Seite 1 - HB_2013_02

Basic HTML-Version

Die Gliedertiere, besonders die Insekten,
haben stets für das Leben der Menschheit
eine Bedeutung gehabt. Insekten beein-
flussten alle Lebensbereiche wie Nahrung,
Medizin, Kult, Kultur, Seuchen und Wirt-
schaft. Im Alten China spielten die Zika-
den im Kult eine große Rolle als Zeichen
der Fruchtbarkeit, der Auferstehung und
als Totenbeigabe in Form von Jade- oder
anderen Halbedelsteinfiguren (S
CHIMIT
-
SCHeK
, 1968). Wegen des unermüdlichen
„Gesanges“ der Singzikaden, es sind
Membrantöne, unter südlicher Sonne
waren diese wohl zum Sinnbild für die
Unbeschwertheit der Jugend erkoren. Die
Metamorphose der in der erde an Wurzeln
saugenden Larven zu fliegenden Insekten
galt als Symbol der Wiedergeburt und des
ewigen Lebens (K
ySeLA
, 2002).
Zikaden waren also in der altchinesi-
schen und orientalischen Kultur Symbol
der Unsterblichkeit und der ständigen Auf-
erstehung (S
CHIMITSCHeK
, 1977). Die
mykenischen Zikadendarstellungen sind
die Vorläufer der griechischen Zikaden, von
denen die skythischen und römischen ab-
stammen. Zikadendarstellungen an Fibeln
sind auch aus der Völkerwanderungszeit
und der germanischen Kunst bekannt.
Auch auf Münzen und Gemmen wurden
Zikaden in frührömischer und in der Kai-
serzeit abgebildet. In Mythologie und
Folklore wurden in der Antike Zikaden zur
Abbildung gebracht (A
CHTZINGeR
& N
IG
-
MANN
, 2002). In der römischen Kaiser-
und Völkerwanderungszeit galten Zika-
dendarstellungen als Schmuck- und Trach-
tenbestandteile (K
ySeLA
, 2002).
Fibeln (lateinisch fibulae), also Ge-
wandnadeln, bestehend aus einem Bügel,
einer Feder und einer Nadel, dürften auch
ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. in Panno-
nien Verwendung gefunden haben (K
y
-
SeLA
, 2002).
Wenn man im Tiroler Landesmuseum
Ferdinandeum in der urgeschichtlichen Ab-
teilung nur auf historische Fibeln achtet,
sieht man die erstaunliche Fülle und Varia-
bilität an Fibelformen in vorrömischer und
römischer Zeit. In dieser Betrachtung soll
nur der Bereich Zikaden (gemeint sind die
über einen Zentimeter großen „Singzika-
den“) in der Form als Fibeln für den weib-
lichen Haarschmuck oder als Gegenstand,
um Kleiderstücke zusammenzuhalten, be-
rücksichtigt werden. Diese sind uneinheit-
lichen Ursprungs und uneinheitlicher
Datierung (B
ReNTJeS
, 1954). Dieser Autor
unterscheidet sechs Typen, und er hatte alle
Zikadenfibeln seiner Zeit gekannt, manche
haben Ähnlichkeiten mit Fliegen oder
Lotosblüten und sind meist stark stilisiert
und abstrahiert. Am ähnlichsten und natur-
getreuesten mit einer rezenten Großzikade
(Cicadidae) scheint mir die Zikadendar-
stellung in Abb. II in B
ReNTJeS
(1954),
siehe auch S
CHeDL
(1973, 1986). Dieser
aus skythischer Zeit aus Kul Oba stam-
mende Beschlag (Abb. 2a) zeigt von dorsal
einen breiten Kopf mit den großen Kom-
plexaugen, Teile des Thoraxabschnittes, ca.
drei Tergite des Abdomens und recht gut
die vereinfachte Aderung und Zellenbil-
dung der Vorderflügel. Die Komplexaugen
sind auch in einer ungarischen Zikaden-
fibel aus der Völkerwanderungszeit im
Museum Budapest (Abb. 1 in B
ReNTJeS
,
1954) gut erkennbar (Abb. 2b). Zwei
Fibeln von Kiew (?) zeigen die starke Ver-
einfachung der ursprünglichen Formen
(Abb. 2c, 2d). Neuere Fundnachweise fin-
det man bei K
ySeLA
(2002) aus Britannien
bzw. dem Burgenland (Jois und Loretto) in
Bronze (Abb. 2e) bzw. Untersiebenbrunn,
Niederösterreich, in Silber (K
UBITSCHeK
,
1911) (Abb. 2f) von oben und seitlich dar-
gestellt. Die Fibeln von Jois und Loretto
kommen dem Zikadenfibelfund von Agun-
tum im Jahre 2012 am nächsten.
Die Zikadenfibelmode bei jungen Mäd-
chen und reichen römischen Frauen war in
Noricum, in Raetien und Gallien anschei-
nend nicht lebendig. Vor ca. 25 Jahren
wurden in „Carnuntum und Umgebung“
(Niederösterreich) 14 Zikadenfibeln von
3,5 cm Länge aus österreichischen Privat-
sammlungen bekannt (F
ITZ
, 1985/86, K
y
-
SeLA
, 2002: Abb. 3), aus Bronze, zum Teil
versilbert. Aus der Völkerwanderungszeit
wurden im niederösterreichischen Unter-
siebenbrunn in Kindergräbern zwei sil-
berne Zikadenfibeln in Schulterlage ge-
funden (K
UBITSCHeK
, 1911). Manche Fi-
beln, wie ein Fund vom Frauenberg bei
Leibnitz (Steiermark) in Bronze (3,5 cm
lang), sind für einen entomologen schon
NUMMER 2/2013
81. JAHRGANG
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Wolfgang D. Schedl
Fund einer Zikadenfibel am Forum
der Römerstadt Aguntum bei Lienz
Abb. 1: Zikadenfibel in Bronze vom Forum
in Aguntum östlich von Lienz; Kopf nach
oben, erkennbar ist auch die Fibelnadel
und der Einrastungsfortsatz in Kopfnähe
und links unten ein kleiner Teil der Fibel-
feder.
Foto: Otto Defranceschi