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OSTTIROLER
NUMMER 2/2013
2
HEIMATBLÄTTER
sehr stark morphologisch reduziert. Zu-
ordnungen zu rezenten europäischen Sing-
zikaden sind schwer möglich, am ehesten
bei dem skythischen „Beschlag“ von Abb.
2a, wobei unsicher ist, ob dieser zu einer
Fibel gehört. Diese Darstellung erinnert
stark an
Lyristes plebeius
des Holomedi-
terrans (siehe Schedl, 1973, 1986). Die
Verwendung von Zikaden als Motiv bei Fi-
beln wurde in nachrömischer Zeit immer
stilisierter, und es entstanden Ausformun-
gen, die mit Zikadenkörpern in zoologi-
scher Ausprägung wenig zu tun haben.
ein Fundnachweis einer Fibel (lnv.-Nr.
AG/12/261/1) mit stilisierter Zikade im Be-
reich des Forums (Ne-ecke, Raum 285)
der Römerstadt Aguntum (Osttirol) im Juli/
August 2012 durch ein Grabungsteam des
Institutes für Archäologien der Universität
Innsbruck unter Leitung von A. Univ.-Prof.
Dr. Michael Tschurtschenthaler war für
den Verfasser aus zoologischer Sicht von
Interesse. Habe ich mich doch seit ca.
40 Jahren u. a. mit rezenten Singzikaden
(Cicadidae) europas und Nordafrikas und
Vertretern kleinerer Zikadenfamilien Mittel-
europas beschäftigt. Die Zikadenfibel aus
Bronze von Aguntum weist bei der Be-
trachtung von oben eine Größe von 3 cm,
eine Breite von 2,3 cm und einer maxima-
len Höhe von 1,4 cm auf (Abb. 1). Die dar-
unter liegende Drahtfeder, drei Windungen
rechts, drei Windungen links und die Be-
festigungsnadel samt linksseitigem ein-
rastfortsatz sind gut erhalten. Die Draht-
feder und die Nadel sind auch aus Bronze,
nicht aus eisen (Magnetprüfung durch den
Verfasser). In der Dorsal- und Ventralan-
sicht weist die Fibel im Bereich des Kop-
fes, der Brust und der stilisierten Flügel-
decken eine grüne Oxidationsschicht auf.
In die Typologie im Sinne von B
ReNTJeS
(1954) lässt sich die Aguntiner Fibel nicht
klar einordnen, sie kommt aber den Fibeln
von Jois und Loretto (Burgenland) sehr
nahe. Die Abstrahierung des Bauplanes
einer Singzikade geht bei der Aguntiner
Fibel so weit, dass Kopf- und Thoraxab-
schnitte nur angedeutet sind, die sonst auf-
fälligen Komplexaugen sind nicht erkenn-
bar, die Deckflügel in dreieckiger Aus-
breitung erhalten. Die Dorsalansicht der
Aguntiner Fibel erinnert an die Aufsicht
auf ein modernes Kampfflugzeug.
Aus Aguntum und anderen Orten im Be-
zirk Lienz wurden verschiedene bronzene
Fibeln aus vorchristlicher und römischer
Zeit nachgewiesen, aber keine Zikaden-
fibeln (K
ARWIeSe
, 1975; W
ALDe
und F
eIL
,
1995). In Österreich wurden, wie oben
erwähnt, nur wenige Zikadenfibeln aus
römischer Zeit gefunden. Für Aguntum ist
dieser spezifische Nachweis von Luxus
beim weiblichen Geschlecht nach meiner
Ansicht von besonderer Bedeutung. Nach
der wissenschaftlichen Bearbeitung der
Funde vom Jahre 2012 werden diese im
Museum von Aguntum zur Ausstellung
gebracht.
Literatur:
A
CHTZIGeR
, R. & N
IGMANN
, U. 2002: Zikaden in
Mythologie, Kunst und Folklore. – Denisia, Linz, 4: 1-16.
B
ReNTJeS
, B. 1954: Zur Typologie, Datierung und Ab-
leitung der Zikadenfibeln. – Wiss. Ztschr. D. Martin Luther
Universität, Halle (Saale), Ges.-Sprachw., 3: 901-914.
F
ITZ
, G.: 1985/86: Römischkaiserzeitliche und völkerwan-
derungszeitliche Zikadenfibeln in österreichischen Privat-
sammlungen: – Römisches Österreich; – Wien, 13/14: 25-76.
K
ARWIeSe
, S. 1975: Der Ager Aguntinus. eine Bezirks-
kunde des ältesten Osttirol. – Curatorium pro Agunto,
Lienz, 84 pp.
K
UBITSCHeCK
, W. 1911: Grabfunde in Untersiebenbrunn
(auf dem Marchfeld). – Jahrb. f. Altertumskunde, 5:32-72.
K
ySeLA
, e. 2002: Zikaden als Schmuck- und Trachten-
bestandteil in Römischer Kaiserzeit und Völkerwande-
rungszeit. – Denisia, Linz, 4: 21-27.
S
CHeDL
, W. 1973: Zur Verbreitung, Bionomie und Öko-
logie der Singzikaden (Homoptera: Auchenorrhyncha:
Cicadidae) der Ostalpen und ihrer benachbarten Gebiete. –
Ber. nat.-med. Ver. Innsbruck, 60: 79-84.
S
CHeDL
, W. 1986: Zur Verbreitung, Biologie und Öko-
logie der Singzikaden von Istrien und dem angrenzenden
Küstenland (Homoptera: Cicadidae und Tibicinidae). –
Zool. Jahrb. Abt. Systematik, Ökologie und Geographie,
113: 1-27.
S
CHIMITSCHeCK
, e. 1977: Insekten als Nahrung, in
Brauchtum, Kult und Kultur. – Handbuch d. Zoologie,
IV(2) 1 (10): 1-62.
S
CHIMITSCHeCK
, e. 1977: Insekten in der bildenden
Kunst im Wandel der Zeiten in psychogenetischer Sicht.
Veröff. naturhistor. Museum Wien, N. F., 14: 1-119.
T
SCHURTSCHeNTHALeR
, M. 2012: Aguntum – einzig
(artig)e römische Stadt in Tirol. Archäologische Ausgra-
bungen 2012. – Unveröffentlichtes Manuskript, Innsbruck,
4 pp.
W
ALDe
, e. und F
eIL
, D. 1995: Funde aus Aguntum. –
Institut für Klassische Archäologie der Leopold-Franzens-
Universität Innsbruck, 99 pp.
Mein herzlicher Dank für die
Möglichkeit, die Zikadenfibel von
Aguntum studieren zu dürfen, gilt
Herrn A. Prof. Dr. Michael
Tschurtschenthaler, Frau Mag. Katrin
Winkler und Herrn Mag. Otto
Defranceschi vom Institut für
Archäologien der Universität Innsbruck.
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren ver-
antwortlich.
Anschrift des Verfassers: Univ.-Prof. Dr. Wolf-
gang D. Schedl, Institut für Ökologie, Universität
Innsbruck, Technikerstraße 25, A-6020 Inns-
bruck.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimatblätter“
sind einzusenden an die Redaktion des „Ost-
tiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Pizzinini,
A-6176 Völs, Albertistraße 2 a.
Abb. 2a: Skythischer Beschlag (auf einer
Fibel ?) in Zikadenform aus Kul Oba (?)
(B
rENTJES
, 1954). – b: Ungarische Zika-
denfibel aus dem Museum Budapest
(B
rENTJES
, 1954).
a)
b)
c)
d)
e)
f)
Abb. 2c: Fibel von Kiew, Silber (B
rENTJES
,
1954) – d: Lotosblütenfibel aus Kiew (?),
Bronze (B
rENTJES
, 1954).
Abb 2e: Fibeln aus Jois und Loretto (Bur-
genland), 2,9 und 2,7 cm, Bronze (K
ySELA
,
2002).
Abb. 2f: Fibeln aus Untersiebenbrunn
(Niederösterreich), 5,6 cm, Silber (K
UBiT
-
SchEK
, 1911).