion zur Herstellung der „Volks-
gemeinschaft“ beitrug.
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Die „falsche“
Gruppenzugehörigkeit oder „schädigendes
Verhalten“ gegenüber der „NS-Gesell-
schaft“ führte zur eigenen Exklusion.
Die Nationalsozialisten waren bedacht,
in kleineren Städten wie Lienz den Groß-
teil der Beamtenschaft des Ständestaates
zu übernehmen und Veränderungen zu ver-
meiden.
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Nur die oberste Personalebene
wurde ausgetauscht, da sie als „politisch
unzuverlässig“ galt. So wurde beispiels-
weise der Bezirksgerichtsvorsteher Otto
Riedmann rasch nach dem „Anschluss“
verhaftet.
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Landesregierungskommissar
Karl Hundegger soll in einem Schweine-
verschlag von einer Gruppe der SA und HJ
durch Lienz gezogen worden sein, wobei
er angepöbelt und verhöhnt worden sein
soll.
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An die ehemaligen Angehörigen der
Heimwehr (HW) des Ständestaates, die an
der Niederschlagung des NS-Putsches im
Juli 1934 beteiligt waren
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, richtete Bür-
germeister Emil Winkler in DDO die
Worte, dass
„all diejenigen, die bewusst
Menschen bis aufs Blut quälten und da-
durch die Leiden unserer ohnehin so
schwer geprüften Volksgenossen bis ins
Maßlose steigerten,
[…]
einer gerechten,
leidenschaftlosen Beurteilung und Verur-
teilung unterzogen und der ihnen gebüh-
renden, gerechten Strafe zugeführt
[wer-
den]
“.
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Sie wurden verhaftet
50
, verhört
und schließlich nach einem „Schaupro-
zess“ zu Haftstrafen verurteilt.
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Zuvor
wurden sie noch Schikanierungen durch
die „Volksgemeinschaft“ ausgesetzt. HW-
Mann Alois Höller beschrieb in seinem Er-
innerungsbericht die Szene, die sich ab-
spielte, als die Verhafteten zur Überfüh-
rung nach Greifenburg auf den Lienzer
Hauptplatz geführt wurden:
„Nun wurde
jeder einzeln durch den Hof zum Gefange-
nenhaustor geführt
[und]
der Menschen-
menge – die sich noch am Hauptplatz be-
fand – vorgestellt. Ich bin überzeugt, daß
dieses Theater vorprogrammiert war,
denn es war schon spät, 23 Uhr herum.
Für jeden von uns gabs Beschimpfungen
und wurden sogar bespuckt von einer
hysterischen Menschenmenge.“
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Zu
dieser Begebenheit bemerkte DDO als
„Sprachrohr“ der „Volksgemeinschaft“:
„Die Bevölkerung konnte es sich nicht ver-
sagen und äußerte temperamentvoll die
Ansichten über jene ,tapferen Vaterlands-
verteidiger‘.“
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Als Höller später wieder
auf freien Fuß kam, beschloss er von Lienz
nach Amlach zu übersiedeln,
„weil sie
[seine Ehefrau]
das Verhalten vieler Be-
kannter einfach nicht mehr ertragen
konnte“.
So berichtete er, dass sie von vor-
mals guten Freunden aus der Nachbar-
schaft nicht mehr gegrüßt worden seien.
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Während seiner Haft in Lienz traf Höller
auf eine andere Person, die in der „Volks-
gemeinschaft“ keinen Platz hatte, da sie der
jüdischen Bevölkerung angehörte: Oskar
Braun. Über ihn schrieb er:
„Nach wenigen
Tagen bekam ich den Juden Braun in meine
Zelle die 2 Betten hatte. Er wurde ständig
verhört, fing zu spinnen an und machte
mich selbst fast fertig. Ich war froh, daß ich
nach 3 Tage
[n]
wieder alleine war.“
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Neben der Familie Braun gerieten auch die
Bohrers in das Visier der Nationalsozialis-
ten, die ihre Vermögenswerte beschlag-
nahmten und sie durch Ausschaltung aus
dem öffentlichen Leben zur Ausreise
zwingen wollten.
56
Diese offene Ausgren-
zung spiegelte sich ebenfalls in der Zeitung
wider, dort wurden die „Volksgenossen“
aufgerufen,
„durch entsprechende Mitar-
beit jüdische
[…]
Kapitalsflucht ins Aus-
land zu verhindern“.
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Die „Volksgemein-
schaft“ erreichte schließlich ihr Ziel, die
beiden Familien verließen Lienz und
DDO konnte vermelden:
„Der Kreis Lienz
[ist]
für alle Zeit judenfrei geworden.“
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Für ihre politische Gesinnung wurden
die Kommunisten aus der Gemeinschaft
ausgeschlossen. So wurden Straßenarbei-
ter an der Iselberg-Straße angezeigt, weil
sie einen Moskauer Radiosender gehört
hatten und die Meldungen offenbar mit
Applaus aufnahmen. Die Gruppe wurde
schließlich verhaftet, da sie
„ein hochver-
räterisches Unternehmen“
vorbereitet
haben soll – brisant wirkt dabei die Tat-
sache, dass vier der 15 Festgenommenen
Mitglieder der SA waren.
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Als einziger politischer Gegner verblieb in
Osttirol die katholische Kirche. Die Vorstel-
lung einer christlichen Glaubensgemein-
schaft fungierte dabei als Gegenentwurf zur
„NS-Volksgemeinschaft“. So versuchten
die Nationalsozialisten behutsam, die Vor-
Unterhaltung
war Teil der
„Volksge-
meinschaft“:
Einladung
des NSKK zu
einer Tanz-
veranstaltung
im Gasthof
„Alpen-
raute“ in
Lienz.
(LZ, 11.2.1939)
„Manda s‘ischt Zeit!“ steht am Maibaum beim Frühlingsfest in Amlach 1939 geschrie-
ben: Das Brauchtum wurde instrumentalisiert, um die Bevölkerung schleichend zu ideo-
logisieren. (LZ, 6.5.1939)