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OSTTIROLER
NUMMER 7/2013
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HEIMATBLÄTTER
wir alle haben wieder den Adel der Arbeit
erkennen gelernt und sind stolz darauf,
zum mächtigen Bau unseres Vaterlandes
auch einen kleinen Anteil beitragen zu dür-
fen.“
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Kundgebungen gab es außerdem am
Jahrestag des „Anschlusses“
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sowie des
Einmarsches der deutschen Truppen in
Osttirol, wo 1939 angeblich 800 Menschen
am Lienzer Hauptplatz gefeiert haben sol-
len.
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Die Sturmabteilung (SA) richtete
zudem eigene Kundgebungen aus, wie
Ende Mai 1938 einen „Sturmbannappell“
„durch die mit Hakenkreuzfahnen reich be-
flaggte Stadt“,
an dem 600 SA-Männer
teilgenommen haben sollen.
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Das Konzept der „Volksgemeinschaft“
wurde durch ganz konkrete Maßnahmen
umgesetzt. So wurden „Volksgenossen“ in
materiellen Notlagen unterstützt. Während
die Partei kostenlose „Volksempfänger“ ver-
teilte
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, organisierte die Nationalsozialisti-
sche Frauenschaft (NSF) Eintopfausspei-
sungen. DDO gibt an, dass im März täglich
etwa 270 Menschen öffentlich versorgt wur-
den.
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Außerdem veranstaltete die NSF für
ihre Mitglieder Heimabende
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und verteilte
an bedürftige „Volksgenossen“ Lebensmit-
telpakete.
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Wiederholt wurde in der Zeitung
die weibliche Bevölkerung aufgerufen,
dass sie
„sich alle ohne Ausnahme an dieser
großen Aufgabe beteiligen
[sollten]
, um
„ohne Zank und Hader“
für das
„Wohl un-
seres Großdeutschlands“
zu sorgen.
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Den
Frauen eröffnete sich in entsprechenden
Frauenorganisationen ein unbekannt großes
Betätigungsfeld, was eine Mitgliedschaft
sehr attraktiv machte. Ihr Anteil an der Herr-
schaftssicherung ist deshalb nicht zu unter-
schätzen.
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Die Nationalsozialistische Volkswohl-
fahrt (NSV) war für den Sozialbereich mit
dem Fürsorgewesen zuständig. Sie orga-
nisierte u. a. das Winterhilfswerk (WHW),
das in Osttirol das erste Mal im Winter
1938/1939 unter dem Motto „Keiner soll
hungern! Keiner soll frieren!“
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ins Leben
gerufen wurde – selbstverständlich bezog
sich diese Forderung nur auf die Mitglie-
der der „Volksgemeinschaft“!
Von den neuen Machthabern wurde auch
auf Unterhaltung „gesetzt“: Die Organisa-
tion Kraft-durch-Freude (KdF) der Deut-
schen Arbeiterfront (DAF), die für die Ar-
beitnehmer und -geber zuständig war, orga-
nisierte kostenlose Fahrten ins „Altreich“
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sowie Filmvorstellungen im Lienzer Stadt-
kino Linder. So wurde 1939 der Propagan-
dafilm „Triumph des Willens“ vorgeführt.
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Die Organisation veranstaltete zudem
„Dorfgemeinschaftsabende“, denn
„zur
Volksgemeinschaft gehöre einmal vor allem
das gute Auskommen untereinander und das
lustig sein, denn wer schaffen wolle, müsse
fröhlich sein“.
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Um eine ähnliche Veran-
staltung muss es sich beim „Bunten Abend“
gehandelt haben, von dem in der LZ be-
richtet wurde, dass er
„ein Zeichen bester
Volksgemeinschaft“
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gewesen sei. Versinn-
bildlichte „Volksgemeinschaft“ sollten auch
das Frühlingsfest in Amlach
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, und der
NSKK-Sturm-Ball
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in Lienz darstellen.
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Die Jugend war wichtiger Teil der
„Volksgemeinschaft“: Die Hitlerjugend
(HJ) und der Bund Deutscher Mädel
(BDM) sollten diese politisch erziehen.
Dafür veranstalteten sie verschiedene
Lager, Heimabende und Sportwett-
kämpfe.
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Im Rahmen der Kinderlandver-
schickung (KLV) reisten Osttiroler Kinder
außerdem ins „Altreich“, etwa nach Ober-
bayern
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oder nach Schleswig-Holstein.
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Eine Inklusion besonderer Art bildete die
Klärung der „Heimatrechtsangelegenhei-
ten“ unmittelbar nach dem „Anschluss“: In
Lienz erhielten 25 staatenlose Personen das
Heimatrecht, um bei der Volksabstimmung
am 10. April stimmberechtigt zu sein.
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Gleichzeitig wurde jenen, die offensicht-
lich nicht die Gesinnung des Regimes teil-
ten, das Stimmrecht entzogen.
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Brauchtum als Vehikel
Dass Brauchtum identitätsstiftend wirkt,
erkannten auch die Nationalsozialisten. So
förderten sie jene Bräuche, die ihnen nütz-
lich erschienen, wie etwa das Schützen-
wesen, während sie andere, besonders reli-
giöse Bräuche, bewusst zurückdrängten.
Erstere verknüpften sie gleichzeitig mit na-
tionalsozialistischem Gedankengut, um die
Osttiroler Bevölkerung, in der Brauchtum
und Tradition stark verankert waren, schlei-
chend ideologisch zu beeinflussen. So ver-
anstaltete die KdF etwa „Heimat-“, „Haus-
musik-“ und „Volkstumsabende“.
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Das
Brauchtum der Höhenfeuer wurde ebenso
instrumentalisiert und etwa zum Geburtstag
Adolf Hitlers
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am 20. April oder am
„Großdeutschen Volkstag“ abgebrannt.
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Vorläufiger Höhepunkt der Instrumenta-
lisierung der Vergangenheit war das
Trachtenfest „Tausend Jahre Osttirol“ im
August 1939. Diese Festivität stellte in
einem großen Umzug durch kostümierte
Gruppen die Vergangenheit vom Mittel-
alter über die Freiheitskämpfe 1809 bis hin
zum Ersten Weltkrieg nach. Den An-
schluss an die Gegenwart bildeten Forma-
tionen aus der „Kampfzeit“ und solche, die
Großkundgebung am Lienzer Hauptplatz: Aufmarsch der Osttiroler SA zum „Sturm-
bannappell“ am 29. Mai 1938. (DDO, 3.6.1938)
Die NS-Organisationen nützten auch Zei-
tungsanzeigen, um Mitglieder anzuwer-
ben. (DDO, 7.7.1938)
Anzeigen wie diese sollten die „Volksge-
nossen“ dazu bringen, nicht mehr in
jüdischen Geschäften einzukaufen.
(LZ, 11.3.1939)