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Ein Nikolsdorfer beschrieb
in seinem Erinnerungsbericht
die Stimmung in Osttirol kurz
vor dem „Anschluss“ an Hitler-
Deutschland im März 1938 fol-
gendermaßen:
„Zukunftsträch-
tig klang die Parole: Ein Volk –
ein Reich – ein Führer! Sie ver-
hießen uns Arbeit, gerechten
Lohn, Lehrplätze, Studiums-
möglichkeiten, Volksgemein-
schaft.“
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Im letztgenannten Be-
griff „Volksgemeinschaft“ tra-
fen sich sämtliche genannten
Versprechungen. Die Natio-
nalsozialisten verstanden unter
dem Schlagwort eine Lebens-
gemeinschaft,
„die auf bluts-
mäßiger Verbundenheit, auf
gemeinsamem Schicksal und
auf gemeinsamem politischen
Glauben“
beruhte,
„der Klas-
sen- und Standesgegensätze
wesensfremd“
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waren. Wäh-
rend alle „Volksgenossen“ in-
nerhalb dieser Gemeinschaft
stehen und damit in den Ge-
nuss der Verheißungen kom-
men sollten, wurden jene Per-
sonen, die aufgrund ihrer Einstellung oder
ihrer Gruppenzugehörigkeit ausgeschlos-
sen wurden, mit Einschränkungen, Schi-
kanen und Terror bedacht.
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Die „NS-Volks-
gemeinschaft“ war damit keine leere
Worthülse, sondern ein Leitbegriff der Pro-
paganda und ihre Umsetzung Praxis des
NS-Regimes.
Herrschaft sichern und
Krieg vorbereiten
Unter demVorwand der Errichtung einer
„Volksgemeinschaft“ begannen die Natio-
nalsozialisten nach dem „Anschluss“ in
Osttirol – wie in der gesamten „Ostmark“
– die Herrschaft abzusichern und die Be-
völkerung für ihre Ziele, wie einen bevor-
stehenden Krieg, zu mobilisieren.
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Eine wichtige Rolle spielte dabei die
Presse: Mit März 1938 erschien in Osttirol
nur noch eine einzige Zeitung: „Der Deut-
sche Osttiroler“ (DDO). Dieser wurde im
Oktober 1938 durch die „Lienzer Zeitung“
(LZ) ersetzt. Beide verstanden sich als
„Sprachrohr“ der Partei
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und verfolgten das
Ziel der
„Schaffung und Erhaltung einer
großen schicksalsverbundenen Gemeinschaft
aller Deutschen“.
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Deshalb können diese
beiden „Kreiszeitungen“ Aufschluss über die
Bemühungen geben, eine solche zu errich-
ten. Für diesen Beitrag wurde die Berichter-
stattung über die 18 „Friedensmonate“ des
NS-Regimes (von März 1938 bis August
1939) verfolgt, um nachzuvollziehen, welche
Maßnahmen zur Ein- und Ausgrenzung
(In- und Exklusion) unternommen wurden.
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Eingrenzung
Zunächst wurde die Osttiroler
Bevölkerung mit der Idee der
„Volksgemeinschaft“ konfron-
tiert, dies geschah durch Ver-
sammlungen, die in Dörfern ab-
gehalten wurden. So hielt die
Schreiberin der Chronik des Do-
minikanerinnenklosters in Lienz
fest, dass die Parteifunktionäre
im März und April 1938
„in
jedem Ort u.
[nd]
Örtchen Reden
[halten]
, um für ihre Ide
[e]
zu
begeistern“.
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Besonders intensiv
passierte dies im Vorfeld der
„Volksabstimmung“, die für den
10. April 1938 festgesetzt war.
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In der Folgezeit wurden in
regelmäßigen Abständen politi-
sche Schulungsabende „über
Wesen und Ziele des National-
sozialismus“ abgehalten.
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Eine
Ankündigung vom 28. Jänner
1939 informierte über 21 sol-
cher „Aufklärungsversammlun-
gen“ für den folgenden Monat.
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Bei diesen Treffen wurde von
den Rednern die
„unzerstörbare
Willens- und Schicksalsgemein-
schaft“
beschworen.
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Diese sollte besonders
nach außen hin sichtbar sein. Deshalb ver-
kündete DDO im März 1938, dass
„nur
deutsche Volksgenossen
[…]
Hakenkreuze
tragen
[dürfen]
und jeder
„Anders-
rassige“,
der dies tue, mit
„Unannehmlich-
keiten“
zu rechnen habe.
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Zudem äußerte sie sich in großen Feiern,
die beim Besuch von ranghöheren Natio-
nalsozialisten
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sowie zu festen Terminen
veranstaltet wurden, so beispielsweise am
Jahrestag der „Machtergreifung“ in
Deutschland oder zum Geburtstag Adolf
Hitlers am 20. April. Im Vorfeld der
1.-Mai-Feier 1939 wurde in der LZ ver-
heißen:
„An diesem einen Tag erfüllt uns
übermächtig der Geist der Zusammenge-
hörigkeit, die Volksgemeinschaft. Du, Ich,
NUMMER 7/2013
81. JAHRGANG
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Markus Wurzer
Die „NS-Volksgemeinschaft“ in Osttirol
im Spiegel lokaler NS-Zeitungen
Ein Beitrag zur regionalen Nationalsozialismusforschung
Das „Sprachrohr“ der Partei: „Der Deutsche Osttiroler“,
Titelseite vom 15. März 1938.